Wirtschaftliche Nutzungsrechte sollen an den Ruhrverband gehen
Kanalnetz soll Schulden abbauen

Finden die Idee der Kanalnetzübertragung sinnvoll: Norbert Jardin, Vorstand Ruhrverband, Bürgermeister Dirk Glaser und Kämmerer Frank Mielke. Foto: Pielorz
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Die finanzielle Situation in Hattingen ist prekär. Kassenkredite von rund 130 Millionen Euro und Investitionskredite von rund 74 Millionen Euro sowie eine seit Jahren bestehende bilanzielle Überschuldung lassen der Stadt kaum eine Chance, aus der Schuldenfalle zu kommen. Notwendige Investitionen sind schwierig, der Handlungsspielraum sehr gering. Der 11. April könnte das ändern. Dann soll die Politik über die Übertragung der wirtschaftlichen Nutzungsrechte des städtischen Kanalnetztes an der Ruhrverband entscheiden. Stimmt sie dafür, fließen 110 Millionen Euro als Ausgleichszahlung in die Stadtkasse und in den Abbau der Schulden.
Ein Befreiungsschlag, wie Bürgermeister Dirk Glaser und Kämmerer Frank Mielke finden. „Wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig, jede Möglichkeit zu prüfen um weitere Belastungen zu vermeiden!" Sowohl die Stadtspitze als auch der Vorstand des Ruhrverbandes stellen klar, dass nicht an einen Verkauf des Kanalnetzes gedacht sei. Vielmehr sehe das Konzept vor, dem Ruhrverband die Pflichten der Ableitung des gebrauchten Wassers an die Kläranlagen zu übertragen. Der Ruhrverband, Spezialist für Wasser, zahlt an die Städte eine Ausgleichszahlung. Finanzielle Vorteile hat er als Körperschaft des öffentlichen Rechts und somit als „Non-Profit“-Unternehmen durch die Kanalnetzübertragung nicht, wohl aber kann er seine Kernkompetenz ausweiten und Synergieeffekte einsetzen. Das öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsunternehmen sichert die Wasserversorgung für fast fünf Millionen Menschen, reinigt Abwässer und entsorgt anfallende Rückstände. Er wurde 1913 gegründet. Kämmerer Frank Mielke: „Der Ruhrverband ist eine – unter anderem von 60 Kommunen getragene – selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er ist dem Allgemeinwohl verpflichtet und deshalb ist er kein profitwirtschaftlich orientiertes Unternehmen, sondern im besten Sinne ein Mitglied der kommunalen Familie.“ Beide Seiten sprechen von einem Übereinkommen, von dem auch beide Partner profitieren. Die Stadt kann sich 85 Prozent ihrer Kassenkredite entledigen und wird das enorme Zinsrisiko los. Einen besonderen Vorteil, der überregional die Aufmerksamkeit der Finanzfachleute erregt, hat die Hattinger Finanzverwaltung zusätzlich entwickelt. Hattingen kann über die Zahlung der 110 Millionen hinaus weiter profitieren und die Haushaltslage verbessern: Durch Besonderheiten der kommunalen Buchungssystematik, die erstmal in Hattingen genutzt werden, werden in den nächsten 20 Jahren etwa 25 Millionen Euro als Haushaltsverbesserungen verbucht werden können.

Auch Ruhrverband profitiert

Auch der Ruhrverband profitiert. Er ist durch die Änderung des Landeswassergesetzes im Jahr 2016 in der Lage, sein Geschäftsfeld auszuweiten. Durch die Übertragung der Aufgabe der Abwasserableitung von der Kommune auf den Ruhrverband können viele Synergien zum Vorteil der Bürger gehoben werden. Ruhrverbandsvorstand Norbert Jardin: „Wir sind die Spezialisten für Wasser! Wenn das System der Siedlungsentwässerung und Abwasserreinigung zukünftig in einer Hand liegen, können wir den Betrieb und die notwendigen Investitionen besser aufeinander abstimmen – zum Vorteil für unsere Gewässer und die Bürger." Ganz unumstritten waren solche Vorgänge in der Vergangenheit allerdings nicht. 2003 hatte der Rat in Meschede mit dem Ruhrverband vereinbart, auf Basis der gesetzlichen Regelungen die Nutzungsrechte am Kanalnetz zu übertragen. Auch in Hamm sollte das Modell umgesetzt werden, allerdings mit dem Lippe-Verband. Aber: Die damalige Umweltministerin Bärbel Höhn verweigerte die dafür notwendige ministerielle Zustimmung. Die Stadt Hamm verklagte daraufhin das Land NRW auf Erteilung dieser Zustimmung - und erhielt im Dezember 2006 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Recht. Im Frühjahr 2007 gab das Umweltministerium dann „grünes Licht“. Durch Änderung des Landeswassergesetzes am 6. Juli 2016 hat der NRW-Landtag den Mitgliedskommunen eines sondergesetzlichen Wasserverbandes die Möglichkeit eingeräumt, die bereits praktizierte „Kanalnetzoption“ wieder nutzen zu können. Das soll auch unter der neuen Landesregierung so bleiben.
Kämmerer Frank Mielke betont: „Wir haben unabhängige Wirtschaftsprüfer im Auftrag der Gemeindeprüfungsanstalt den Entwurf unserer geplanten Vereinbarung prüfen lassen und grünes Licht erhalten. Auch unsere Aufsichtsbehörde in Arnsberg wurde in Kenntnis gesetzt."
Jetzt hofft die Hattinger Verwaltung, dass der Rat am 11. April dem Vorhaben zustimmt. Vorher, am 18. März, soll die Bürgerschaft in einer öffentlichen Veranstaltung informiert werden und die Möglichkeit erhalten, Fragen zu stellen. Für die 12 Mitarbeiter der Stadt gibt es ein Angebot, auf freiwilliger Basis zum Ruhrverband zu wechseln oder bei der Stadt einen neuen Tätigkeitsbereich zu bekommen. Durch die Kanalnetzübertragung wird es keine Gebührenerhöhung geben.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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