„Das Projekt Jalna muss in Hattingen präsent sein!“
Seit 2006 engagiert sich der Hattinger Rotary-Club für das Jalna-Projekt, über das der STADTSPIEGEL in der Vergangenheit ja bereits mehrfach berichtete. Jalna ist eine 240.000 Einwohner zählende Stadt im indischen Bundesstaat Maharashtra.
Dorthin reist regelmäßig eine Gruppe von Medizinern aus dem Ruhrgebiet und opfert einen Teil seines eigenen Jahresurlaubs, um Kinder mit Missbildungen der Hände und Füße, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, akuten Verbrennungen und Verbrennungsfolgen kostenlos zu operieren.
Schon weitaus länger dabei ist Dr. Gerhard Schlosser, Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin im Ev. Krankenhaus Hattingen (EvK), ebenfalls Rotarier und seit Jahren „Einsatzleiter“ für das Jalna-Projekt.
Der STADTSPIEGEL interviewte den Mediziner zur humanitären Hilfe, die den Menschen aus Jalna zu einem menschlicheren Leben verhilft mit einer Operation, die uns Europäer vergleichweise geringe rund 150 Euro kostet.
STADTSPIEGEL: Herr Dr. Schlosser, was hat Sie damals dazu bewogen, Teile Ihres Jahresurlaubs für das Jalna-Projekt zu opfern?
Dr. Gerhard Schlosser: Schon seit 1993 bin ich mit einer Hilfsorganisation für Plastische Chirurgie in zahlreiche Schwellenländer und Länder der Dritten Welt gereist, um dort medizinische Hilfe zu leisten. Mir fehlte bei diesen Einsätzen die Kontinuität der medizinischen Versorgung. Vielen der kleinen Patienten konnte mit nur einer Operation nicht ausreichend geholfen werden. Seit 2004 fahren wir deshalb ausschließlich nach Jalna in Zentralindien.
Wie sind Sie seinerzeit überhaupt ausgerechnet auf Jalna in Indien gekommen?
Im Rahmen eines Autoverkaufs lernte ich einen Rotarier kennen, der viele Jahre in Mumbai gearbeitet hatte und über ausgezeichnete Kontakte nach Indien verfügte. Über den Rotary Club Bombay Midtown wurde der Kontakt nach Jalna hergestellt.
Warum muss jedesmal ein großer Spendenanteil für den Transport der Ausrüstung „geopfert“ werden? Warum lassen Sie die meisten Sachen nicht einfach da? Eine Klinik gibt es doch in Jalna auch. Erhalten Sie von dort keine Unterstützung?
Selbstverständlich unterstützen das Jalna Mission Hospital – das ist das Krankenhaus, das uns Operationssäle und Stationsbetten zur Verfügung stellt – und der dortige Rotary Club unsere Arbeit. Jedoch haben Medikamente und Verbrauchsmaterialien Verfallsdaten und können deshalb nicht unbegrenzt gelagert werden. Geräte und Instrumente müssen fachmännisch überprüft und gewartet werden. Das ist vor Ort nicht gewährleistet.
Inzwischen haben wir unter enormen bürokratischen und logistischen Schwierigkeiten mit Hilfe unter anderem der Hattinger Firma Köppern zwei gebrauchte Narkosegeräte für den dauerhaften Verbleib nach Jalna geschafft. Sie müssen zu Beginn unseres Aufenthaltes jedes Mal aufwendig funktionstüchtig gemacht werden.
Sind indische Ärzte so schlecht ausgebildet, dass sie diese Operationen nicht selbst durchführen können?
Indische Ärzte sind in der Regel sehr gut ausgebildet, aber es gibt für die Bevölkerungsdichte viel zu wenige Spezialisten für die von uns operierten Krankheitsbilder. Außerdem behandeln wir die Patienten kostenlos, was den indischen Kollegen aus wirtschaftlichen Gründen natürlich nicht möglich ist.
Wie kommen Sie hier in Hattingen an Kollegen, die Ihnen bei den Operationen helfen, also Ärzte und Pfleger? Mussten Sie da zumindest früher große Überzeugungsarbeit leisten?
Überzeugungsarbeit muss man nicht leisten. Alle Mitglieder des Teams sind hochmotiviert und begeistert bei der Sache. Qualifizierte Kollegen und erfahrenes Pflegepersonal werden von der Kernmannschaft gezielt angesprochen.
