Burkhardt Pfläging, Orchestergeschäftsführer

Selbst am Tag seiner Hochzeit, als vormittags dieses Foto in der heimischen Küche entstand, wurde Burkhardt Pfläging als Orchestergeschäftsführer gefordert. Foto: Mischa Blank
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Burkhardt Pfläging ist Blankensteiner, der jetzt in Sprockhövel wohnt und in Wuppertal arbeitet. Nichts Besonderes so weit also für Menschen aus dem STADTSPIEGEL-Verbreitungsgebiet. Wie viele Schüler und noch mehr Schülerinnen wollte er Tierarzt werden. Vom selbst vorgezeichneten Weg wich erst mit der wichtigen Vorstufe, dem Abitur, in der Tasche ab.

Doch lassen wir ihn selbst erzählen von dieser seiner großen Phase des persönlichen Umbruchs:
„Ich hatte schon einen Studienplatz für Tiermedizin sicher, in Pisa. Irgendwie musste ich das Studium aber auch finanzieren und entsann mich der Musik. Seit meinem siebten Lebensjahr erhielt ich Geigenunterricht. Ich nahm in dieser Zeit nach dem Abitur also noch einmal ganz intensiv Unterricht und plötzlich erwachte in mir immer stärker der Wunsch Musiker zu werden, er erschien mir wie ein Traum. Die Tiermedizin lief mir schließlich nicht weg, sagte ich mir, das Studium konnte ich auch später noch machen. Bei einem klärenden Gespräch mit meinem Vater versprach ich ihm, wenn ich bis zu meinem 25. Geburtstag keine Anstellung gefunden habe, dann werde ich doch Tierarzt – ohne wenn und aber.“
Und Burkhardt Pfläging schaffte es tatsächlich: Genau an seinem 25. Geburtstag hatte er seine erste Anstellung in der Tasche.
Seinen ersten Musiker-Job hatte er beim Folkwang Kammerorchester Essen, später in Gelsenkirchen im dortigen Orchester. Damit war er eigentlich auch glücklich und zufrieden. Aber eines Tages hörte er davon, dass in Duisburg die Stelle als Orchesterinspektor zu besetzen war. Burkhardt Pfläging: „Darauf habe ich mich einfach mal beworben. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einfach mal zugeben, dass ich nicht unbedingt der ,Vorspieltyp‘ bin. Ich liebe die Musik sehr. Sie stellt für mich etwas sehr Intimes dar. Aber ausgerechnet damit in den Wettbewerb mit anderen zu treten und dabei auch noch der Beste zu sein, um anschließend auch noch ins Orchesterkollegium passen zu müssen – für mich war das immer der blanke Horror.“
Hinzu kam für den heute 45jährigen ein Aspekt, den wir bereitwillig Hüttenarbeitern oder Akkordmalochern zugestehen, den wir aber zunächst kaum bei Künstlern vermuten: Dass nämlich auch deren Beruf körperlich ausgesprochen anstrengend ist. „Durch die teilweise über einen langen Zeitraum hinweg einzunehmende unnatürlich Körper- oder Sitzhaltung habe ich das, was man umgangssprachlich ,Rücken‘ nennt“, beschreibt Burkhardt Pfläging sehr anschaulich. „Außerdem gibt es weitere gesundheitliche Beschwerden, die meine Bewunderung denjenigen gegenüber, die diesen Knochenjob im Orchestergraben bis zur Pensionierung durchhalten, noch steigert. Dann noch über Stunden hinweg die volle Konzentration, um auf die Millisekunde mit den anderen im Orchester da zu sein. Körperlicher Verschleiß ist bei Musikern übrigens inzwischen anerkannt und jedes Instrument hat seine eigenen Verschleißerscheinungen.“
18 Monate blieb der Wahl-Sprockhöveler bei den Duis­burger Philharmonikern, einem seiner Meinung nach besten Orchester weit und breit. Er habe sich sehr wohl dort gefühlt und wäre wahrscheinlich immer noch dort, wenn ihm nicht das Sinfonieorchester Wuppertal und die Stelle als Orchestergeschäftsführer dazwischen gekommen wäre.
Seit dem 1. April 2000 arbeitet er dort. Allerdings kommt er seitdem selbst nicht mehr zum Spielen, sei daher wahrscheinlich ziemlich „eingerostet“. Das liege an seinem Job, der zwar wunderbar sei, aber eben auch sehr anstrengend. „Vor allem muss ich ständig verfügbar sein“, sagt Burkhardt Pfläging. „Sehr oft pendele ich mehrmals täglich zwischen Sprockhövel und Wuppertal. Außerdem sind freie Tage Mangelware.“
