Elterntreff zu kindlichen Sprachstörungen
Hör mal, wer da spricht

Wie wichtig Sprache ist und welche zahlreichen Probleme und Sprachstörungen auftreten können, war Thema von Cornelia Österreich, Awo-Schule für Logopädie in Hattingen. Heute wissen wir, dass Kinder bereits im Mutterleib ein Hörerlebnis haben – umso wichtiger ist es, wie wir mit dem Thema umgehen.
Das Hören ist eingebunden in die sensomotorische Entwicklung des Kindes. Schreien, Lallen, Sprechen, Lesen, Tasten und Motorik – alles entwickelt sich in den ersten Lebensmonaten und Jahren in atemberaubender Geschwindigkeit. Auch die kognitive und sozialemotionale Entwicklung macht große Fortschritte. Sehr gut lässt sich die Sprachentwicklung am Modell eines Baumes verdeutlichen. Die Wurzeln des Baumes wachsen in der sozialen Umgebung, also der Kultur, der Lebensumwelt und Gesellschaft. Sie symbolisieren nötige Voraussetzungen für eine gute Sprachentwicklung. Durch Schreien und Lallen entwickelt sich die Wahrnehmung und Motorik des Sprechapparates. Alle Sinnesleistungen - Sehen, Hören, Tasten - sind nötig, um die kommunikativen Fähigkeiten zu entfalten und Grob- und Feinmotorik zu koordinieren. Die geistige Entwicklung und Hirnreifung sind ebenfalls Voraussetzungen dafür. Die sozial-emotionale Entwicklung schafft die Basis für ein Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und auf andere Menschen und fördert so auch die Sprache. Diese Wurzeln bedürfen einer sensomotorischen Integration, also der Verknüpfung von Wahrnehmung und Handeln. Fehlt eine oder mehrere Wurzeln, so ist die Sprachentwicklung vor Hürden gestellt. Diese Hürden können durch ein förderndes Verhalten, wie sie mit der Gießkanne dargestellt wird, verringert oder überwunden werden, je nach Ausprägung des Defizites. Im Stamm des Baumes wird die Sprechfreude als weitere Voraussetzung für die Entwicklung der in den Wurzeln liegenden Grundlagen angegeben. Auch sie ist eine wichtige Kompensationsmöglichkeit, die durch sprachförderndes Verhalten angeregt wird. Um aber endlich Sprache zu entwickeln, braucht es nicht nur die motorischen und sensorischen Voraussetzungen und Sprachfreude, sondern auch Sprachverständnis. Ohne Sprachverständnis kommt es auch zu keiner Sprachproduktion.

Was ist wichtig für das Erlernen der Sprache?