Was schätzen Sie, Herr Dr. Schlosser, wie vielen Patienten haben Sie im Laufe der Jahre wieder zu einem „normalen“ Leben verhelfen können? Wie viele OPs machen Sie pro Tag?
Bisher wurden in Jalna weit mehr als 1.000 Kinder operiert. Pro Tag werden bis zu 15 Operationen durchgeführt.
Empfinden Sie den Aufenthalt in Jalna als Stress? Haben Sie Gelegenheit zum Ausgleich? Sehen Sie etwas von „Land und Leuten“ außerhalb des Operationssaals? Wie sieht für Sie persönlich ein „normaler“ (Arbeits-)Tag in Jalna aus?
Der Aufenthalt in Jalna ist kein Stress für uns. Lediglich im Vorfeld bei den Vorbereitungen neben dem normalen Arbeitsalltag sind wir häufig gestresst, weil es immer irgendwelche neuen Schwierigkeiten gibt.
Gelegenheiten zum Ausgleich sind sehr knapp bemessen. Lediglich an zwei Sonntagen wird nicht gearbeitet und vor der Rückreise nach Deutschland gibt es noch eineinhalb Tage zur Regeneration. Wer möchte, hat dann die Möglichkeit zum Sightseeing.
Der Arbeitstag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück um sieben Uhr. Danach holt uns der Krankenhausbus ab, so dass wir um acht Uhr mit den Operationen beginnen können. Wir arbeiten, bis alle kleinen Patienten , die für diesen OP-Tag vorgesehen waren, operiert sind. Das kann bis 21 Uhr dauern. Der Krankenhaustag endet mit der Visite auf den Stationen.
Danach werden wir zum gemeinsamen Abendessen in unser Hotel zurückgebracht.
Tagsüber werden wir durch den Rotary Club Jalna mit Getränken und Mahlzeiten versorgt.
Warum wird es immer schwieriger, das Jalna-Projekt finanziell abzusichern?
Das Projekt lebt von Spenden und die Spendenbereitschaft ist keine konstante Größe. So müssen wir von Jahr zu Jahr darauf vertrauen, dass ausreichend Spendengelder zusammen kommen.
Wie können die STADTSPIEGEL-Leser Ihre wichtige humanitäre Arbeit langfristig unterstützen?
Das Wichtigste ist eine Kontinuität bei der Beschaffung von Spendengeldern. Die Idee mit den Patenschaften für zu operierende Kinder finde ich sehr gut! Denkbar sind natürlich auch andere Aktivitäten wie zum Beispiel Spendenläufe oder Schulbasare. Das Projekt Jalna muss bei den Hattingern präsent sein.
Foto oben:
Was darauf zu sehen ist, beschreibt Dr. Gerhard Schlosser (ganz rechts im Foto) selbst so: „Die Öllampe wird in jedem Jahr zu Beginn des Einsatzes für dessen gutes Gelingen im Rahmen der Eröffnungszeremonie von vier für den Ablauf des Hilfseinsatzes wichtigen Personen an dementsprechend vier Dochten entzündet. Am Ende der Zeremonie wird diese wieder gelöscht. Auf dem Bild links neben mir ist Dr. Anil Tibrewalla dargestellt, plastischer Chirurg aus Mumbai, der seit 2004 Jahr für Jahr an einigen Tagen den Einsatz aktiv begleitet und auch den Indern in Mumbai und Jalna bei organisatorischen Dingen hilft. Von der Öllampe leider verdeckt Herr Barwale, ein sehr einflussreicher Industrieller, von uns und von den Indern auf Grund seiner Bescheidenheit und seines großen sozialen Engagements hoch verehrt. Er ist eigentlich für uns die wichtigste Person in Indien. Er nutzt alle seine Möglichkeiten, um uns mit dem umfangreichen Gepäck durch den indischen Zoll und dann per Flieger weiter nach Jalna zu bringen. Neben ihm steht der Präsident des Rotary Clubs Jalna. Das junge Mädchen links ist eine ehemalige Patientin, die vor Jahren an einer Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte operiert wurde.“
Information
Im Februar 2013 wird zum zehnten Mal von hier aus ein Team nach Jalna starten, das der Rotary-Club Hattingen/Ruhr unterstützt.
Spenden sind für einen Fortbestand dieser Aktion dringend erforderlich
Patenschaften sind für die Operationen in Jalna ebenfalls möglich.
Spendenkonto 20 60 11 von „Rotary Hattingen hilft e.V.“ bei der Sparkasse Hattingen (BLZ 430 510 40).
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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