"In der Schule fehlen die Mädchen"
Von Gabriele Wulfers
Die Hattinger Lehrerin Gabriele Wulfers vom Gymnasium Waldstraße lebt für drei Monate in Palästina. In ihrem „Sabbatjahr“ nimmt sie über Pax Christi teil an einem Begleitprogramm mit dem Ziel, zusammen mit weiteren international besetzten Helfergruppen vor Ort für eine Deeskalierung der Gewalt zu sorgen. Für den STADTSPIEGEL berichtet sie persönlich von ihren Erlebnissen. Hier kommt ein letzter Bericht. Nächste Woche kommt sie zurück nach Hattingen.
„Diese kleine Serie über meinen Einsatz in den South Hebron Hills wäre nicht vollständig, wenn ich nicht auch über die Situation der Schulkinder hier berichten würde. Deshalb zum Abschluss und kurz vor meiner Rückkehr nach Hattingen ein „Schulbericht“:
Eine unserer regelmäßigen Aufgaben ist es, mit dem UN-Jeep zur Schule in Al Fakheit, einem kleinen palästinensischen Dorf in Masafer Yatta, zu fahren.
Es fängt einfach an:
Der Fahrer, Hussan, wohnt ganz in unserer Nähe und holt uns um 6.30 Uhr vor unserer Haustür ab. Er liebt die Musik von Fairouz, einer libanesischen Sängerin, trinkt während der Fahrt seinen Morgenkaffee und raucht dabei.
Sobald wir Masafer Yatta erreichen, wird es spannend: Er legt den Geländegang ein und meistert die schwierigen „Straßen“ meistens souverän, während wir die faszinierende und jetzt im Frühjahr gelb und grün leuchtende Landschaft genießen. Wenn es geregnet hat, fährt der Jeep nicht, weil die normalerweise ausgetrockneten Flussläufe Wasser führen oder wir im Schlamm stecken bleiben könnten. Aber es regnet ja nur selten.
Dann sammeln wir nacheinander die Kinder ein. Der erste ist Mahmoudi, seine Familie wohnt ganz allein auf halber Höhe an unserer Strecke und meist wartet er bereits auf uns. Manchmal sehen wir ihn auch den Abhang herunter rennen. Er geht in die erste Klasse und redet weder mit uns noch mit dem Fahrer.
Dann folgt eine Gruppe von ungefähr 9 Kindern, 6 Jungen und 3 Mädchen. Damit gerät der Jeep auch schon an seine Grenzen und es wird deutlich lebhafter. Leider sind uns nach und nach die Mädchen abhanden gekommen.
Diese erste Gruppe steigt unterhalb von Al Fakheit aus, dann geht die Fahrt weiter nach Majaz, einem anderen kleinen Dorf. Von dort aus transportieren wir 7 bis 8 ältere Schülerinnen und Schüler nach Al Fakheit. Die letzte Fahrt bringt die jüngsten Schüler und zwei Lehrer von dort nach Majaz.
Die Schule ist nämlich aufgeteilt: Klassen 1/2 und 3/4 werden in Majaz unterrichtet, zur Zeit in zwei Zelten, wir zählen ungefähr 25 Kinder. Für die älteren Schüler findet der Unterricht in Al Fakheit statt. Hier gibt es ein richtiges Schulgebäude mit mehreren Klassenräumen, einem Lehrerzimmer und einem Büro für den Schulleiter.
Nachdem auf diese Weise alle eingesammelt und Lehrer wie Schüler korrekt verteilt sind, beginnt so gegen 8 Uhr der Unterricht mit dem Singen der palästinensischen Nationalhymne.
Warum fahren wir mit dem Schuljeep?
Er ist von den Vereinten Nationen finanziert und hat als UN-Fahrzeug eine Sondergenehmigung für die Fahrten in Masafer Yatta.
Trotzdem gab es in der Vergangenheit Probleme mit dem israelischen Militär, welches den Wagen Anfang Februar 2013 beschlagnahmte und dem Fahrer die Fahrerlaubnis entzog. Erst seit dem 4. Februar 2014 fährt der Jeep wieder – mit einem neuen Fahrer. Damit dies auch so bleibt, bestehen die Verantwortlichen auf der Begleitung durch „Internationals“.
Den Schulleiter in Al Fakheit, Khader al Amor, konnten wir erst gegen Ende unserer Zeit hier sprechen. Wegen einer Erkrankung kam er lange nicht zur Schule. Die erforderliche Operation konnte im Krankenhaus in Hebron nicht erfolgreich durchgeführt werden, deshalb wartet er auf die notwendigen Papiere für die Hadassah Universitätsklinik in Jerusalem.
Er erzählt uns von der Entwicklung der Schule: Sie existiert erst seit fünf Jahren, seit 2009. Zu Beginn fand der Unterricht in Zelten statt, nach und nach konnten dann die Gebäude errichtet und ausgebaut werden. Jede kleine Erweiterung bedeutet einen mühsamen Kampf mit den israelischen Behörden um die erforderlichen Genehmigungen. (Zur Erinnerung: Wir befinden uns in Area C, wo 99 Prozent aller Bauanträge abgelehnt werden.) Er ist sichtlich stolz auf das, was er bisher erreicht hat, und hat weitere Pläne: einen Spielplatz, Computer, weitere Klassenräume, so dass die gesamte Schulzeit abgedeckt werden kann: von Klasse 5 bis 12, das ist die Regelschulzeit in Palästina.
Er sorgt sich auch um das Wegbleiben der Mädchen und versucht in jedem Einzelfall die Eltern davon zu überzeugen, wie wichtig die Schulbildung ist, nicht immer mit Erfolg.
Bei unseren Besuchen in den Dörfern in den South Hebron Hills hören wir immer wieder von den Schwierigkeiten die Schule zu erreichen: Manchmal beträgt der Schulweg eine Stunde oder mehr und es gibt keinen Schulbus, dann besuchen die Kinder bei schlechtem Wetter die Schule nicht. Oder es gibt einen Schulbus, aber er kommt nicht zuverlässig. Einige Kinder, zum Beispiel aus A Seefer ganz im Süden und nahe der Grünen Grenze, müssen einen Checkpoint passieren um zur Schule zu kommen. Das ist für die kleineren meist kein Problem, ab 16 Jahren brauchen sie eine Genehmigung, die alle drei Monate erneuert werden muss. Andere passieren Militärposten und werden von den Soldaten aufgehalten, welche ihre Schultaschen kontrollieren und sie manchmal auf den Boden ausgekippen – wie es letzte Woche einem Schüler auf seinem Weg von Bani Na’im nach Birin passiert ist. Auch wenn viele der älteren Mädchen in den Dörfern – und oft auch die Jungen – ihre Schulzeit nicht zu Ende führen, hat Bildung in der palästinensischen Bevölkerung doch einen hohen Stellenwert. Wenn wir mittags durch Yatta gehen oder fahren, sehen wir Unmengen von Schülerinnen und Schülern in ihrer Schuluniform und fragen uns besorgt: Welcher Zukunft gehen sie entgegen?“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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