Das Thema Sucht muss raus aus seiner Schmuddelecke
Das „Café Sprungbrett“ macht sich Sorgen. Weniger über die eigene Zukunft, die mittel- bis langfristig gesichert ist. Vielmehr geht es der niederschwelligen Kontaktmöglichkeit für Suchtkranke und deren Angehörigen, Sozialschwache und der Heimstatt gut eines Dutzends von Selbsthilfegruppen am Steinhagen 19 um die anstehenden warmen Sommertage. Die verleiten ihren Erfahrungen nach viele und gerade auch Jugendliche zum übermäßigen Alkoholkonsum.
„Alkohol in Maßen ist kein Thema“, so Sprungbrett-Geschäftsführer Peter Dresia. „Sorgen bereiten uns die Exzesse.“ Der Diplom-Sozialarbeiter, Betriebswirt, Sozialtherapeut und approbierter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut glaubt, in Hattingen gäbe es zu wenige Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche. „Über das Haus der Jugend und seine hervorragende Arbeit sowie die Jugendzentren in den Stadtteilen hinaus gibt es doch nichts Attraktives mehr. Da treffen sich viele mit ihrer Clique. Dabei spielt Alkohol eine große Rolle.“
Koma-Saufen sei oft die Folge. Zu den beliebten Treffpunkten gehören seiner Erfahrung nach der Bereich ums alte Zollhaus, das Ruhrufer und der kleine Park mit den zwei Teichen an der Augustastraße.
„Bei uns melden sich immer wieder aufgeregte Eltern, vor allem wenn zu lesen war, dass massiver Alkoholmissbrauch selbst vor der Schule nicht Halt macht“, schildert er und gibt ein Beispiel: „Da musste kürzlich ein 14jähriger Jugendlicher mit 3,5 Promille Alkohol im Blut notärztlich eingewiesen werden – von der Schule aus. Meines Erachtens müsste es gerade für diese Altersgruppe mehr geben über Prävention, Aufklärung und Informationen hinaus. All das leisten wir und andere ja bereits. Es mangelt aber an Freizeitangeboten – auch angeleiteten. Und speziell an Streetworkern, um möglichst schon in der Frühphase mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Da müssen Konzepte und Veranstalter genauso her wie ein Maßnahmen-Mix. Glücklicherweise hat das die Landesregierung ja erkannt und will dafür Geld in die Hand nehmen, um solche Maßnahmen zu fördern.“
Speziell für soziale Problemfälle und diejenigen, die konsumieren, müsse etwas getan werden, findet der Fachmann. Peter Dresia: „Das muss hinausgehen über das, was das JobCenter leisten kann. Ich denke an ein Gesamtpaket aus Beratung, Betreuung, Therapie und am Ende steht idealerweise ein Berufsabschluss.“
Maßnahmen dieser Art bietet das Café Sprungbrett an. Aber: „Leider bekommen wir trotz unseres Einsatzes nicht immer viel Anerkennung von höherer Stelle. Dabei haben wir uns nicht nur in Hattingen mit rund 10.000 Besuchern jährlich einen guten Namen erarbeitet, sind selbst auf Bundesebene keine unbekannte Größe.“
Für rund 200 Stammgäste, die teilweise täglich kämen, denn das „Sprungbrett“ hat 365 Tage im Jahr geöffnet, während vergleichbare Einrichtungen sich um ihre „Kunden“ nur zu den üblichen Geschäftszeiten kümmere, sei das suchtmittelfreie Café am Steinhagen zum Lebensmittelpunkt und Familienersatz geworden. Peter Dresia: „Wir haben rund 30 Personen, die ganz stark zu betreuen sind. Außerdem decken wir mit 4,5 hauptamtlichen Stellen, die auf fünf Mitarbeiter verteilt sind, seit fünf Jahren den Beratungsbedarf von etwa 300 Leuten. Ein Großteil davon hat massive Suchtprobleme. Besonders präsent unter den stark chronifizierten Suchtkranken sind die Gruppen der 15- bis 25jährigen und die der Senioren. Letztere sind von einer, so sagt eine Studie, manchmal zu laschen Verschreibungspraxis abhängig geworden, andere leiden unter Alterseinsamkeit oder Altersarmut oder schlicht Langeweile. Manche betäuben auch ihren Frust darüber, trotz höherem gesetzlichem Rentenalter keinen Job, keine Beschäftigung zu finden, nicht gebraucht zu werden. Und an Alkohol ,zum Trösten‘ kommt jeder überall leicht heran. Das ist übrigens ein Thema, um das sich bereits Suchtforscher kümmern.“
Die Schattenseite dieses umfangreichen Engagements: immense Kosten. Wie das Café Sprungbrett solche Maßnahmen finanziert, beschreibt Geschäftsführer Peter Dresia so: „Wir versuchen, Löcher durch uns fehlende Gelder mit gezielten Projekten zu stopfen. Beispielsweise denke ich da an ein Modellprojekt mit dem Haus Theresia in Bredenscheid mit ambulanter und teil-stationärer Behandlungsmöglichkeit. Es geht um Zielgruppen-Seminare wie Suchtkranke im Rentenalter. Dieses Projekt liegt zur Prüfung zurzeit beim Kreis, der gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe auch Kostenträger wäre. Ich bin da optimistisch, denn unsere Lösung ist in jedem Falle kostengünstiger als ein stationärer Aufenthalt.“
Zur Finanzierung seiner Arbeit hat der „Förderverein zur Suchtarbeit Sprungbrett e.V.“ eine Stiftung gegründet. Deren Kapitalerträge fließen in die Arbeit der gemeinnützigen Einrichtung. „Leider ist das aber nicht mehr so viel, dass wir eine derart große Einrichtung finanzieren können“, bedauert Peter Dresia. „Daher sind wir auf Unterstützung angewiesen, obwohl uns die Sparkasse und andere gut fördern. Damit keine falschen Vermutungen aufkommen: Wir stehen hier keinesfalls vor der Insolvenz. Aber langfristig muss sich bei Projekten dringend etwas tun. Anfangs bekamen wir gute Zuweisungen, mit denen wir fast zehn Jahre haben arbeiten können. Wenn künftig solche Dienste wie der unsere aufrecht erhalten werden sollen, dann brauchen wir die öffentliche Hand mit einer gerechteren öffentlichen Förderung oder Projekte zur Refinanzierung. Leider sind unsere Erwartungen an die Kommune und den Kreis bislang nicht so erfüllt worden.“
Dem Café Sprungbrett, das 2012 zehn Jahre bestehen wird, ist es ein Anliegen, das Thema Sucht aus der „Schmuddelecke“ zu holen. Peter Dresia: „Sucht muss öffentlich gemacht werden. Wir vom Sprungbrett stehen den Menschen mit einer Mischung aus Ehrenamt, Selbstbetroffenheit, Selbsthilfe und professioneller Hilfe zur Seite.“
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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