Hattingen: Bürgermeister Glaser überzeugt mit kämpferischer politischer Rede

Am Anfang des Bürgerempfangs der Stadt Hattingen hieß es vor der Gebläsehalle erst einmal Geduld aufbringen, bis sich alle in die Gästeliste eingetragen und ihr blau-weißes Namensschildchen erhalten hatten. alle Fotos: Strzysz
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  • Am Anfang des Bürgerempfangs der Stadt Hattingen hieß es vor der Gebläsehalle erst einmal Geduld aufbringen, bis sich alle in die Gästeliste eingetragen und ihr blau-weißes Namensschildchen erhalten hatten. alle Fotos: Strzysz
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Es war eine gute Rede des neuen Bürgermeisters Dirk Glaser beim Bürgerempfang der Stadt Hattingen in der Gebläsehalle. Vielleicht war es sogar die beste, welche die geladenen Gäste aus Politik und Verwaltung, aus Vereinen und Verbänden und erst recht die vielen Ehrenamtler und „normalen“ Hattinger bei einem Empfang jemals aus dem Mund eines ersten Bürgers der Stadt vernommen haben.

Bis allerdings in den vielen fruchtbaren oder furchtbaren Gesprächen im Anschluss in kleinem oder größerem Kreis miteinander ins Gespräch gekommen wurde, da hatten alle der gut 700 erschienen Gäste – die Stadt hatte über 1.000 Einladungen verschickt – Geduld aufzubringen. Schier endlos schien die Schlange derjenigen, die sich einreihten, um vor der Gebläsehalle ihr obligatorisches blau-weißes Namensschildchen von desob Schwerstarbeit leistenden Freiwilligen der Stadtverwaltung ans Revers geheftet zu bekommen. Eine gute Gelegenheit, sich für das weitere Geschehen in der Halle selbst schon einmal in ein wenig Smalltalk mit seinem Nachbarn in der Schlange zu üben.
Bürgermeister Dirk Glaser leistete ebenfalls Schwerstarbeit, weil er gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Dr. Ulrike Brauksiepe – Stellvertreterin Margret Melsa war wegen eines Trauerfalls verhindert - jedem Gast einen warmen Händedruck und ein freundliches „Guten Tag!“ und/oder „Schön, dass Sie kommen konnten!“ schenkte.
Nachdem auch dem letzten Gast diese Begrüßung zuteil geworden war, eilte er auf die große Bühne der Gebläsehalle. Hier hatte bereits einer der Chöre der Hattinger Sängervereinigung eine Kostprobe seines Könnens in verschiedenen Stilrichtungen gegeben, weitere Beiträge dieses modern aufgestellten ehemals reinen „Männergesangsvereins“ folgten später.

Auf der großen Bühne fühlt sich der Bürgermeister wohl

Auf der Bühne zeigte sich dann, dass Dirk Glaser ein echter Medienprofi ist, 14 Jahre lang im WDR-Fernsehen die Lokalzeit Südwestfalen und anderes moderiert, unzählige Interviews geführt hatte. So einen bringen auch Tonprobleme nicht aus der Ruhe, sondern sind eher willkommener Anlass die Stimmung durch kleine Scherzchen weiter aufzulockern.
Überhaupt führte er locker höchstselbst durch ein bewusst kurz gehaltenes Programm, das mit einem gut fünfminütigen stimmungsvollen Rückblick des Hattinger Filmemachers Claus Barteczko („Ruhrkanal TV“) auf das abgelaufene Jahr begann und mit dem Bürgermeister und seiner Rede mit viel politischer Substanz nebst einem Interview mit drei jungen syrischen Flüchtlingen sowie der ehemaligen Leiterin der Sprockhöveler Grundschule Börgersbruch, der Hattingerin Christa Heinbruch, über ihr ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe gipfelte.
In seiner Rede begrüßte er zunächst einige Ehrengäste – unter anderen die Abgeordneten Ralf Kapschack und Rainer Bovermann, Landrat Olaf Schade sowie den Sprockhöveler Bürgermeister Ulli Winkelmann. Und auch seinen unterlegenen Gegenkandidaten Manfred Lehmann begrüßte der Bürgermeister.
Ein besonderer Dank erging an Alfred Schulte-Stade. Wieder einmal. Denn was wäre das öffentliche Leben in Hattingen ohne ihn als Sponsor? Es gäbe beispielsweise keinen Weihnachtsmarkt und andere Feste mehr. Und auch diesen Bürgerempfang nicht, den Dirk Glasers Vorgängerin im Amt, Dr. Dagmar Goch, aus Kostengründen hatte wegfallen lassen müssen. Dass dieses wichtige Treffen zum gegenseitigen Austausch untereinander oder dem schlichten Kennenlernen wieder möglich wurde, das ist Alfred Schulte-Stade zu verdanken, der für Getränke und Grünkohl mit Mettwurst für alle gesorgt hatte.