Die Krone des Baumes gliedert sich in die Bereiche Artikulation, Wortschatz und Grammatik. Neuere Auflagen von Sprachstörungen im Kindesalter ergänzen die Krone des Baumes außerdem durch die Bereiche Kommunikation und Schriftsprache. Im Ast "Artikulation" ist die Entwicklung der Aussprache dargestellt. Zunächst erlernt das Kind einfache, vordere Laute, später schwierigere Einzellaute und Lautverbindungen. Der Ast "Wortschatz" beginnt mit einfachen Silbenverdopplungen ('mamamam'), führt weiter zu einfachen Worten ('Mama', 'Milch') und den weiteren Wortarten (Verben, Personalpronomen etc.) und Sätzen. Mit dem Ast "Grammatik" entwickeln sich Stück für Stück die Regeln der Sprache: Von Einwort- über Zweiwortsätzen bis zur Verwendung von Nebensätzen und der Verbstellung. Im Ast "Kommunikation" wird die Entwicklung kommunikativer Regeln und Fähigkeiten wie das Stellen von Fragen, Dialogführung, das Bitten oder Erzählen beschrieben. Grundvoraussetzungen für das Wachstum des Baumes - der Entwicklung von Sprache - ist zwischenmenschliche Wärme, Liebe und Akzeptanz, die durch die Sonne symbolisiert werden (nach Wolfgang Wendlandt).
„Sehr wichtig ist, dass ein Begriff, den man erlernt, mit dem Wort begreifen zu tun hat. Das Sprachverständnis entwickelt sich vor der aktiven Sprache. Das können wir selbst erleben, wenn wir an eine Fremdsprache denken. Auch hier verstehen wir zunächst besser, als das wir sie sprechen. Um Sprache zu lernen, ist Kommunikation und zwar eine solche im persönlichen Umgang sehr wichtig. Ich erlebe es oft, dass Eltern von Kindern mit Sprachauffälligkeiten sagen, ihre Kinder würden alles verstehen, aber nicht sprechen. Sie vergessen dabei oft, dass wir Sprache in bestimmte Situationen und unterstützt von Gestik und Mimik nutzen. Es ist also durchaus möglich, dass ein Kind eben nicht alles versteht, was der Erwachsene sagt“, erzählt Cornelia Oesterreich.
Unter Sprachentwicklungsstörungen (SES) versteht man zeitliche und/oder strukturelle Abweichungen von der normalen Sprachentwicklung. Und davon gibt es ziemlich viele. Der Erwerb des grammatischen Regelsystems kann gestört sein, d.h. Kinder können Probleme mit der Deklination und Konjugation haben. Der korrekte Satzbau kann ebenfalls gestört sein. Hierzu zählen Umstellungen und Auslassungen von Satzelementen, wobei die falsche Stellung des Verbs besonders auffällig ist. Das Kind kann quantitative und/oder qualitative Probleme beim Erwerb des Wortschatzes bekommen. Dies betrifft einerseits das Sprachverständnis für die Wortbedeutung, andererseits die Kategorisierung von Wörtern (z. B. Tier – Hund). Daneben treten Wortabruf- und –Speicherstörungen auf. „Auch Kinder kompensieren ihr Wortschatzdefizit häufig über Gestik und Mimik. Sie erschließen sich die Bedeutung der Worte und Sätze teilweise nur aus dem situativen Zusammenhang heraus. Bei einer phonologischen Störung hat das Kind Probleme beim Erwerb des Lautinventars, d.h. es erwirbt die Laute oder die Regeln zu ihrer Kombination fehlerhaft oder unvollständig. Dies äußert sich darin, dass es Wörter fehlerhaft ausspricht (z. B. Bume statt Blume)“, erklärt die Expertin. Kinder, bei denen mehr als fünf Laute gestört sind, werden in der Regel von Fremden und teilweise auch in der Familie nicht verstanden. Phonologische Störungen der Aussprache sind von sprechmotorischen Artikulationsstörung abzugrenzen. Die Alalie (lat. alalia) ist eine Sprachentwicklungsstörung. Sie bezeichnet das Unvermögen (artikuliert) zu sprechen. Bei einem Kind mit Alalie ist keine Sprachentwicklung vorhanden.
Daneben gibt es natürlich auch noch Aphasien. Eine kindliche Aphasie liegt vor, wenn Kinder durch eine akute Hirnschädigung einen teilweisen oder auch vollständigen Verlust der bis dahin erworbenen sprachlichen Fähigkeiten erleiden (ab ca. 2,5 Jahren, bzw. einer Sprachentwicklung mindestens auf Wortebene). Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu Störungen der Sprachentwicklung dar.
Heute haben wir mit den regelmäßigen Untersuchungen bei Ärzten und anderen experten sowie durch die geschulte Arbeit von Erziehern in Kindertageseinrichtungen ein gutes Netzwerk, frühzeitige Auffälligkeiten schnell zu entdecken. Eltern können ihr Kind selbst gut unterstützen: Verbessern Sie ihr Kind nicht bei fehlerhaftem Wortgebrauch, sondern wiederholen Sie die Wörter einfach richtig. Dadurch fühlt sich das Kind verstanden und angenommen. Es wird auf den Inhalt, nicht auf die Form geachtet und das Kind wird zum weitersprechen animiert. Schaffen Sie eine positive Sprachatmosphäre und halten Sie Blickkontakt zum Kind – die deutlichste Form, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.

Kontakt: Schule für Logopädie, Arbeiterwohlfahrt Unterbezirk Ennepe-Ruhr, Martin-Luther-Straße 13, 45525 Hattingen, Telefon 02324/500 430

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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