Im Elterntreff geht es um sexuelle Übergriffigkeit
Mein Kind sagt NEIN

Im Elterntriff ging es an diesem Abend mit Cordula Buchgeister und Juliane Lubisch von der Stadt Hattingen, beide unter anderem zuständig für Kinder- und Jugendschutz, um die Frage des NEIN-Sagen, insbesondere festgemacht an Fragen sexueller Übergriffigkeit.

Zunächst ist den Expertinnen wichtig: Mit sexueller Übergriffigkeit ist nicht ausschließlich der schwere sexuelle Missbrauch gemeint. Schon Berührungen des Kindes können bei ihm ein negatives Gefühl auslösen. Jede Handlung mit, an oder vor einem Kind gegen seinen Willen oder wenn das Kind aufgrund persönlicher Fähigkeiten unwissend ist, wird unter dem Begriff des Missbrauchs zusammengefasst. Dabei, so Juliane Lubisch, sei immer ein Machtgefälle gegeben. Außerdem der Wunsch der eigenen Befriedigung auf Kosten oder zu Lasten des Kindes. In manchen Situationen, beispielsweise im Bereich der Kinderpornographie, komme noch der finanzielle Reiz hinzu.

In der Fachwelt spricht man daher oft von grenzüberschreitenden Erfahrungen, die die Kinder gemacht haben. Fachleute gehen davon aus, dass jedes vierte Mädchen und jeder zehnte Junge betroffen sind. Nur etwa 1/5 der Täter sind dabei Fremde, in der Regel kommen die meist männlichen Täter aus dem direkten Umfeld des Kindes und haben nicht selten sein Vertrauen gewonnen.

Die Stärkung des Kindes, NEIN zu sagen, beginnt eigentlich am Tag der Geburt. So sollten sich Eltern durchaus dagegen zur Wehr setzen, wenn Personen – auch nahestehende – ungefragt das Baby im Kinderwagen ständig berühren. Es gilt dem Kind zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, wenn man Berührungen nicht immer und nicht von allen Menschen möchte. Im Kleinkindalter muss das Kind sagen dürfen, wenn ihm diese Berührungen unangenehm sind. Viele Erwachsene haben noch die Erfahrung gemacht, als Kind Küsse von Verwandten „ertragen“ zu müssen, obwohl sie das nicht wollten. Auch Umarmungen mit Personen, die sie nicht umarmen wollten, waren nicht selten an der Tagesordnung. „Es gilt, die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Dann kann man erkennen, wenn dem Kind etwas unangenehm ist. Und man kann mit dem Nachwuchs darüber reden – dass man bemerkt hat, dass sich das Kind gerade nicht berühren lassen will. „Was mir ein komisches Gefühl macht, muss ich nicht akzeptieren.“
Oft gibt es Kind ein klares körperliches Signal. Etwa durch Mimik oder abwehrende Gestik wird die Abneigung deutlich. Das Kopfschütteln ist dabei eine Vorstufe vom NEIN und der erste Schritt auf dem Weg zum ICH. Je früher ein Kind versteht, dass das in Ordnung ist und es das auch deutlich machen darf, desto besser ist das für sein Selbstvertrauen – auch im Teenageralter. Da geht es dann oft eher um Mobbing. Übrigens: Anfangs wissen Kleinkinder noch nicht, was das Wort NEIN genau bedeutet. Sie probieren es immer wieder aus, um zu sehen, wie die Eltern reagieren. Erst allmählich verstehen sie, dass man damit etwas verweigern kann. Dieser Schritt versetzt Entwicklungsforscher regelrecht in Entzücken, denn das Kind kann jetzt zum ersten Mal abstrahieren: Es benutzt ein Wort, das nicht nur eine Sache meint, sondern sich auf unterschiedliche Situationen anwenden lässt: aufs Zähneputzen, aufs Verlassen des Spielplatzes, aufs Schlafengehen – aber eben auch körperliche Nähe.

Fragen wie „Wer darf dich kämmen?“ oder „Wer darf dir wohin ein Pflaster kleben?“ sind Ausdrücke dafür, dass sich das Kind in seiner Gefühlswelt ernst genommen fühlt. Dazu gehört auch, dem Kind ein gutes Wissen über seinen Körper mitzugeben. Körperteile sollten daher immer beim Namen genannt werden und nicht mit Phantasiebegriffen oder Verniedlichungen bedacht werden. Wenn Kinder eine Frage zur Sexualität stellen, sollte diese sachlich beantwortet werden. Ist der Zeitpunkt dafür unpassend, kann man dies dem Nachwuchs durchaus erklären, das Thema dann aber später tatsächlich erneut aufgreifen. Dabei ist es – je nach Alter des Kindes – nicht notwendig, ausufernde Erklärungen zu liefern. Das Kind wird weiterfragen, wenn es noch Fragen hat.
Zu diesem Thema gehört auch der Aspekt, dass bereits Babys Wonne und Lust empfinden. Schöne Gefühle, die mit Berührungen zu tun haben, sind wichtig und gehören von Anfang an dazu, haben aber nichts mit der sexuellen Ausrichtung im Erwachsenenalter zu tun.
Kindern muss auch vermittelt werden: Es gibt einen Unterschied zwischen einem Geheimnis, das man bewahren soll und einer Situation, in der man das Geheimnis offenbaren muss – dies ist dann aber kein Verrat. Nur zu oft versuchen Täter Kinder damit mundtot zu machen, das vermeintliche „Geheimnis“ nicht auszuplaudern. In ihrer Not, eben kein Verräter sein zu wollen, vertrauen sich Kindern niemandem an. Eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Eltern und Kindern, das Wissen der Kinder, sich anvertrauen zu dürfen, hilft.

Mittlerweile begleiten zahlreiche präventive Programme die Kinder durch Kindergarten- und Schulzeit. Wenn sie oder die Eltern dazu Fragen haben, sollte keiner zögern, sich mit Erziehern und Erzieherinnen, Lehrern und Lehrerinnen in ein Gespräch zu begeben. Außerdem stehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stadt Hattingen in der Bahnhofstraße 48 und 51 (Jugendförderung und Jugendschutz) zur Verfügung. Zudem gibt es zahlreiche Einrichtungen, die ihre Hilfe anbieten – etwa der Kinderschutzbund oder „Zartbitter“.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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