Singen für die Seele
Dr. Karl Adamek (65) ist Musikpsychologe und Begründer des Internationalen Netzwerkes zur Förderung der Alltagskultur des Singens e. V. „Il canto del mondo“ (1999, Schirmherrschaft Yehudi Menuhin). Teil dieses Netzwerkes ist das Programm „Canto elementar“, das sich dafür einsetzt, dass Kinder in Kindergärten und Schulen verstärkt zum Singen und Musizieren angeregt werden. Kernaussage der Projektarbeit Karl Adameks ist, dass freiwilliges, ungezwungenes, nicht leistungsorientiertes Singen die psychische Entwicklung des Kindes und insbesondere die Entwicklung sozialer Kompetenzen wie Gemeinschaftssinn und Solidarität fördert. Adameks wissenschaftliche Arbeiten gelten als erste empirische Belege dafür, dass der Verlust der Fähigkeit des natürlichen Singens, die nach seiner Auffassung in den Nachkriegsgenerationen immer mehr verloren gegangen ist, für das seelische Gleichgewicht und die Entwicklung von Kindern nicht folgenlos bleibt. In Hattingen startet das Projekt „Canto elementar“ mit dem Trägerverbund für Evangelische Kitas im Ev. Kirchenkreis Hattingen-Witten. Singpaten für Kindergärten werden gesucht.
Singen aus Spaß ohne Leistungsorientierung, Singen als Bewältigung von Trauer und Depression – Karl Adamek stand jahrelang mit seinem Glauben an die positive Kraft des Singens in der Wissenschaft ziemlich alleine. „Mitte der sechziger Jahre wurde das Singen aus dem Alltag von Kindergärten und Schulen verbannt und übrigens auch aus den Ausbildungsrichtlinien für Erzieher und Lehrer gestrichen. Vor etwa zwanzig Jahren konnte ich, der aus einer singbegeisterten Familie stammt, erstmalig auf breiter empirischer Basis beweisen, dass Singen wie Sprechen zur Natur des Menschen gehört und seine möglichst frühe Förderung die körperliche, geistige und soziale Gesundheit von Menschen fördert.“
Bei der Verleihung des mit 20.000 Euro dotierten Gunter und Juliane Ribke-Preises an „Canto elementar“ 2011 (als einer von vielen weiteren Preisen) erklärte Karl Adamek in seiner Rede: „Singen kann ein Klima des Vertrauens schaffen und fördert den Aufbau einer empathischen Gesellschaft. Singen ist ‚Kraftfutter‘ für das Gehirn bis ins hohe Alter. Singen baut Angst und Aggressivität ab. Psychische Erkrankungen nehmen zu. Die Menschen können ihre Gefühle nicht mehr zur Ausgeglichenheit regulieren. Singen könnte da helfen.“ Und damit sollte im Kindergartenalter bereits begonnen werden – mit „Canto elementar“.Singpaten für Kindergarten-Kinder gesucht
Deshalb werden Singpaten gesucht, einfach Menschen, die gerne (nicht unbedingt gut) singen. Meistens sind dies ältere Menschen, die sich für das Singen begeistert haben – womit wir bei einem die Generationen verbindenden Projekt wären. „Das gemeinsame Singen beispielsweise in Chören oder in der Gemeinde hat immer mehr abgenommen. Wir wollen mit diesem Projekt ein Zeichen setzen und hoffen, dass die Bedeutung des gemeinsamen Gesangs wieder zunimmt“, erklärt Birgit Crone, theologische Geschäftsführerin des Trägerverbundes für Ev. Kita im Ev. Kirchenkreis Hattingen-Witten.
Den Beginn des Singens in die Altersstruktur der Kindergartenkinder anzulegen, erklärt Dr. Karl Adamek so: „Jugendliche singen anders. Sie wählen Lieder nach anderen Kriterien aus. Manchmal wollen sie mit der Musik die Erwachsenen einfach nur nerven. Das reine Singen ist Entäußerung, es setzt Emotionen frei. In der Pubertät wollen Jugendliche das oft nicht. Das ist auch kein Widerspruch zu den zahlreichen Musik-Castings. Man kann diese mit dem Boxen vergleichen – es besteht die Chance, damit reich und berühmt zu werden. Deshalb macht man mit, nicht deshalb, weil man singen möchte.“
Selbstverständlich werden die Singpaten, die sich in Gruppen mit etwa zehn Personen zum wöchentlichen Singen mit Kindern in den Kitas treffen, fachlich begleitet. Über fünfzig Hattinger haben sich bereits gemeldet, doch es sollen noch viel mehr werden, die in den zwanzig evangelischen Kitas des Verbundes in Hattingen, Niedersprockhövel und Wetter zum Einsatz kommen.
Eine Überraschung gibt es zum Thema Liedgut, denn Karl Adamek ist kein begeisterter Fan von Kinderliedern. Er sagt: „Kinderlieder sind ein deutsches Phänomen. Weil die Elterngeneration nicht mehr gesungen hat, sind sie entstanden. Kinderlieder wurden zum Teil der Kindheit und wenn diese vorbei ist, dann werden sie nicht mehr gesungen. Oft wird dann gar nicht mehr gesungen. Und das ist das Problem. Es ist nicht so wichtig, dass kleine Kinder jedes Wort der deutschen Volkslieder verstehen können. Sie wachsen inhaltlich an diesem Liedgut.“
Singen gegen Angst und Depression
Warum das Singen in der Gesellschaft abgenommen hat, kann er auch erklären: „Zum einen liegt das am Missbrauch zur Zeit des Nationalsozialismus. In der Nachkriegszeit hatte man zunächst andere Sorgen, da wurde nicht gesungen. Institutionen wie die Evangelische Kirche haben zunehmend das Wort vor den Gesang gestellt. In den skandinavischen Ländern beispielsweise wird viel mehr gesungen. Singen gehört oft zum Schul(alltag). Wenn die Klasse Probleme mit einer mathematischen Aufgabe hat, dann greift der Lehrer oft zunächst in die Tasten und singt mit ihnen ein Lied. Danach klappt es oft auch besser mit der Matheaufgabe.“
Wir ein Kind mit einem Lied positiv geprägt, so bleibt dies lebenslänglich erhalten. Es entsteht eine positive Kraftquelle, die bis ins hohe Alter abrufbar ist. Singen, so Adamek, fördert Menschlichkeit. Denn: „Es mangelt uns heute nicht am kühlen Denken, sondern am warmen Fühlen“.
Wer also gerne singt und Spaß an der Arbeit mit Kindern hat, der sollte sich melden: Brinja Niederste-Ostholt, Telefon 02302/589126, E-Mail ostholt@kirche-hawi.de. Infos gibt es auch unter www.il-canto-del-mondo.de
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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