Hattinger wählte den Bundespräsidenten mit
620 Bundestagsabgeordnete und 620 Wahlmänner und -frauen aus den 16 Bundesländern haben am Sonntag Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt. Einer von ihnen war der gebürtige Hattinger Andreas Rau (44), der in der STADTSPIEGEL-Redaktion seine Eindrücke von der Wahl schilderte.
Angefangen hat alles nach dem Rücktritt von Christian Wulff. „Ich wollte einfach bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten dabei sein. Mich hat das politische Hickhack der letzten Wochen sehr gestört. So habe ich in NRW im Landtag angerufen und erklärt, ich wolle auch mitwählen. Man war sehr irritiert“, lacht Andreas Rau.
Möglich wurde „seine Wahl“ trotzdem. Der Leiter der Hagener Aids-Initiative erfuhr nämlich, dass die Fraktion „Die Linke“ auf ihrer Vorschlagsliste nur Wahlmänner und -frauen sozialer Institutionen aufstellen will. So kam der gebürtige Hattinger, der heute in Kamen lebt, auf die Liste der Fraktion „Die Linke“. Der Landtag entscheidet schließlich aus allen Vorschlägen der Fraktionen, wer in Berlin wählt.
„Zunächst war ich nur Ersatzdelegierter, doch dann wurde ich letzten Freitag benachrichtigt, dass ich jetzt doch nach Berlin fahre und den Bundespräsidenten wähle“, berichtet Andreas Rau weiter.
Weil er neben seinem Beruf auch noch Mentoring im Sozial- und Gesundheitswesen studiert, brach er erst am Samstag nach Berlin auf. „Ich habe noch Menschen mitgenommen, so dass wir mit einem gut gefüllten Auto nach Berlin fuhren.“
Dort angekommen ging es am Nachmittag in den Reichstag. „Überall gab es Absperrungen und ich musste durch viele Sicherheitsschleusen. Auf der Fraktionsebene gab es die Ausweise. Am Nachmittag fand ein erstes Treffen im Hotel statt, danach ein Empfang mit Beate Klarsfeld. Sie ist eine beeindruckende Frau. Ich wusste noch nicht, ob ich sie oder Joachim Gauck wählen würde. Ich fühle mich da nur meinem Gewissen verpflichtet. Und mir war da schon klar, dass eine Stimme für Beate Klarsfeld kein Nein für Joachim Gauck bedeuten würde und umgekehrt.“
Am Sonntag traf Andreas Rau den 72jährigen Bürgerrechtler im morgendlichen Gottesdienst. „Aber es war nicht möglich, mit ihm zu reden. Er war umringt von politischen Würdenträgern“.
Nach dem Gottesdienst wurden alle Mitglieder der Wahlversammlung mit Bussen in den Reichstag gefahren. „Hier waren wirklich alle gleich. Im gleichen Bus wie ich saßen beispielsweise Horst Seehofer oder auch Julia Klöckner. Die Politiker sind keine Menschen, vor denen man in die Knie sinken muss. Sie sind aber auch keine Menschen, über die man Spott und Häme ausgießen sollte. Sie machen schon einen harten Job. Das wusste ich auch vorher, doch an diesem Tag habe ich erlebt, wie zumindest die bekannten Gesichter von Termin zu Termin hetzen. Angela Merkel ist vom Amt gezeichnet und viele Politiker stehen auch oft allein in den Gängen und suchen Anschluss, den sie manchmal noch nicht einmal bei den Fraktionskollegen bekommen.“
Viel Lob hat der Ex-Hattinger für die Organisation der Wahl. „Das war alles top. Einerseits war die Atmosphäre locker, andererseits das Notwendige bestens organisiert. Vor der Abstimmung gab es eine Fraktionssitzung. Da wurde nochmals betont, man sei frei in seiner Wahl, wünsche sich aber die Unterstützung für den jeweiligen Kandidaten. Ich habe auch für Beate Klarsfeld gestimmt. Obwohl jedem klar war, dass sie nicht gewinnen würde. Aber sie ist eine beeindruckende Frau, die mit dem Thema Europa und Neofaschismus schon Achtung und Ehre verdient hat.“
Bis zum Verkünden des Ergebnisses gab es Zeit zum Plaudern. „Auf dem Raucherbalkon standen sowieso alle bunt gemischt durcheinander. Ich habe mich mit Peter Hintze und Heide Simonis unterhalten, aber auch mit Sönke Wortmann. Nach dem Verkünden des Ergebnisses und dem Singen der Nationalhymne – wirklich ein feierlicher Moment – gab es einen Empfang. Angela Merkel und Joachim Gauck waren aber sehr schnell weg – ein Termin folgte dem nächsten und ein Interview folgte dem anderen. Die anderen Wahlmänner und -frauen standen zusammen und haben noch diskutiert und gefeiert. Es war eine schöne Atmosphäre und für mich ein ganz besonderes Erlebnis.“
Die Linke, so Rau, sei weder wütend noch enttäuscht gewesen. „Sie sind nach dem Ergebnis leicht zeitverzögert auch aufgestanden und haben dem neuen Bundespräsidenten mit Applaus Ehre und Respekt erwiesen und das gehört sich auch so. Nur ein paar wenige sind sitzen geblieben. Das macht man einfach nicht. Ehrlichkeit und Respekt sind mir wichtig.“
Übrigens: Der Opa von Andreas Rau war der Cousin eines Bundespräsidenten: Johannes Rau.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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