Elterntreff: Diagnose Rechenschwäche II
Schon im November 2016 hatte der Elterntreff sich mit dem Thema Rechenschwäche beschäftigt. Im April 2017 wurde eine vertiefende Veranstaltung zu dem wichtigen Thema nachgeschoben.
Zur Erinnerung: Rund 150.000 Grundschulkinder in Deutschland sind von einer Rechenschwäche (Dyskalkulie) betroffen. Mit mangelnder Intelligenz hat das nichts zu tun und eine Krankheit ist dies auch nicht (genauso wenig wie die Rechtschreibschwäche). Laut Weltgesundheitsorganisation liegt die Rechenschwäche vor, wenn eine „Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten“ gegeben ist, die sich vor allem auf die Grundrechenarten bezieht. Im Elterntreff „Hattingen hat interessierte Eltern“ erklärten Anna Wohl und Verena Pingel vom Institut für Diagnostik und Lerntraining in Hattingen, wie mathematische Kompetenzen entstehen und woran Eltern schon früh Mängel erkennen können.
Die Rechtschreibschwäche offenbart sich vor allem in den vier Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Ganz wichtig: Eine schlechte Note in Mathe muss nicht zwangsläufig auf Dyskalkulie verweisen und umgekehrt kann auch jemand mit einer guten Note an dieser Schwäche leiden. Sie wird ihn dann sein Leben lang begleiten, kann durch Förderung aber gemindert werden. Darum ist es wichtig, möglichst früh eine Diagnose zu bekommen, ob Förderungsbedarf vorliegt.
Nicht heilbar, aber zu mindern
Mathematische Kompetenzen entwickeln sich von der Geburt bis zum Grundschulalter in fünf Stufen. Wir wissen heute, dass schon Säuglinge ein einfaches Mengenverständnis haben. In der ersten Stufe werden Mengenveränderungen von 1 bis 3 wahrgenommen, Zahlworte werden erlernt. Mit knapp vier Jahren können die meisten Kinder die Zahlreihe bis zehn. In der Stufe 2 bewältigen Fünfjährige bereits kleine Rechenaufgaben zählend und nutzen Zahlwörter, um die Objekte zu zählen. Noch werden die zu zählenden Objekte, zum Beispiel Bausteine, berührt. In der dritten Stufe kann aus einer Gesamtmenge eine Teilmenge bestimmt werden. Die Kinder wissen auch, wie der Vorgänger oder der Nachfolger einer Zahl heißt. In der vierten Stufe vertieft sich dieses Verständnis. Die letzte Stufe wird im Eingangsunterricht der Schule erreicht. Zerlegungsstrategien werden angewandt und es wird verstanden, dass sie das Rechnen erleichtern. Die Grundrechenarten Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Teilen werden erlernt und verstanden.
Beiden Referenten ist eines wichtig: Dies ist ein Modell. Jede kindliche Entwicklung verläuft allerdings anders. Und nicht immer werden alle Stufen der Reihe nach vollständig vollzogen.
Dyskalkulie hat nicht immer etwas mit schlechter Mathenote zu tun
Man hat festgestellt, dass Kinder mit Rechenschwäche Schwierigkeiten in der Wahrnehmung haben. Vor allem bezieht sich dies auf die Wahrnehmung des Raumes – sie können Zahlen nicht damit verbinden, also eine Zahl ist größer, kleiner, höher, weiter weg als eine andere Zahl. Aber: Auch hier gilt, dass nicht jede kleine Wahrnehmungsschwäche zu einer Dyskalkulie führt.
Vor dem Eintritt in die Grundschule sollten Kinder drei Fähigkeiten als Grundlage gelernt haben: Klassifikation, Seriation und Mengeninvarianz. Was genau ist das? Klassifikation bedeutet, Kinder können nach Merkmalen wie zum Beispiel Farbe oder Größe sortieren. Seriation bedeutet, Kinder können Ordnungsreihen wie zum Beispiel größer oder kleiner als einordnen. Und Mengeninvarianz meint, Kinder können verstehen, dass sich eine Menge oder Größe nicht durch die Anordnung im Raum ändert, beispielsweise dadurch, dass man fünf Steine in der Länge verschiebt oder eine Flüssigkeit von einem kleinen dicken Glas in ein großes dünnes Glas umgießt. Die Menge bleibt gleich.
