Buchkompass: Rudolf Borchardt - Weltpuff Berlin
Sex in Berlin um 1900

Das Berlin der Kaiserzeit und der Jahre nach dem ersten Weltkrieg ist aktuell weder aus Film und Fernsehen noch aus Büchern wegzudenken. Zu interessant ist diese Zeit und zu interessant ist gerade das Berlin dieser Zeit. Drehen sich viele Romane, Filme und Serien primär um die Kriminalität und die Politik, kommt im Hintergrund immer wieder der Sündenpfuhl Berlin ans Licht.

Diesen Sündenpfuhl nahm Rudolf Borchardt in Weltpuff Berlin in den Fokus und verschwendete keine Sekunde mit den anderen Themen der Zeit, obwohl er mit seinem jüdischen Hintergrund sicher viele historische Fakten hätte einbringen können. Der produktive Autors, der als Bewahrer des humanistischen Bildungsgutes geehrt und als Lebenskünstler bewundert wird hat damit sicher sein kontroversestes Buch geschrieben. Ein Buch, das postum in 2018 beim Rowohlt Verlag, gegen den Wunsch der Familie, erschienen ist.

Auf mehr als 1000 Seiten schildert Borchardt die eigenen wahren und fiktiven Erlebnisse nach der Jahrtausendwende in Berlin vor dem endgültigen Zerwürfnis mit seinem Vater. Diese Erlebnisse sind zumeist sexuell und wenn nicht explizit dann doch in Vorbereitung oder Nachbereitung eben dieser sexuellen Erlebnisse. Dabei ist der Protagonist nicht wählerisch, wenn es um das andere Geschlecht geht, doch Angebote gibt es reichlich und dabei sind alle Schichten der Gesellschaft vertreten. Dabei spielt die Geschichte nicht nur in Berlin, sondern auch in der näheren Umgebung der Stadt, wohin man sich eben zurückzieht, wenn man alleine beziehungsweise zu zweit sein will.

Der erste Absatz zum Buch liest sich so, als ginge es nur um das Eine und damit liegt man leider richtig. Und doch ist das Buch viel mehr als nur Berichte zu sexuellen Handlungen. Es gibt intelligente Gespräche zu verschiedensten Themen und in verschiedenen Sprachen - Übersetzungen werden im Anhang mitgeliefert. Sowieso ist das Buch sprachlich eine Wohltat. Borchardt kann schreiben wie kaum ein anderer und auch nach der Lektüre des Buches ist mir nicht ganz klar, wieso er dieses Buch geschrieben hat. War es eine späte Rache an seinem Vater? Eine Aufklärung über Berlin oder eine Entlarvung Berlins? Eine Kritik am Feminismus oder gar eine Kampfansage daran? Diese Frage muss jeder für sich beantworten. Ich werde definitiv zukünftig zu einem anderen Buch von Borchardt greifen, denn seine Sprachgewalt, die, in der nicht der sexuelle Aspekt im Fokus stand, hat mich absolut überzeugt.

Fazit: Weltpuff Berlin ist der wahre und fiktive Erlebnisbericht Borchardts über seine Zeit in Berlin vor seinem Zerwürfnis mit seinem Vater. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund und berichtet freimütig über den Sex in Berlin mit Frauen verschiedenster Schichten. Die expliziten Beschreibungen nehmen dabei einen großen Teil ein, stehen aber sprachlich klar hinter den anderen Textstellen, in denen Borchardts Talent klar zum Vorschein kommt. Ein kontroverses Buch, aber ein sprachlich herausragendes Buch.

Autor:

Martin Wagner (Die PARTEI Hattingen) aus Hattingen

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