Die Rede in Auszügen

Hier nun einige Auszüge aus der Rede von Bürgermeister Dirk Glaser, die ganz ohne Rückblick und Ausblick auskam, dafür ein Dankeschön und eine Bitte enthielt:

Vieles von dem, was unsere Stadt zusammenhält, was sie liebenswert macht, könnten wir gar nicht bezahlen. Es passiert trotzdem, weil sich Menschen um Menschen kümmern. Weil sich Bürgerinnen und Bürger, ohne nach Lohn zu fragen, engagieren. Bei der Betreuung der Flüchtlinge in Hattingen wird es besonders deutlich.“
Liebe Sponsoren, liebe Ehrenamtler und freiwilligen Helferinnen und Helfer: Ihr seid der innere Reichtum unserer armen Stadt! Euch ist dieser Bürgerempfang gewidmet!“
Hattingen ist eine arme Stadt — das sagte ich bereits. Alle Bürger und Bürgerinnen haben es spätestens dann bemerkt, als der Rat gezwungen war, die Grundsteuern erheblich zu erhöhen. Wir sind im Gespräch mit denen, die dazu Widerspruch eingelegt haben. Aber wir sitzen alle im selben Boot und müssen da gemeinsam durch.“
Selbst wenn die Stadt alle freiwilligen Leistungen, wie zum Beispiel das stark gekürzte Kulturangebot und die Stadtbibliothek oder die Bäder, aufgeben würde, würde uns das nicht retten. Diese freiwilligen Leistungen machen maximal sechs Prozent unseres Haushalts aus. Das ist Sicherung der Lebensqualität in Hattingen, die wir nicht aufgeben wollen.“ Dafür gab es starken Beifall.
Der wahre Grund für die Verarmung unserer Stadt, die dazu führt, dass wir Straßen und Häuser nur noch ungenügend unterhalten können und Schäden entstehen, die unsere Kinder und Enkel beschäftigen werden, liegt in der ungenügenden Finanzausstattung durch Bundes- und Landesregierung. Man kann es nur als Skandal bezeichnen, wie die übergeordneten Ebenen versuchen, die Kosten für allgemein staatliche Aufgaben wie zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen oder die Inklusion oder die Leistungen für sozial Schwache nach unten durchzureichen. Für einen Herrn Schäuble im fernen Berlin ist es leicht, sich für eine schwarze Null loben zu lassen, wenn man untergeordnete Ebenen hat, denen man die Kostenlast aufbürden kann! So geht das nicht! Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen! Statt in der Not zusammen zu stehen, versuchen Bund und Land den schwarzen Peter nach unten durch zu reichen. Und wir in den armen Kommunen stehen da, können keine weiteren Schulden mehr machen und sind gezwungen, unsere Bürgerschaft zu belasten.“
Unser Kämmerer hat im Oktober 2015 für die voraussichtlich erforderlichen Aufwendungen in 2016 insgesamt rund 19 Mio. Euro eingestellt. Wir haben damit eine Deckungslücke von 1,3 Mio. Euro in Kauf genommen, die im Gesamtetat ausgeglichen werden musste und auch konnte. Die Grundannahmen dieser Kalkulation wurden von der Bezirksregierung als nachvollziehbar angesehen. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass der Zustrom der Flüchtlinge weiter anhält und wir am Ende dieses Jahres etwa 1.800 Plätze zur Verfügung stellen müssen.“
Bei der Finanzierung jedoch billigt uns das Innenministerium lediglich einen Betrag in Höhe von 10.000 pro Person auf Basis des Bestandes an Flüchtlingen zum Jahresanfang zu. Es kommen aber mehr, wie wir alles wissen. Zum einen sind die 10.000 Euro bei weitem nicht auskömmlich, zum anderen sind so alle Kosten für in 2016 neu zugewiesene Flüchtlinge von uns zu finanzieren oder zumindest vorzuschießen.“
