Elterntreff: Mein Kind sagt NEIN
Im Elterntreff ging es an diesem Abend mit Juliane Lubisch, Stadt Hattingen, zum zweiten Mal in diesem Jahr um die Frage des NEIN-Sagen, festgemacht an Fragen sexueller Übergriffigkeit. „Zunächst muss man leider sagen: Einen 100prozentigen Schutz gibt es nicht. Doch je mehr wir wissen, umso besser können wir die Kinder schützen.“
Juliane Lubisch blickt in die Geschichte und erklärt: „Sexuelle Übergriffigkeit hat es schon immer gegeben. Pädophile Neigungen waren ebenfalls schon in der Antike bekannt. Fast 94 Prozent der Missbrauchsfälle kommen aus der Familie heraus oder aus dem familiären Umfeld. Mit großer Mehrheit sind Mädchen betroffen, aber immerhin sind 30 Prozent der Opfer männlich. Zu beachten ist auch, dass Jungen sich seltener durch Gefühle mitteilen – gerade in der Pubertät. Noch immer gilt dies als schwach oder nährt das Vorurteil, sie seien möglicherweise homosexuell. Deshalb verschweigen viele, was ihnen passiert oder passiert ist. Oder sie reagieren über aggressive Handlungen.
Umgekehrt verhält es sich bei dem Täterprofil. Hier sind nur 14 Prozent der Täter weiblich. Ich habe es in fast vierzig Jahren Berufserfahrung auch oft erlebt, dass Frauen ihren Partnern quasi einen Gefallen tun wollten und ihnen die Berührungen der Kinder oft erst möglich machten und bewusst wegschauten – erst recht dann, wenn nicht Gewalt im Sinne von Schlagen im Spiel war. Um Kinder vor Übergriffen zu schützen, müssen möglichst früh Respekt und Beachtung der körperlichen Grenzen bei Kindern entstehen. Das Kind hat das Recht NEIN zu sagen – auch bei den nicht gewünschten feuchten Küssen der Tante. Wenn ein Kind früh lernt, dass es bei einem unguten Gefühl dieses auch aussprechen kann und Erwachsene es ernst nehmen, dann wird es seltener zum Opfer. Die Strategie der Täter besteht darin, sich ein Opfer auszuwählen, von dem der Täter glaubt, es möglichst lange unter Druck setzen zu können. Es gibt hier verschiedene Strategien. Beispielsweise kann der Täter am Anfang einem Kind eine herausragende Stellung zukommen lassen und baut später einen Druck auf, der langsam erhöht wird. Oder der Druck ist von Anfang an vorhanden, wenn das Kind nicht tut, was der Täter will. Wichtig ist zu wissen: es geht dem Täter niemals um eine sexuelle Befriedigung. Es geht ihm immer um Macht und dadurch erzielt er seine sexuelle Befriedigung.“
Wie kann man sein Kind schützen?
Für die Expertin ist die Aufarbeitung des Missbrauchs beim Opfer von besonderer Bedeutung. Doch gerade das ist auch schwierig, vor allem dann, wenn die Kinder sehr jung sind. „es werden schon Babys missbraucht. Diese haben dann später zwar eine Erinnerung an Schmerz oder besondere Gerüche, aber sie können natürlich nichts Verwertbares erinnern, um den Täter zu identifizieren. Perfide wird es, wenn der Täter die schönen Gefühle einer Berührung ausnutzt und diese mit dem Satz begleitet: Du wolltest das doch auch. Um es klar zu sagen: Ein Kind kann gegenüber der Macht und Überlegenheit des Erwachsenen sich niemals aus eigener Kraft gegen das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs zur Wehr setzen. Und es gibt noch eine Schwierigkeit, die ich immer wieder in der Berufspraxis erlebe: Wenn ein Kind beschreiben muss, was ihm widerfahren ist, dann ist das immer dann noch problematischer, wenn es beispielsweise Geschlechtsteile nicht beim Namen nennen kann. Aus solchen Situationen entstehen nicht konkrete und juristisch kaum verwertbare Aussagen, die auch zu Missverständnissen führen können. Sätze wie ,Und dann hat der Papa mit der Finger in Po gesteckt‘ können auf einen Missbrauch ebenso hindeuten wie aber auch auf die medizinische Gabe eines Zäpfchens verweisen.“
Was aber kann man tun, um Kinder zu schützen? „Zunächst einmal ist die Wahrnehmung der kindlichen Gefühle durch die Erwachsenen sehr wichtig. Und das, was wir wahrnehmen, müssen wir den Kindern auch mitteilen: Ich sehe, Du ärgerst Dich gerade. Magst Du mir erzählen, warum? Wir können aber auch ganz konkrete Schritte machen: Beispielsweise sollte es zur Regel werden, dass ein Kind auf einem Weg an einer Straße innen geht und der Erwachsene außen. Das schützt das Kind vor dem Straßenverkehr, wenn es unbedacht zu weit zur Straße hintendiert – aber es schützt eben auch dafür, in ein Fahrzeug gezogen zu werden. Und wenn es diese Regel gibt, kann man sie dem Kind leicht mit den Gefahren im Straßenverkehr begründen, ohne ihm explizit Angst machen zu müssen. Die Täter suchen sich oft Kinder aus, die wenig Zuwendung erfahren – und bauen genau darüber eine persönliche Beziehung auf. Dies gilt zumindest für die Täter, die nicht aus dem persönlichen Umfeld des Opfers kommen.
Dann muss ich einfach auch wissen, was mein Kind in der Freizeit macht. Ich muss Interesse zeigen an den Dingen, die mein Kind tut. Ich gebe ihm konkrete Regeln auf den Weg: Du bleibst nicht alleine auf dem Spielplatz. Wenn die anderen gehen, dann gehst Du auch.
Und ich muss ihm beibringen, zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden. Natürlich darf man das Geburtstagsgeschenk für die Mama nicht vor dem Geburtstag verraten. Aber wenn jemand zu dem Kind sagt, wenn Du unser Geheimnis verrätst, dann kommst Du ins Heim und ich ins Gefängnis – dann ist das auf jeden Fall etwas anderes.
Im Fazit muss ich sagen: Unbequeme Kinder sind einfach seltener Opfer. Das heißt nicht, dass man respektlos ist und alles ablehnt. Aber ein gesundes Selbstbewusstsein ist wichtig und das müssen Erwachsene erkennen und darin ihr Kind fördern.
Mittlerweile begleiten zahlreiche präventive Programme die Kinder durch Kindergarten- und Schulzeit. Wenn sie oder die Eltern dazu Fragen haben, sollte keiner zögern, sich mit Erziehern und Erzieherinnen, Lehrern und Lehrerinnen in ein Gespräch zu begeben. Außerdem stehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stadt Hattingen in der Bahnhofstraße 48 und 51 (Jugendförderung und Jugendschutz) zur Verfügung. Zudem gibt es zahlreiche Einrichtungen, die ihre Hilfe anbieten – etwa der Kinderschutzbund oder „Zartbitter“.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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