"Drogen spielen dir nur eine Scheinwelt vor"
(von Cay Kamphorst) „Meine Kindheit war schön, ich hatte ein gutes Leben mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meinen Großeltern“, beginnt Andreas Kiefken seine Geschichte. „Ganz besonders hing ich an meinem Großvater, der für mich Mentor, Vater und Vertrauensperson war.“ Als dieser starb, konnte Andy, wie der 45jährige im Bekanntenkreis genannt wird, nicht weinen.
„Emotionen dieser Art kann ich nicht zeigen. Ich habe Probleme mit der Trauerbewältigung. Statt dessen ging ich in Kneipen und prügelte mich.“ Mit dem Gesetz sei er durchaus öfter aneinander geraten. „Häufig wegen Körperverletzung.“
Er habe immer in Extremen gelebt. „Ich habe eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Solche Menschen sind extrem in ihrem Tun und Fühlen. Ich musste immer einem guten Gefühl noch eins oben drauf setzen und wenn es die Koks-Line nach einem gelungenen Konzert war.“
Früh habe ein Verwandter Andys bemerkt, dass dieser musikalisch begabt sei. „Mit etwa drei Jahren hatte ich schon die ersten Berührungen mit der Musik, da ein Verwandter Leiter der Sprockhöveler Musikschule war. Er sagte zu meinen Eltern, dass ich Talent habe.“
Besonders angetan hatten es ihm Schlagzeug und Gitarre. „Mit sechs Jahren baute ich mir mein erstes Schlagzeug aus alten Waschmitteltrommeln zusammen, mit zehn Jahren nahm ich Gitarrenunterricht.“
Als Teenager begann der heute 45jährige mit Gruppen auf der Bühne zu stehen, als Schlagzeuger und als Gitarrist. 1996 gründete Andy dann seine eigene Band „Near Dark“, mit der er viele Erfolge feiern konnte. „Ich stand unter anderem mit Rammstein auf der Bühne. Meine Band spielte Musik in Richtung Gothic und Metal. Wir waren damals sehr bekannt.“ Es sei ein aufregendes und erhabenes Gefühl gewesen, vor einem Publikum mit 40.000 Menschen aufzutreten. „Damals hatte ich noch gar nicht viel mit Drogen und Alkohol zu tun. Klar war es sozusagen noch das i-Tüpfelchen, nach so einem großartigen Konzert sich eine Line Koks zu ziehen. Aber wirklich abhängig war ich nicht. Es kam zwei- oder dreimal im Jahr vor, dass ich Kokain nahm. Alkohol trank ich, wie andere auch, auf Feten oder mal in der Kneipe mit Freunden.“ Er habe seinen Konsum immer steuern und kontrollieren können.
Auf dem Zenit ihrer Karriere trennte sich die Band 2001. „Danach habe ich dann ein Fitnessstudio in Sprockhövel eröffnet. Ebenfalls mit sehr großem Erfolg.
Man kann schon sagen, dass ich krankhaft ehrgeizig bin. Wenn ich etwas anfange, dann setze ich meine ganze Kraft in das Projekt und bisher ist mir auch alles sehr gelungen. Als Borderliner gebe ich entweder alles oder es läuft gar nichts.“
Das Studio habe der IHK-zertifizierte Ausbilder für Sport- und Fitnesskaufleute zehn Jahre betrieben mit neun Angestellten und 500 Mitgliedern, aber sich selbst darüber vergessen. „Dann kam das Aus für das Studio. Der Konkurrenzkampf war sehr groß und ich selbst hatte mich völlig verausgabt. So ging das Studio in die Insolvenz.“
Es folgte ein absolutes Burnout vor zwei Jahren. „Es ging gar nichts mehr. Ich stürzte total ab. Nahm viel Kokain und Alkohol zu mir, hatte meine Arbeit verloren, kein Geld und keine Wohnung mehr.“
Andy kam mit sich selbst nicht mehr klar und rutschte ab. Er kam ganz unten an. „Es war eine ganz schlimme Zeit. Mein Leben bestand nur noch aus Drogen, Alkohol und Schlägereien. Ich war nicht mehr ich selbst. Hatte jeglichen Halt verloren.“
Er ist Vater eines kleinen Sohnes und in dieser heftigen Zeit hatte er auch zu ihm keinen Kontakt mehr. „Das war richtig schlimm für mich. Mein Sohn bedeutet mir alles.
