Landwirte machen mobil gegen Raubbau an Flächen
Hattinger Bauern sind sauer. Sie beklagen den Flächenverbrauch auch in Hattingen und fordern: „Stoppt Landfraß“.
Um dieses eindrucksvoll anschaulich zu machen, hat Peter Oberdellmann, Sprecher des Westfälisch-Lippischen Landschaftsverbands, Ortsverein Hattingen, eine „Flächenverbrauchsuhr“ mitgebracht.
„Während die bekannte Schuldenuhr in Berlin nach oben läuft, zählt unsere leider nach unten“, erläutert der Diplom-Landwirt aus Holthausen, dessen Hof seit Generationen von Oberdellmanns bewirtschaftet wird. „Zwei Quadratmeter Land sind es in jeder Sekunde, die allein in Nordrhein-Westfalen unwiederbringlich verloren gehen.“
Den Grund sehen er und die übrigen Landwirte darin: „Für Gewerbe- und Neubau-Gebiete muss ökologischer Ausgleich geschaffen werden. Leider geht das aber zu Lasten landwirtschaftlicher Nutzflächen. Natürlich haben gerade wir nichts gegen Ökologie, aber mit Sinn und Verstand. Also nicht gerade auf den allerbesten heimischen landwirtschaftlichen Nutzflächen.“
Landwirt Frank Haarmann-Drenhaus gibt ein Beispiel: „Ich hatte mein Getreide hoch und wollte in vier Wochen ernten. Da bekam ich Bescheid, dass ich das alles unterzupflügen hätte – wegen des ökologischen Ausgleichs. Das ist für mich völlig unfassbar gewesen!“
Die nächste Ausgleichsfläche, das wissen die Landwirte bereits, soll es im Bereich des Gewerbegebietes Ludwigstal II geben. Peter Oberdellmann: „Dabei ist das beste Ackerfläche! Überhaupt ist für uns jeder Quadratmeter Nutzfläche wertvoll, schließlich ist das unsere Lebensgrundlage. Verluste sind existenzbedrohend.“
Sein Vater Heinz Oberdellmann kann sich noch gut erinnern: „Früher gab es hier gut ein Dutzend Bauern. Heute sind es nur noch vier Haupterwerbsbetriebe in Holthausen. Die anderen haben aufgeben müssen. Und dabei sprechen wir über teilweise uralte Betriebe, die es hier nachweislich bis zu 600 Jahre gegeben hat.“
Was den aufgebrachten Landwirten nicht in den Kopf will, erklärt Peter Oberdellmann so: „Auf dem Gelände der ehemailgen Henrichshütte gibt es rund 140 Hektar Gewerbefläche am Stück. Natürlich freut uns vor allem nach dem Verlust der vielen Arbeitsplätze dort jeder neue ebenfalls. Aber wenn wir sehen, wieviel Freizeitfläche sich etwa im Landschaftspark dazwischen befindet, fragen wir uns, ob das überhaupt nötig ist. Schließlich wohnen wir doch in Hattingen und sind rundum umgeben von Hügelland und Wäldern.“
Ihrer Meinung nach müsse doch nur der Bereich in Holthausen im Bereich Behrenbeck und Auf Drenhausen als Erholungsgebiet erhalten bleiben: „An schönen Tagen sind hier Hunderte von Spaziergängern unterwegs. Das kostet niemanden auch nur einen einzigen Cent. Auf der Hütte hingegen musste man doch das verseuchte Gelände erst für viel Geld herrichten. 30 Hektar sind dort als Landschaftsfläche ausgewiesen. Damit die entstehen konnte, wurde hier bei uns in Holthausen wertvoller Boden abgefahren und dort angeschüttet. Das erschließt sich uns vom Sinn her nicht.“
Sie finden, dass aufs Hüttengelände Gewerbeflächen gehören und die müssten effektiver als heute genutzt werden. Gleiches gelte für Alt-Immobilien, alte Betriebhallen, die weiterhin nutzbar wären.
Oder das Rewe-Zentrallager: „Das steht leer, ist aber anderswo wieder neu gebaut worden und dafür sind wieder Äcker verschwunden. So etwas stößt uns einfach auf. Boden wird durch Versiegelung kaputt gemacht und das lässt sich nicht wieder umkehren. Kaum einem ist bewusst, dass im Jahr nur rund ein Millimeter an neuem Mutterboden entsteht.“
Peter Oberdellmann: „Seit Ende der 60er Jahre sind 130 Hektar Boden zubetoniert worden. Vieles davon steht heute leer. Das fängt doch auch bei den Hochhäusern in Holthausen an. Da steht immer mehr leer und ich befürchte, dass man über kurz oder lang über Rückbau nachdenken muss und nicht bedarfsgerechten Wohnraum neu auf der grünen Wiese schaffen. Das macht doch gar keinen Sinn – vor allem vor dem Hintergrund, dass es einen Bevölkerungsrückgang gibt. Wir wünschen uns, dass mit den verbliebenen Flächen, die nicht vermehrbar sind, sorgsam und sparsam umgegangen wird. Bei vielen Menschen hat dieser Prozess bereits eingesetzt, wie eine Umfrage zum Thema Flächenschutz im Auftrag des Deutschen Bauernverbandes im November 2011 gezeigt hat. Es muss ein Umdenken beginnen. Es geht nicht nur darum, heute zu leben, sondern auch an unsere Nachkommen zu denken.“
Hintergrundinfos
In Deutschland beträgt der Flächenverlust täglich rund 90 Hektar, also umgerechnet 120 Fußballfelder.
Die Flächenverbrauchsuhr legt die Zahl der Fläche vor zehn Jahren zugrunde. Die hat in dieser Dekade landesweit abgenommen um 632.865.000 qm.
Genauso eindrucksvoll stellt sich die Zahl für Hattingen dar, wie Peter Oberdellmann ausgerechnet hat: In zehn Jahren waren es hier 435.000 qm, also 119 qm am Tag.
Am Ende des Gesprächs mit den Landwirten waren es zwei Morgen Flächenverlust in NRW.
Ein Morgen entspricht 2.500 Quadratmetern, mal zwei also 5.000 qm oder ein halber Hektar.
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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