Im Planwagen über die Berge und zu Gast in Kotten
(von Nicole Schneidmüller-Gaiser)
„Ich hab mich von meinem Bruder fahren lassen – ein Bus fährt hier ja nicht…“. „Stimmt. Wenn ich sonntags in den Gottesdienst will, nehme ich oft das Fahrrad oder lasse mich bringen.“ Dialog auf dem Platz vor der Wichernkirche in Bredenscheid. Die kreiskirchliche Visitation der Gemeinde, die in dieser Woche stattfindet, beginnt mit einer Rundfahrt durch die Gemeinde – und schon die Anreise stellt einige der insgesamt 15 Visitatoren vor eine ungewöhnliche Aufgabe. Denn der ÖPNV lässt sich hier am Wochenende nur selten blicken…
Bredenscheid-Stüter, wie die evangelische Gemeinde komplett heißt, ist mit 13 Kilometern Durchmesser eine der größten im Kirchenkreis Hattingen-Witten; doch darin leben neben zahllosen Vierbeinern derzeit nur knapp 2.900 Menschen, von denen der größte Teil, etwa 2.100, der evangelischen Kirche angehören. Darum gibt es auch nur eine Pfarrstelle, die sich die Pfarrer Gerd Rode und Ralf Radix teilen.
Wie lebt und arbeitet es sich unter diesen Bedingungen, welche Chancen stecken darin für die Gemeindearbeit und was ist schwierig – all das soll die kreiskirchliche Visitation zeigen. Eine Woche lang werden in 19 Einzelterminen Gruppen und Angebote besucht. Vertreter des Kreissynodalvorstandes (KSV) und weitere Experten aus den verschiedenen Arbeitsbereichen werden die Gemeindegruppen nach einem genauen Plan besuchen.
Den Anfang macht – wie sollte es anders sein – eine Rundfahrt im Planwagen durch Bredenscheid, Ober- und Niederstüter. Auf dem Traktor, der die Gruppe aus dem Dorfzentrum zieht, sitzt Landwirt Lennart Nüfer – und im Wagen übernimmt Pfarrer Rode die Rolle des Reiseleiters und erklärt erst einmal die Geografie der 1968 gegründeten Gemeinde, die bis dahin zu St. Georg gehörte und heute durch den Paasbach von Holthausen getrennt wird.
„Die Gegend hier war immer geprägt von der Landwirtschaft mit ihren Höfen – und von den Zechen“, erklärt Gerd Rode, der seit beinahe einem Vierteljahrhundert in Bredenscheid arbeitet. „Der frühere Pfarrer machte noch alles zu Fuß“, erinnert er schmunzelnd – und weist die Unterstellung, er selbst reite zu seinen Hausbesuchen, ins Reich der Fabeln.
Um die Gemeinde zu verstehen, muss man sich hügelauf- und -abwärts machen, denn die Einsamkeit der Kotten, das spezielle Gefühl der Menschen in Ober- und Niederstüter oder die Verbundenheit der Bewohner von Kleine Kuh oder Große Kuh – die kann man nicht beschreiben, die muss man erlebt haben.
Zum Gottesdienst kommen längst nicht so viele Menschen, wie ein Pfarrer es sich sicher erhofft. Doch wenn es einen Geburtstag zu feiern gibt oder man Abschied von einem Nachbarn nehmen muss – dann kommen sie alle, und dann sind auch Ralf Radix und Gerd Rode dabei.
„Der wichtigste Gottesdienst ist Erntedank“, erzählt Gerd Rode – und mit Blick auf die Äcker und Weiden leuchtet das ein. Dann biegt sich der Altar unter den gespendeten Gaben. Wie auch der Weihnachtsbaum in der Wichernkirche natürlich immer von einem der Forstbesitzer gestiftet wird – das ist Ehrensache.
Von Mutter Natur leben kann hier allerdings kaum noch eine Familie - mancher ist auf Direktvermarktung umgestiegen, nutzt den Bio-Boom und die Sehnsucht der Menschen nach gesundem Essen. Kleinbauern locken mit Eiern, Wurst und Kartoffeln auf ihre Höfe – im großen Stil versorgen die Gemüsescheune und der Erlebnisbauernhof Bergerhof an den Wochenenden Wanderer und Agrar-Tourismus aus ganz Deutschland.
Eine Ausnahme bildet der Hof von Martin Schlenkermann und seiner Familie. „Wir haben etwa 100 Hektar Land, davon etwa ein Viertel Ackerland“, erklärt der junge Bauer der Reisegruppe, die sich in seinem offenen Stall versammelt. „Am meisten Spaß hab ich an den Kühen. Darum versuche ich, mit Milch mein Geld zu machen.“
70 bis 80 Tiere stehen in seinem Stall, Ehefrau Janett ist eigentlich Floristin, arbeitet nun aber mit auf dem Hof.
Der nächste Stopp ist der Friedhof in Oberstüter. Die Besitzverhältnisse sind einigermaßen kurios: Der Friedhof gehört der Bauernschaft, die Kapelle ist städtisch, die Kirchengemeinde ist Pächter. Die Sommerkirche findet hier einmal monatlich statt; im Winter reicht die Heizung für regelmäßige Gottesdienste allerdings nicht aus. „Aber am Heiligen Abend platzt die Kapelle aus allen Nähten“, erzählt Ralf Radix – dann rücken alle zusammen und wärmen sich wohl gegenseitig.
Dass traditionell keineswegs „altmodisch“ bedeuten muss, zeigt sich auch in der Martin-Luther-Kapelle am Gemeindefriedhof Hackstück. Die schlichte, 1968 eingeweihte Kapelle ist von schnörkelloser Schönheit. Hier gibt es neben Trauerfeiern auch Gottesdienste und Konfirmandenunterricht. „Früher war der Raum nicht Fisch, nicht Fleisch“ erinnert sich Pfarrer Rode mit einem Schaudern an einen Aussegnungsraum, der wohl den Charme einer gekachelten Garage gehabt haben muss. Erst durch eine mutige und vor allem ungewöhnliche Architektur wurde der Raum zu einem würdigen Ort – und dafür sogar fast mit einem Preis ausgezeichnet.
Ein bisschen wie Urlaub fühlt sich diese Rundreise für die Visitatoren an – und wie Urlaubsende die Rückkehr des Planwagens ins „Zentrum“ von Bredenscheid.
Im Laufe der Woche werden sie nun in verschiedenen Gruppen erleben, wie der Alltag in Bredenscheid aussieht.
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.