Darum hatte ich auch in der ganzen Zeit nie eine Todessehnsucht. Das hätte ich meinem Kind nie antun können. Es war für mich unerträglich, meinen Sohn nicht mehr sehen zu können.“ Dessen Mutter, von der Andy bereits getrennt lebte, schützte das Kind mit dieser rigorosen Maßnahme. „Ich musste ihr erst beweisen, dass ich mich wieder gefangen hatte, bevor ich meinen Sohn sehen durfte.“
Die letzten zwei Jahre wären die furchtbarsten in seinem Leben gewesen, erzählt der 45jährige: „Lieber hätte ich die Jahre in einem Steinbruch gearbeitet, als das durchzumachen. Mein Leben lief nur noch heimlich ab, da ich alle belügen musste. Es sollte ja keiner von meinem Drogenkonsum wissen.“
Noch heute müsse er das therapeutisch aufarbeiten, denn seine Lügen belasten Andy immer noch sehr: „Morgens wachte ich mit heftigen Schmerzen und starkem Zittern auf. Es ist unbeschreiblich, wie schlimm das war. Ich dachte manchmal, ich müsse sterben.“
Einmal habe er sich volltrunken zu Fuß von Sprockhövel in die psychiatrische Klinik nach Niederwenigern aufgemacht. „Ich kam sofort auf die Intensivstation, da mein Alkoholpegel so hoch war, dass ich eigentlich hätte tot sein müssen.“
Er blieb in der Psychiatrie und machte eine Therapie. „Ich habe mich dann aus freien Stücken in eine Psychiatrie einweisen lassen, die normalerweise für den Paragraphen 35 gilt, Knast oder Psychiatrie. Bei mir gab es diese Option nicht.
Ich ließ mich freiwillig auf die Therapie ein. Es waren 18 harte Wochen. Fünf Wochen durfte ich niemanden sehen. Es gab ein absolut straffes Programm, mit klar definierten Regeln. Aber ich habe es geschafft!“
Er habe diesen extremen Aufenthalt dort gebraucht, sonst „hätte ich den Absprung von den Drogen und dem Alkohol nicht geschafft. Wie gesagt, ich brauche als Borderliner immer das Extreme.“
Seit einem Jahr sei er nun drogenfrei. „Mir haben meine Familie und die Liebe zu meinem Sohn sehr geholfen, den Entzug durchzuhalten. Es war eine schwere und schmerzhafte Zeit. Drogen spielen dir nur eine Scheinwelt vor, aber in Wirklichkeit bringen sie dich um deine Existenz“, so Andys Fazit aus den letzten zwei Jahren. „Man muss es selbst wollen und sich zu einem Entzug entscheiden. Dann kann man das auch schaffen. Aber man sollte nicht denken, dass da irgendjemand kommt und einen da rausholt. Das passiert nicht. Klar bekommt man Hilfe, aber zur Selbsthilfe. Das Durchhaltevermögen und der absolute Wille müssen vom Konsumenten selbst kommen, sonst wird es nicht klappen. Sucht ist eine selbstzerstörerische Sache!“
Aber selbst wenn man drogenfrei sei, müsse man weiter an sich arbeiten. Ein Leben lang. „Der Ursprung der Sucht muss gefunden werden, um sie zu bekämpfen. Ich selbst habe viel Hilfe und Unterstützung im Café Sprungbrett hier in Hattingen gefunden. Dazu mache ich weiterhin eine psychotherapeutische Behandlung für mehr Stabilität. Ich habe gelernt, die Dinge langsamer anzugehen und mehr auf mich zu achten.“
Ab dem kommenden Monat werde er als Personaltrainer für psychisch Erkrankte mit Essstörungen in Kooperation mit einem Ernährungscoach arbeiten. Für die nahe Zukunft plane er eine Ausbildung zum Ergotherapeuten. Die Weichen dafür seien bereits gestellt.
„Durch meine Arbeit im Fitnessstudio habe ich bereits viele Erfahrungen gesammelt und habe etliche Trainerscheine absolviert. Darüber hinaus habe ich ja auch am eigenen Leib die Suchtproblematik kennengelernt und kann mich gut in Menschen mit ähnlichen Erfahrungen hineinversetzen“, beschreibt Andy seine Beweggründe zu diesem neuen Berufsziel.
„Ich bin jetzt drogenfrei. Ich habe viel über mich gelernt in den letzten zwei Jahren. Aber ich werde mein Leben lang an mir arbeiten müssen.“
In ferner Zukunft will er ein Buch über sein Leben und seine Sucht schreiben. „Damit andere hoffentlich früh gewarnt sind und selbst gar nicht erst in diese gefährliche Falle tappen. Drogen sind ausschließlich zerstörerisch. Erst spielen sie dir Glück vor, aber letztlich nehmen sie dir dein gesamtes Leben und machen dich kaputt.“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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