Aber was macht denn ein Orchestergeschäftsführer, dessen direkter Vorgesetzter der Orchesterdirektor und darüber der Kulturdezernent ist, überhaupt, wenn er nicht mal mitspielen kann? Burkhardt Pfläging: „Meine Aufgabe beinhaltet nicht mehr und nicht weniger als den Dienstbetrieb aufrecht zu erhalten. Ich nehme Krankmeldungen entgegen, besorge Ersatz, denn die Besetzung unseres 88köpfigen Orchesters muss immer vollständig sein. Bekäme ich das vielleicht mal nicht hin, ginge das sogar so weit, dass man im Extremfall ein ausverkauftes Haus wieder nach Hause schicken müsste. Damit aber genau das nicht passiert, ist es ausgesprochen wichtig, dass ich zumindest landesweit zur Musikerszene engen Kontakt halte. Eigentlich geht es in meinem Job darum, dass ich die Voraussetzungen dafür schaffe, dass optimal Musik gemacht werden kann. Für den Rest sind die Musiker zuständig.“
Hilfreich, lacht er, sei da sicher gewesen, dass er mit fünf Geschwistern groß geworden sei. Ein Orchester sei, auch wenn es kitschig klinge, wie eine große Familie, in der nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sei. Da könnten die Emotionen schon ziemlich hoch kochen, wie er manchmal durch Telefonate mitten in der Nacht, häufiger früh am Morgen oder selbst an seinem Hochzeitstag kurz vor der Trauung erfahren habe.
Und neben den menschlichen, da gibt es noch rein technische Probleme, die es für einen Orchestergeschäftsführer höchstpersönlich zu lösen gilt, Hunderte von Details. Beispielsweise passende Adapter für die Pultbeleuchtungen von 88 Musikern für ein Italien-Gastspiel besorgen, alle wichtigen Details mit einem buchstäblich schnellen, vor allem aber zuverlässigen Spediteur abstimmen, der auf der letzten Japan-Tournee die kostbaren Instrumente auf dem Landweg möglichst sicher und überpünktlich zum nächsten Auftrittsort fährt, weil auf japanischen Inlandsflügen nicht so viel „Gepäck“ (immerhin rund vier Tonnen schwer war das Orchestermaterial!) mitgenommen werden kann. Oder Möglichkeiten für den Tubisten finden, damit der regelmäßig üben kann, obwohl sein eigenes Instrument gerade irgendwo unterwegs ist. Ein Tubist, so heißt es, der mehr als einen Tag mit dem Üben pausieren müsse, sei nur noch ein halber Tubist. Oder, oder, oder.
Überhaupt Japan. Natürlich gehört es zu den Aufgaben von Burkhardt Pfläging, Gastspiele seines Orchesters etwa in Italien und den anderen europäischen Spielorten zu organisieren. Aber Japan, das ist buchstäblich eine andere Welt, in die es zu natürlich immer sehr gut besuchten Konzerten in die Heimat seines Dirigenten Toshiyuki Kamioka ging. Während der vierzehn Tage gastierte das Sinfonieorchester Wuppertal mit zehn Konzerten in neun Städten, darunter Tokio, Yokohama, Fukushima, Nagoya und Fukuoka. Allein die Orchester-Erlebnisse im „Land der aufgehenden Sonne“ würden eine STADTSPIEGEL-Sonderausgabe füllen.
Nur so viel, weil gerade Japan durch das Erdbeben und die Atomkatastrophe so im Fokus steht. Burkhardt Pfläging: „Japan war eine unbeschreibliche Erfahrung. Nach den Konzerten standen die Musiker schon im Unterhemd in der Garderobe, aber die Leute draußen in der Halle haben so getobt, dass wir alle noch einmal raus mussten. Die wollten uns gar nicht mehr von der Bühne lassen. Und hinterher haben die drei Stunden geduldig auf Autogramme in geordneter Reihe gewartet. Umso mehr haben uns alle die Meldungen aus dem Land sehr betrübt, weil wir mit jeder Stadt dort Erlebnisse und viele nette Menschen und Begegnungen verbinden. In Fukushima haben wir am 11. Oktober 2010 noch ein Konzert gegeben. Beim Gedanken daran, was kein halbes Jahr später in eben dieser Stadt passierte, den Menschen, die wir dort kennen und schätzen gelernt haben, fällt es mir bis heute schwer, die Fassung zu bewahren.
Alles in allem liebt Burkhardt Pfläging seinen Job beim Sinfonieorchester Wuppertal über alle Maßen – trotz solcher Katastrophen und auch wenn er ihn manchmal fast verflucht. Zeit für sich spielt in seinem Leben in letzter Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle, weiß er. Und: „Ich danke dem lieben Gott, dass er mir guten Humor, guten Schlaf und einen unverwüstlichen Magen geschenkt hat!“

Selbst am Tag seiner Hochzeit, als vormittags dieses Foto in der heimischen Küche entstand, wurde Burkhardt Pfläging als Orchestergeschäftsführer gefordert. Foto: Mischa Blank
Auch der (heimische) Computer gehört für Orchestergeschäftsführer Burkhardt Pfläging zur Arbeit dazu. Foto: Römer
Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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