Ines Koglin (Chile): „An Deutschland schätze ich die Demokratie sehr“

Etwas erleben wollte die heute 58jährige Ines Koglin, als sie vor 32 Jahren ihr Heimatland Chile verließ und sich auf den Weg nach Deutschland machte. Foto: Kamphorst
  • Etwas erleben wollte die heute 58jährige Ines Koglin, als sie vor 32 Jahren ihr Heimatland Chile verließ und sich auf den Weg nach Deutschland machte. Foto: Kamphorst
  • hochgeladen von Roland Römer

(von Cay Kamphorst)

Mit 25 Jahren packte die heute 58jährige Ines Koglin die Abenteuerlust. Sie wollte etwas erleben und verließ darum ihr Heimatland Chile, um eine Freundin in Deutschland zu besuchen.

„Finanziell ging es meiner Familie nicht schlecht. Ich stamme aus der Mittelschicht, meine Mutter war Schneiderin und zwei meiner Brüder sind von Beruf Staatsanwälte und einer ist Apotheker.“
Insgesamt habe sie vier Brüder und sei das einzige Mädchen. „Gerade in der Weihnachtszeit hatte meine Mutter immer viel beruflich zu tun, so dass wir Kinder uns um die Vorbereitungen kümmern mussten. Da wurde gekocht und das Haus geputzt. Ich habe mich immer freiwillig zum Putzdienst gemeldet, weil ich kochen nicht so mag“, lacht Ines Koglin und erzählt weiter: „Abends waren wir dann immer so müde, dass aus dem Weihnachtsfest an sich nicht viel wurde.“
Sie habe eine Ausbildung zur Erzieherin in Chile gemacht. „Bei uns dort hat jede Schule eine Vorschule. Ich war mehr für die kleineren Kinder eingeteilt. Dazu gehörte auch das Putzen der Räume. Irgendwann putzte ich und fragte mich, ob es das denn nun gewesen sein sollte. Ich wollte mehr. Ich wollte was erleben!“
Ihre Abenteuerlust verschlug die damals 25jährige nach Deutschland. „Einer meiner Brüder arbeitete bei einer Fluggesellschaft und so kam ich an ein Ticket. Ich flog zu meiner Freundin und seitdem bin ich in Deutschland.“
Ihre chilenische Ausbildung wurde in Deutschland nicht anerkannt. So entschied sie sich für ein Studium, merkte aber dann, dass das doch nicht ganz das Richtige für sie war. „Damals konnten wir Ausländer zwei Semester Deutsch an der Uni in Bochum lernen. Das habe ich getan. Aber dann habe ich doch kein Studium begonnen, weil ich es mir nicht so zutraute. Außerdem wollte ich eine Familie gründen und fühlte mich langsam zu alt dafür.“
Verliebt habe sie sich bereits nach drei Monaten in Deutschland. „Geheiratet haben wir später und es ging uns finanziell gut.“
Dass das Leben aber auch seine Schattenseiten birgt, musste Ines Koglin bei der Geburt ihres ersten Kindes erfahren. Die heute 28jährige Christine kam behindert zur Welt. „Die Schwangerschaft verlief völlig normal und da war sie auch gesund. Im Krankenhaus wurde dann ein Fehler gemacht. Sie war zu lange im Bauch, das Fruchtwasser war schon grün.“
Ein Schicksalsschlag, der das Leben von Ines Koglin in eine unerwartete Richtung lenkte. „Anfangs wusste ich noch nicht, wie schwer die Behinderung meiner Tochter sein würde. Doch dann wurde klar, dass sie schwerstbehindert bliebe.“
Drei Jahre später kam ihre zweite Tochter gesund auf die Welt. Sie studiert heute Jura.
