Mini-Serie über Flüchtlinge: Wenn Unmenschlichkeit an der Tagesordnung ist
(von Cay Kamphorst)
In zwei Beispielen stellt der STADTSPIEGEL das Schicksal von Flüchtlingen vor. Sie erzählen von ihren traumatischen Erlebnissen, die zur Flucht führten, und die Probleme, mit denen sie zu leben haben lernen müssen. Hilfe erhielten sie in Hattingen beim IFAK e.V. in der Bahnhofstraße 60.
Dort beim Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe - Migrationsarbeit finden diese Menschen kostenlose Beratung, Unterstützung und Hilfen in ihrer jeweiligen Muttersprache.
„Wir sprechen hier Arabisch, Kurdisch, Englisch und Albanisch“, sagt Perwin Hajo, die selbst vor vielen Jahren aus ihrem Heimatland Syrien flüchten musste. Daher kann die 42jährige Kurdin die Probleme und Sorgen ihrer Schützlinge sehr gut nachempfinden.
Sarah Hussain kam 2010 nach Deutschland und auch nach Hattingen. „Ich stamme aus dem Irak. Ursprünglich habe ich als Stewardess gearbeitet. Später habe ich einen Antiquitätenladen in einem Hotel geführt“, erzählt die 53jährige in ihrer Muttersprache Arabisch und Perwin Hajo übersetzt. „Die meisten Gäste im Hotel stammten aus der UNO, später waren es überwiegend amerikanische Mitarbeiter von Firmen, die beim Wiederaufbau des Landes halfen“, beschreibt Sarah Hussain die damalige Situation.
„Dann gab es eine Bombendrohung von Terroristen gegen die Amerikaner und das Hotel wurde evakuiert. Wir dachten, das sei nur eine Drohung und so blieb ich dort und schaute immer wieder im Laden nach dem Rechten.“
Doch es kam anders und beeinflusste das Leben der 53jährigen Irakerin auf eine traumatische Art und Weise.
„Das Hotel wurde tatsächlich aus der Luft bombardiert. Ich hatte ein Riesenglück, dass ich genau in dem Moment nicht im Laden war, sondern nebenan in einem Kaffeehaus.“ Wer genau hinter dem Anschlag steckte, wurde nicht gesagt. „Uns sagte man nur, das seien Terroristen.“
Tote habe es zwar nicht gegeben, aber viele Verletzte. Auch Sarah Hussain hatte einige, aber nicht so schwere Verletzungen davon getragen. „Ich hatte einen tiefen Schock und wurde ohnmächtig. Ich kam ins Krankenhaus und hatte einige Tage mein Gedächtnis verloren.“ Aber nicht aufgrund ihrer Verletzungen, sondern wegen des Schocks.
Von da an begann ein bis heute andauernder Leidensweg, der vom Schicksal hart getroffenen Frau. „Ein Jahr blieb ich im Krankenhaus. Ich hatte schwere Depressionen und große Angstzustände, dass ich wieder umgebracht werden könnte und habe mich nicht getraut, das Krankenhaus zu verlassen.“
Nach ihrer Entlassung musste sie feststellen, dass ihre Familie nicht mehr da war. „Meine beiden Brüder sind in der Zeit nach Syrien geflohen. Meine Mutter habe ich gesucht, konnte sie aber nicht finden. Ich wusste nicht, was mit ihr geschehen war, und hatte auch zu meinen Brüdern keine Kontaktmöglichkeiten.“
Die Angstzustände der heute 53jährigen blieben massiv bestehen. „Ich konnte nicht einen Moment alleine bleiben und so bin ich in der Zeit nach dem Krankenhaus zwölfmal umgezogen. Ich habe immer ein paar Monate bei Freunden und Familienmitgliedern gelebt.“
Nachdem der Irak dann eine neue Regierung bekam, hoffte Sarah Hussain, dass nun alles besser wird. Wurde es aber nicht. „Als ich dann keine Hoffnung mehr auf eine politische Besserung hatte, habe ich alle Lagerbestände meiner Antiquitäten günstig veräußert und mir davon das Ticket nach Deutschland gekauft.“
In Deutschland lebte schon seit 1970 ihr Vater, der mit einer deutschen Frau verheiratet war. Die sei inzwischen verstorben. Hier habe sie auch erstmals erfahren, dass ihre Mutter mit ihren Brüdern nach Syrien geflohen war und dass es allen gut gehe. „Inzwischen lebt meine Mutter seit ein paar Monaten bei meinem Vater in Köln. Als ich in Deutschland ankam ging es mir sehr schlecht. Ich hatte sehr große Ängste vor Verfolgung und vor den Terroristen. Ich hatte alles verloren, meine Arbeit und meine Familie und hatte schwere Depressionen. Oft habe ich an Selbstmord gedacht.“
Das Dortmunder Bundesamt, die Zentralstelle für Asylbewerber, wies ihr Hattingen zu. „Ich lebe jetzt im Asylantenheim. Seit Januar dieses Jahres ist mein Asylverfahren abgeschlossen und ich habe eine befristete Aufenthaltsgenehmigung.“ Nun könne sie an Integrationskursen teilnehmen, die Sprache erlernen und sich Arbeit suchen.
„Überall, wo man hinkommt, hört man von der Demokratie und der Gerechtigkeit in Deutschland. Ich bin sehr froh darüber, dass ich aufgenommen wurde und bin der deutschen Bevölkerung sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gibt ,wieder ohne Angst leben zu können, und mir ein neues Leben mit neuen Perspektiven bietet.“
Sarah Hussain: „Als ich herkam, fühlte ich mich ganz verloren und war so froh und dankbar über die Hilfe von IFAK e.V.“
Noch gehe es ihr aber nicht richtig gut. „Ich bin immer noch in psychologischer Behandlung. Aber ich fühle mich inzwischen sicherer und so langsam kann ich wieder anfangen zu leben. Ich fühle mich hier wie neu geboren.“
Würde sich die politische Situation im Irak ändern und sie dort wieder friedlich und angstfrei leben können, dann würde sie auch gerne wieder zurück gehen. „Dort kann ich sofort arbeiten als Stewardess oder auch im Antiqitätenbereich. Hier bekomme ich höchstens eine Putzstelle.“
Von IFAK e.V. habe sie im Asylantenheim gehört. Die 53jährige war sehr verzweifelt, nachdem ihr Asylantrag zunächst abgelehnt worden war. „Wir haben hier auch eine kostenlose Rechtsberatung und einen Anwalt, der bei Widersprüchen hilft“, so Perwin Hajo.
Zum Schluss fügt Sarah Hussain schmunzelnd hinzu: „Es sei denn, ich finde hier meinen Traummann, dann bleibe ich natürlich in Deutschland.“
Fortsetzung mit einem Flüchtling aus Syrien demnächst!
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.