Mit Hand- und Fußfesseln vor Gericht
Mit zwanzig Jahren kam er aus dem Iran nach Deutschland und beantragte Asyl. Das war 2002. Dann erhielt er zunächst eine Duldung. Aufgrund einer Vergewaltigung musste er 2005 für sechs Jahre ins Gefängnis. Er hatte eine „Bestrafungsaktion“ bei einem jungen Chinesen durchgeführt. Nach der Entlassung kam es schnell zu neuen Straftaten.
Zu einem Hauptverhandlungstermin vor dem Hattinger Amtsgericht erscheint der Angeklagte, der in Sprockhövel in einem Übergangswohnheim lebt, nicht. Es ergeht Haftbefehl. Die Polizei sucht ihn auf und nimmt ihn mit zum Hattinger Amtsgericht. Er leistet Widerstand, auch gegen den Richter, der ihm seine Rechte vorlesen will. Das macht das Maß voll und der Mann verschwindet in der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Essen.
Nun, beim erneuten Termin vor dem Hattinger Amtsgericht, bleibt der Angeklagte während der gesamten Verhandlung in Hand- und Fußfesseln.
Vier Beamte vom Wachdienst und zwei Polizisten bleiben im Gerichtssaal und bewachen den aggressiven Mann, der sich zunächst allerdings ganz ruhig verhält und sich die Anklage anhört.
Diesmal geht es um eine Köperverletzung unter Kumpels im Wohnheim und um aggressives Verhalten gegenüber städtischen Mitarbeitern der Stadt Sprockhövel im Job-Center.
Das Verhalten ist in allen Fällen ähnlich: Passt dem Angeklagten etwas nicht in den Kram oder fühlt er sich beleidigt oder provoziert, schlägt er schnell zu. Bei den Kumpels ließ man ihn nicht mitfeiern, da flog Porzellan. Bei der Stadt glaubte er dem Mitarbeiter nicht, dass das Sozialgeld nicht ausgezahlt werden konnte, weil der Computer defekt war und der Scheck erst später abgeholt werden konnte. Außerdem wollte er nicht von einem Wohnheim in ein anderes Heim wechseln.
Der Angeklagte soll nach den Aussagen der Ausländerbehörde in Schwelm in den Iran abgeschoben werden. Doch die iranischen Behörden verlagen die Unterschrift des Mannes unter die Ausweis-Ersatzpapiere und die will er nicht geben. „Ich gehe nicht zurück in den Iran“, sagt er vor Gericht. Gründe nennt er nicht. Nur in einem während der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten der Ausländerbehörde stehen Sätze wie „Er macht sich Sorgen um die Atommacht Iran“ und „Er hat Probleme mit der Führung des Iran“. Auch Angaben zu seiner Ausbildung und zu seinem Elternhaus macht der junge Mann nicht.
Zeugen vor Gericht von der Stadt Sprockhövel und der Polizei bestätigen die Vorwürfe in der Anklage. Der Angeklagte selbst lässt sich nur bedingt ein, spricht von einem Komplott gegen ihn. Einige Teile der Hauptverhandlung nimmt er still lächelnd wahr.
Ein Psychologe, der zu ihm in die JVA Essen kam, um ein Gutachten über ihn zu erstellen, musste unverrichteter Dinge wieder gehen. Der Angeklagte wollte mit ihm nicht reden. Der Psychologe stellt ihm nur in der Gerichtsverhandlung Fragen, beobachtet ihn und wertet Indizien aus. Er kommt in einem mündlichen Vortrag zu dem Ergebnis, dass bei dem Angeklagten eine paranoide Persönlichkeitsstörung vorliegen und die Taten auch im Zusammenhang mit der seelischen Störung stehen könnten.
Dies rechtfertige unter Umständen eine stationäre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Obwohl er den Angeklagten in der Hauptverhandlung zum ersten Mal sieht, hat er bereits im Vorfeld aus Indizien ein medizinisches Gutachten zur Einweisung gefertigt. Die sollte seiner Meinung nach sofort erfolgen.
Für dieses Strafmaß ist ein Amtsgericht nicht mehr zuständig. Daher wird der Fall an das Landgericht Essen verwiesen und muss völlig neu aufgerollt werden. Der Hattinger Dr. Gregor Hanisch bleibt als Pflichtverteidiger bestehen. Was der Vorsitzende Richter nicht mitmacht: den Angeklagten sofort stationär einweisen.
Als der Angeklagte, der recht gut deutsch spricht, den Beschluss erklärt bekommt, bricht sich das aggressive Verhalten erneut Bahn und er wird unter Beschimpfungen aller Verantwortlichen aus dem Gericht geführt.
Auszuschließen ist aber auch nicht, dass der Angeklagte aufgrund traumatisierender Erlebnisse aus dem Iran Hilfe braucht. Sein Verteidiger Dr. Gregor Hanisch erklärt: „Ich werde für das Landgericht überlegen, ob ich gegebenenfalls einen Befangenheitsantrag stellen muss, wenn es denn bei diesem Gutachter bleiben sollte. Außerdem steht im Raum, einen Psychologen mit Traumaerfahrungen einzubinden, denn ich bin mir sicher, dass im Iran Dinge passiert sind, die uns der Angeklagte nicht sagen kann oder will. Das aber ist wichtig für die Beurteilung des Angeklagten. Der Mann hat sich sehr verändert. Er war zu Beginn ein gut aussehender Mann, jetzt hingegen ist er ungepflegt, wäscht sich nicht mehr und reagiert teilweise unangemessen in Mimik und Gestik. Woran das liegt, müssen wir auf jeden Fall noch erkunden.“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.