Die Ehe scheiterte am mangelnden Familiensinn ihres Mannes. „Er wollte lieber am Wochenende unterwegs sein, als sich um die Familie zu kümmern, und dann habe ich einen Schlussstrich gezogen.“
Von da an musste sich die heute 58jährige alleine durchschlagen. „Meine Tochter habe ich immer viel gefördert und gefordert. Ich habe Glück. Sie ist ein fröhliches Kind, liebt Gesellschaft und lacht viel. Sie ist auch eher unkompliziert. Inzwischen geht sie zu einer Behinderteneinrichtung in Volmarstein.“
Obwohl sie aufgrund ihrer schweren Behinderung nicht arbeiten kann, hat Ines Koglin dafür gekämpft, dass ihre Tochter in der Behindertenwerkstatt mitwirken darf. „So ist sie unter Menschen, bekommt etwas mit und das macht sie glücklich.“
Gute Integration ist der Chilenin wichtig. „Vor 25 Jahren fing ich an, Kontakte zu einer hiesigen Frauengruppe zu knüpfen. Wir hatten alle unterschiedliche Nationalitäten. Inzwischen sind daraus noch acht Frauen aus fünf Nationen übrig geblieben und wir treffen uns unregelmäßig regelmäßig“, zwinkert sie. „Da alle berufstätig sind und Familie haben, ist es nicht so einfach, alle terminlich unter einen Hut zu bekommen. Wir unterhalten uns über Politik und die Sitten und Gebräuche in den unterschiedlichen Ländern. Das ist sehr interessant. Es sind alles intelligente Frauen, so dass wir tiefsinnige Gespräche führen können.“
Ines Koglin war auch in Hattingen politisch im Integrationsrat als Vorsitzende aktiv. Doch das war mit sehr viel Arbeit verbunden. Darum hat sie sich inzwischen etwas zurückgezogen. Ihre Tochter brauche auch viel Zuwendung.
Inzwischen hat sie eine Ausbildung zur Podologin gemacht mit dem Spezialgebiet Diabetes und arbeitet freiberuflich in einem Altenheim. „Durch meine Selbstständigkeit bin ich zeitlich flexibel und kann mich entsprechend um meine Tochter kümmern. Sie hat sechs Wochen Urlaub im Jahr und ich kann die Zeit dann mit ihr verbringen. Sollte doch mal ein Termin anstehen, dann kümmert sich auch mal eine Freundin um sie. Das ist alles gut geregelt.“
Ausländerfeindlichkeit habe sie nicht erlebt. Doch sie merke doch öfter, dass sie eine Frau sei und dazu noch Ausländerin. „Ich fühle mich auf dem Dienstleistungssektor häufiger mal nicht ernst genommen. Beispielsweise habe ich ein Auto gekauft, das ich extra behindertengerecht umbauen ließ“, erzählt sie enttäuscht. „Immer wieder war der Wagen kaputt, doch laut Werkstatt war alles in Ordnung. Ich habe den Wagen mehrmals hingebracht und dauernd hieß es, da sei nichts dran und man wisse nicht, warum er ständig liegenbliebe. Bis ich mit einem Rechtsanwalt gedroht habe. Plötzlich wurde der Fehler gefunden, behoben und danach fuhr der Wagen einwandfrei. Warum denn nicht gleich? Da fühle ich mich dann betrogen.“
Und es habe noch andere ähnliche Situationen gegeben. „Ich kann mein Auto auch nicht einfach verkaufen, weil es extra den teuren Umbau erhalten hat und ich bin auf das Auto angewiesen, um meine Tochter zu ihrer Einrichtung und zu ihren Therapien zu fahren.“
Negatives habe sie nur in Bezug auf ihre Tochter erlebt. „Wir standen in der Reihe in einem Geschäft und die Verkäuferin wollte uns durchwinken. Da ich aber Zeit hatte und auch keinen Grund sah, warum wir vor den anderen an die Reihe kommen sollten, sagte ich, dass ich das nicht wolle. Zur Antwort erhielt ich dann, dass es doch eine Zumutung für andere sei, meine Tochter ansehen zu müssen.“
Die Sehnsucht nach ihrer Heimat ist durchaus da. Ihre ganze Familie lebt in ­Chile, das Leben dort ist ganz anders mit einem anderen Rhythmus. „Aber die Versorgung für meine Tochter ist hier besser, darum gehe ich auch nicht zurück.“
