Gurke führt den Angeklagten in den Knast

Zwei Diebstahlfälle standen auf der Tagesordnung des Strafgerichtes. Zum einen ging es um eine Krankenschwester, die aus Safe der Wohnung, in dem sie mit dem Lebensgefährten lebte, ein Sparbuch stahl und regelmäßig Geld abhob – insgesamt 3500 Euro. Der Lebensgefährte war Kassenwart eines Hattinger Vereines und diesem gehörte auch das Sparbuch. Irgendwann fiel der Diebstahl zwar auf, aber da war es bereits zu spät. Vor Gericht erklärt die sichtlich nervöse Frau, sie habe den Schaden bereits bezahlt und sie wisse, es sei falsch gewesen. Sie berichtet, sie habe nach dem Abitur zwei Semester Medizin studiert und habe mit ihrem Leben eigentlich etwas anderes vorgehabt. Doch dann wird sie schwanger, ihre Mutter erkrankt schwer und steht als Hilfe für das Kind nicht mehr zur Verfügung. Auch die damalige Beziehung scheitert. Sie bricht das Studium ab und macht ein Examen als Krankenschwester. Heute hat ihr Kind das Teenageralter erreicht und sie eine neue Beziehung gefunden. Sie habe dem Lebensgefährten 500 Euro jeden Monat als Haushaltsgeld gegeben, habe aber zeitweilig nur einen 400-Euro-Job gehabt.
Und sie habe ihrem Kind auch einmal etwas bieten wollen. Der Griff zum Sparbuch des Vereines war nämlich nicht der erste Diebstahl, den die Frau begangen hat. Und: ihre Sorgen führen zu einem Medikamentenmissbrauch. Die junge Frau zeigt sich vor Gericht sichtlich ängstlich und mit dem festen Willen, endlich Grund unter die Füße zu bekommen.
Sie geht zu einer stationären Entgiftung und ist nach Aussprache auch immer noch mit dem Lebensgefährten zusammen. Sie hat einen Job als Altenpflegerin und besucht regelmäßig eine Gesprächstherapie bei der Caritas.
Aufgrund der Vorbelastungen und trotz einer positiven Sozialprognose plädiert die Staatsanwaltschaft für sechs Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung. Der Angeklagten wäre eine Geldstrafe lieber, doch auch der Vorsitzende Richter spricht sich für die Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Außerdem muss die Angeklagte bis auf weiteres an der Gesprächstherapie der Caritas teilnehmen.
Völlig aus der Gesellschaft verabschiedet hat sich ein Mann, der als Industriemechaniker einst einen Job hatte und ein gutaussehender, gebildeter Mann gewesen sein soll. Er ist Vater einer achtjährigen Tochter, die bei der Mutter lebt, um die er sich aber immer noch regelmäßig kümmert. Das scheint aber so ziemlich das einzig Regelmäßige in seinem Leben zu sein. Immer wieder sitzt er wegen Diebstahl vor Gericht – in der Regel wegen geringwertiger Sachen.
Heute sind es zwei Gläser Gurkensalat und ein Computerspiel als Geschenk für die Tochter zum Geburtstag. Der Hartz4-Empfänger weiß auch genau, was ihm jetzt droht: „Jetzt wird die Bewährung aus dem letzten Urteil widerrufen und ich bekomme nun eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung“. Auch die Bewährungshelferin zeigt sich ratlos, welche Hilfe man dem Mann noch zukommen lassen kann. Vielleicht, so die Staatsanwältin, ist die Regelmäßigkeit des Gefängnisalltages wirklich eine Chance, überhaupt wieder Regelmäßigkeit im Alltag zuzulassen.
Fünf Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung aus dem aktuellen Urteil – und die hohe Wahrscheinlichkeit auf Widerruf der Bewährung aus dem letzten Urteil lassen dem Mann im Gefängnis sicherlich viel Zeit zum Nachdenken.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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