Besinnliches von Pfarrer Wilfried Ranft: "Fasten - Atemholen der Seele"
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Aufmerksamkeit beim Fasten richtet sich heute vornehmlich auf die körper-lichen Aspekte wie Abnehmen, Entgiftung, Hautreini-gung oder das Anstoßen von Heilungsprozess und passt insofern gut zu modernen Wellness-Angeboten.
Die evangelische Passions- und Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ bemüht sich seit 29 Jahren, den Fokus verstärkt auf die geistig-seelische Seite des Fastens zu lenken und die Sinnhaf-tigkeit einer sechseinhalbwöchigen Auszeit zwischen Aschermittwoch und Ostern erfahrbar zu machen:
Bin ich frei oder abhängig von bestimmten Lebensmit-teln, Menschen oder Ge-wohnheiten? Wie finde ich zu meiner eigenen Mitte? Wie kann ich wieder beten lernen und Gott neu begegnen? Bin ich fähig, von meinem Reichtum abzugeben und ihn mit anderen zu teilen? Will ich mein Leben neu ausrichten und wichtige Entscheidungen treffen? Bin ich bereit, eigene Grenzen zu akzeptieren? Wo täte es mir gut, Vertrautes loszulassen und Schmerzliches anzunehmen?
Diesen oder anderen Fragen kann ich mich in der Passionszeit stellen, um mir selber wieder näher zu kommen, mich in meinen Beziehungen zu Menschen und Gott neu zu spüren. Das Motto der diesjährigen Aktion lautet übrigens „Gut genug – Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“ und lädt dazu ein, genügsam und zufrieden zu leben, weil wir es auch mal gut sein lassen können.
So kann die Fastenzeit zum Atemholen der Seele werden, wo ich innehalte und achtsam auf meine innere Stimme höre. So verstandenes Fasten ist eine spirituelle Übung, es öffnet das Tor zur Seele und zu Gott, es ist ein Weg nach innen, eine Reise zur Quelle meines Seins, zu meinem wahren Selbst. Dabei stoße ich auf meine eigenen Schattenseiten, meine Ängste, Bedürftigkeit und Sehnsüchte ebenso wie auf meine Quellen, Schätze und Ressourcen wie die Kraft der Liebe oder des Friedens. Ich begegne den uralten Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was trägt mich? Was ist mein Auftrag? Wo ist der Sinn meines Lebens? Ich spüre der Passion Jesu nach und werde gleichzeitig mit ihm.
Am Ende mag dann eine größere Leichtigkeit, ein Gefühl der Befreiung und der Allverbundenheit stehen oder, wie es der Kirchenvater Chrysostomos im 4. Jh. ausdrückte: „Das Fasten ist die Speise der Seele und verschafft ihr Flügel.“
Ich wünsche Ihnen Zeit zum Atemholen und ausreichend Nahrung für Ihre Seele.
Ihr
Pfarrer Wilfried Ranft,
Krankenhausseelsorger
im Evangelischen Kran-
kenhaus Hattingen und
in der Klinik Blankenstein
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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