Überhaupt schätzt sie das Gesundheitssystem in Deutschland sehr. Ebenso das freie und kostenlose Schulsystem. „In Chile muss man für die Schulen viel Geld bezahlen. Wer also kein Geld hat, hat keine Chance auf eine gute Ausbildung oder ein Studium“, bedauert die Chilenin das Schulsystem ihres Landes. „Selbst mit Abi­tur kommt man ohne Geld nicht weit und wird Busfahrer oder einfacher Polizist. Ich habe bei meinen Besuchen ehemalige Klassenkameraden getroffen, die mit mir Abitur gemacht haben, aber dann nicht mehr weiterkamen, weil ihre Familien kein Geld hatten.“
Ausländer in Deutschland sollten das zu schätzen wissen. Und vor allem die Demokratie in diesem Land. „Migranten sollten nicht vergessen, warum sie überhaupt hergekommen sind. Viele aus politischen Gründen. In sehr vielen Ländern ist Demokratie nach wie vor nur ein Wort, aber keine Realität.“
Eigentlich stamme sie aus Santiago de Chile, aber als sie das erste Mal in Deutschland ankam, habe sie das Gefühl gehabt „vom Dorf zu kommen“, lacht Ines Koglin: „In Chile gab es eine Diktatur. Vieles war puritanischer, als in Deutschland. Es gab beispielsweise keine Sexshops. Vieles war neu für mich. Allerdings ist die Kirche bei uns lockerer.“
Sie sei Katholikin und in Chile gebe es mehrmals täglich die Möglichkeit, in die Kirche zu gehen. Die Jugendlichen gehen daher eher in der Mittagszeit. „Der Gottesdienst an sich ist schon lockerer, gerade auch weil dann nur Jugendliche in der Kirche saßen. Nach der Predigt wurde über Politik geredet.“
Generell habe sie sich immer für Politik interessiert. „Meine Mutter begann ihren Tag nie, ohne vorher die Zeitung gelesen zu haben und war selbst immer sehr am politischen Geschehen interessiert.“ Das habe sie übernommen. „Die Katholiken in Deutschland waren so langweilig. Da gefiel mir die evangelische Kirche schon besser. Die hat sich viel mehr engagiert, war menschlicher und auch immer dabei, wenn es Feste gab.“ Inzwischen ist sie aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Allerdings müsse Deutschland auch umdenken und das Potenzial der Migrantenkinder erkennen, fördern und nutzen. Die Städte haben die Pflicht, ihre Bürger gut auszubilden und ihnen die Möglichkeiten zu geben, Arbeit zu finden. „Ich finde es traurig, dass so viele gut ausgebildete Migranten Deutschland wieder verlassen, weil die Bedingungen im Ausland für sie besser sind.“ Da sehe sie Defizite im deutschen System. „Auch sollte erkannt werden, dass etwa die türkische Kultur ein Teil unserer Gesellschaft geworden ist. Das lässt sich einfach nicht mehr leugnen. Egal ob es um das Essen oder die Musik geht. Wir finden das überall in Deutschland. Es gibt sehr viele Intellektuelle aus den türkischen Reihen hier in Deutschland – Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten.“
Manches sei in Chile einfacher. Beispielsweise der Erwerb von Eigentum. „In Chile gibt es ein Sparsystem, das es jedem Einwohner ermöglicht, ein Haus zu kaufen. Je nachdem, wieviel eingezahlt wurde, kann dann später ein größeres oder kleineres Haus gekauft werden. Aber hier ist es sehr schwer, an Eigentum zu kommen. Und es ist sehr teuer.“
Politisch aktiv ist Ines Koglin immer noch. Als Integrationslotsin für die spanische Sprache will sie Neubürgern den Start in Hattingen erleichtern und unterstützend zur Seite stehen.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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