Um den Haushaltsausgleich nicht zu gefährden, müssen daher auch die Aufwendungen im Etat entsprechend angepasst werden. Mit den dann nur noch rund 7,5 Mio. Euro werden wir nicht weit kommen. Sie werden in den nächsten Wochen aufgebraucht sein, da wir zum Jahresanfang die Aufträge für das ganze Jahr erteilen müssen. Die Regeln des Stärkungspaktes führen also dazu, dass wir im Rahmen eines Nachtragshaushaltes die Grundsteuer abermals und erheblich erhöhen müssten. Das ist absolut nicht hinnehmbar. Das wollen wir nicht! Es muss Schluss sein, mit der Ausbeutung der schwachen Kommunen. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden. Dafür müssen wir uns alle einsetzen – mit Nachdruck!“
Bund und Länder können unliebsame Kosten nach unten durchreichen, Städte können das nicht. Dazu kommt, dass wir als Helfer gern gesehen werden, aber selbst keinen Einfluss haben, denn der Bund entscheidet, ob ein Flüchtling bleiben darf oder nicht. Das Land registriert und verteilt die Flüchtlinge. Aber die Kommunen müssen dauerhaft Wohnungen und Sprachkurse anbieten, den Lebensunterhalt weitgehend sichern, Arbeits-, Schul- und Kindergartenplätze einrichten. Hier entscheidet sich, ob die Flüchtlinge Nachbarn werden.“
Alle Sparbemühungen, der Abbau fast aller freiwilligen Leistungen, die Einschränkung der städtischen Leistungen, die Sie alle bemerken, der in Kauf genommene Verfall der Infrastruktur wie bei Gebäuden und Straßen, die große Belastung unserer Bürgerinnen und Bürger durch den Anstieg der Grundsteuern, Gebühren und Abgaben werden vergeblich sein, wenn Bund und Land nicht endlich ihrer Verantwortung nachkommen.“
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, fragen Sie als Wählerinnen und Wähler ihre Kandidatinnen und Kandidaten in den anstehenden Wahlkämpfen, was sie getan haben oder zu tun gedenken, um den Skandal der Unterfinanzierung der Not leidenden Kommunen zu beenden. (…) Fragen Sie, was sie tun, um das Weiterreichen des schwarzen Peters von Berlin über Düsseldorf nach Hattingen zu unterbrechen. Fragen Sie nach der Solidarität der Gesamtgesellschaft!“
Not schweißt zusammen! Auch die 34 Städte aus Nordrhein-Westfalen, die dem Stärkungspakt des Landes beigetreten sind, bauen solidarisch Druck auf, um in Düsseldorf verantwortungsvolle und gerechte Regelungen durchzusetzen. Auch hier ist die Stadt Hattingen aktiv dabei, unserem Innenminister klar zu machen, dass nicht Ignoranz der Realität sondern solidarisches und gerechtes Handeln Handlungsschnur verantwortlicher Politik sein muss.“
Es kann doch nicht sein, dass wir wegen der mangelnden Unterstützung durch Bund und Land den Bürgerinnen und Bürgern quasi als Dank für ihr ehrenamtliches Engagement in die Tasche greifen. Wer so handelt, spielt ein gefährliches Spiel!“
Wir leben in einer lebendigen, attraktiven Stadt, in der in den vergangenen Jahren nicht viel verkehrt gemacht worden ist. Hattingen kann sich sehen lassen! Und Hattingen hat noch viele Chancen, die wir gemeinsam entwickeln wollen, Hattingen hat Frauen und Männer, auf die man bauen kann, die anpacken und die sich auch nicht durch Querschüsse ins Bockshorn jagen lassen. Wir wollen und werden uns von den Widrigkeiten, die uns von Bund und Land im Augenblick in den Weg gelegt werden, nicht abhalten lassen, unsere Stadt weiter selbstbewusst zu entwickeln und alle Chancen für Hattingen zu nutzen.“
Lassen Sie uns alle gemeinsam dafür eintreten, dass unsere Stadt ein attraktiver, solidarischer und menschenfreundlicher Ort bleibt!“

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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