Mein Wort zum Sontag - Die Krone gegen Dudley und Stephens
Diesmal beschreibe ich kein Gedankenexperiment, wie es Philosophen so gerne anstellen, sondern einen Fall, der sich wirklich zugetragen hat.
Eine Segeljacht geht im Atlantic unter. Die vierkoepfige Besatzung fluechtet sich ins Rettungsbot. Das einzige Essen sind zwei Dosen Gemuese. Kein Trinkwasser.
Man kann sich vorstellen wie grausam die Lage der Maenner ist, auch wenn sie gelegentlich Regenwasser auffangen koennen, das wenige Essen in winzige Portionen rationieren und sogar mal eine Schildkroete fangen.
Kein rettendes Schiff in Sicht, die Situation wird rasch desolat.
Unter solchen extremen Gegebenheiten greift der Mensch oft zu extremen Massnahmen: Nach 18 Tagen schlaegt jemand vor, per Losverfahren jemanden zu bestimmen, der geopfert wird, damit der Rest ueberlebt - per Kannibalismus.
Doch das Auslosen wird abgelehnt und nicht durchgefuehrt.
Wie es jedoch aussieht, ist der 17jaehrige Schiffsjunge, ein Waise, gesundheitlich am staerksten mitgenommen. Er wird schliesslich am 19. Tag umgebracht, damit die anderen Maenner ueberleben koennen.
Vier Tage spaeter werden sie von einem vorbeifahrenden Schiff gerettet, an Land festgenomen und 2 Maenner (Dudley und Stephens) werden vor Gericht gestellt.
War es gerechtfertigt, in dieser Situation einen einzelnen unschuldigen jungen Mann zu opfern, geboren aus der Notwendigkeit, drei Maennern das Ueberleben zu ermoeglichen?
Darueber hatte ein Gericht in England im Jahre 1884 zu entscheiden.
Das Urteil: Es war Mord, es war grundsaetzlich falsch, einen wehrlosen Unbeteiligten umzubringen, keine pure Ueberlebensnotwendikeit in extremen Situationen kann das rechtfertigen, auch wenn der Junge keine Famlie hatte und bereits nahe dem Sterben zu sein schien.
Somit verurteilte das Gericht die zwei zum Tode. Das Urteil wurde spaeter per Gnadenakt von der Koenigin in 6 Monate Haft umgewandelt.
Auch in diesem Falle ging es wieder um die zwei moralphilosophischen Prinzipien:
1. Konsequenzorientiert (Jeremy Bentham, Utilitarismus)
Die Moral bestimmt sich aufgrund der zu erwartenden Konsequenzen. Einer wird geopfert um 3 anderen das Ueberleben zu ermoeglichen.
2. Grundsatzorientiert (Immanuel Kant)
Die Moral bestimmt sich aufgrund grundsaetzlicher, intrinsischer Rechte - ganz unabhaengig von den Folgen.
Aber wie haette das Gericht entschieden, wenn alle Maenner einem Losverfahren zugestimmt haetten oder wenn es sogar die eigene Idee des Schiffsjungen gewesen waere, auszulosen wer sich hergibt?
Wie haetten Sie sich in dem Rettungsboot verhalten? Wie haetten Sie als Juror entschieden?
Ich wuensche Ihnen einen entspannten Sonntag.
Autor:Ulrich Jean Marré, M.A. aus Essen-Ruhr |
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