Hier kann man Kinder spielerisch sehr gut unterstützen. Bausteine dienen dazu (Sortieren nach Farben oder Formen), aber man kann das auch mit Nudeln, Smarties oder Knöpfen machen – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Und selbst das ungeliebte Aufräumen kann so ein sinnvolle Unterstützung werden.
Ganz wichtig: Sortierspiele am Computer können das BE-GREIFEN nicht ersetzen. Kinder brauchen dazu die Haptik, müssen etwas anfassen und von einem Ort zum anderen selbst bewegen können.
Schon vor dem Schuleintritt können Eltern auf Warnsignale achten, die auf eine Rechenschwäche hindeuten könnten: Wenn ihr Kind Probleme mit Rechts-Links-Orientierung hat oder unsicher ist, ob etwas neben, unter, vor oder über zuzuordnen ist, dann sollten Eltern einen Experten aufsuchen. Ebenso gilt dies bei unrealistischen Vorstellungen von Größen wie zum Beispiel „Das Pferd ist drei Meter hoch“ oder „Ich musste fünf Stunden warten“. Hinweise auf eine Rechenschwäche können auch sein, dass das Kind Spiele wie Lego, Puzzle oder Memory meidet. Dies sind Spiele, die eine Handlungsplanung erfordern. Auch Schwierigkeiten bei der Nachahmung von Bewegungen oder dem Nachbauen von Figuren können Hinweise sein. Dies gilt auch für Probleme beim Benennen von Farben oder beim Zählen vor- und rückwärts.
Natürlich gibt es auch Warnsignale nach dem Schuleintritt. Aufgaben werden immer noch zählend gelöst, weil die Zahlen nicht als Vertreter von Mengen verstanden werden. Das Stellenwertsystem wird nicht verstanden – 503 wird als 5003 geschrieben oder 60 – 50 wird im Ergebnis als 1 bezeichnet. Auch Schätzen kann das Kind nicht. Probleme gibt es auch damit, was eine Rechenoption überhaupt bedeutet: Subtrahieren beispielsweise heißt „ich nehme etwas weg“.
Schreitet der Schulstoff voran, ohne das die Rechenschwäche diagnostiziert wird, lernt das Kind immer mehr auswendig – ihm fehlt aber das nötige mathematische Grundverständnis. Und das bezieht sich nicht nur auf das Schulfach Mathe, sondern auf viele Dinge des alltäglichen Lebens.
Beim Verdacht einer Rechenschwäche bieten standardisierte Rechentests klassenbezogene Vergleichswerte und qualitative Analysen. Ist eine Rechenstörung diagnostiziert, schauen sich die Experten auch das Umfeld des Kindes an. Fördermaßnahmen haben dann den besten Erfolg, wenn alle Beteiligten gut zusammenarbeiten. Dyskalkulie ist zwar nicht vollständig heilbar, aber es gibt gute Fördermöglichkeiten, die nicht nur das Leben erleichtern und helfen, die Dyskalkulie zu überwinden, sondern Kinder trotz dieser Einschränkung zum Abitur führen können. Wenn eine Lerntherapie stattfindet, muss man etwa mit einem Zeitraum von zwei Jahren rechnen und einem wöchentlichen Termin von 45 Minuten Dauer. Außerdem werden die Bezugspersonen eng eingebunden und sind an der Therapie beteiligt.
In jedem Fall ist es wichtig, Seh- und Hörstörungen auszuschließen. Auch hier kann nämlich ein Grund liegen, weshalb das Kind mit Zahlen Schwierigkeiten hat.
Kontakt: I.D.L. Hattingen, Bahnhofstraße 25, 45525 Hattingen, Telefon 02324/21315; Email hattingen@idlweb.de oder Erziehungsberatungsstelle der Stadt Hattingen, Bahnhofstraße 51, Telefon 02324/24306.
Nächster Elterntreff: Mittwoch, 17. Mai, 19 bis 20.30 Uhr, Altes Rathaus, zum Thema "Turbulenter Alltagstrott: Wie bekomme ich die größtmögliche Zufriedenheit zwischen mir und meinem Kind hin?" Zu Gast ist Ergotherapeutin Rabea Kemper.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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