Normalitäten
Normalitäten
Nicole legte die sorgfältig zurechtgeschnittenen Leichenteile einer sehr jungen Kuh, die ihr Leben auf einer saftig-grünen Weide verbracht hatte, auf den Teller. Sie würzte mit blassrosa Himalajasalz. Auf der Oberfläche der Fleischstücke bildeten sich winzige Blasen, als würden sie schwitzen. Der samtschwarze, frisch gemahlene Bergland-Pfeffer ließ einige, wenige der Bläschen platzen. Nicole zog die Stücke durch ein aufgeschlagenes Ei; von einer glücklichen Henne am Vortag gelegt. In vollwertigem Weizenmehl aus biologischem Anbau wurden die Schnitzel gewendet. Sie griff nach der Flasche mit hochwertigem Rapsöl, hielt sie gegen das Licht und betrachtete versonnen das satte Gelb. Im dünnen Strahl floss das flüssige Gold in die Pfanne. Nicole griff nach dem Birkenholzkochlöffel aus nachhaltiger Holzwirtschaft und hielt ihn mit der Schaufel nach oben ins Fett. Als das Fett lustig um den Stil blubberte, legte sie die panierten Teile hinein. Ein köstlicher Duft machte sich in ihrer Küche breit.
Das Telefon kündigte mit dem hellen Ruf der Lerche einen Anrufer an. Nicole zog die Pfanne vom Herd und schob sie in den Backofen.
„Ja, Nicole hier“, flötete sie in den Hörer.
„Ich bin es, Jan“, tönte es ihr entgegen, „ich komme später. Du brauchst nicht auf mich warten.“
„Aber ... ich habe das Essen fertig. Was hast du vor?“
„Ich gehe mit Isabel zu einem Informationsabend. Greenpeace informiert über die Feinstaubbelastung.“
„Wieso denn das? Ich denke, die retten Wale!“
„Ja, das auch. Warte nicht auf mich. Tschüss!“
Noch bevor Nicole ebenfalls „Tschüss“ gesagt hatte, wurde am anderen Ende der Leitung aufgelegt.
Kopfschüttelnd ging sie ins Bad. „Verstehst du das?“, fragte sie die fast naturblonde Frau im Spiegel, die ihr, im Licht einer Energiesparlampe, entgegenlächelte. „Mit Isabel, dieser Ökotussi, geht er zu den Grünen, das hat noch gefehlt. Als wenn die was ändern könnten. Und überhaupt, aktiv muss man sein! Aktiv, und nicht nur zu irgendwelchen dubiosen Veranstaltungen gehen und zuhören.“
Sie trug die wertvolle Gesichtslotion auf; eine exklusive Kombination aus zwei Pflege-Produkten mit reinpflanzlicher DNS. Himbeerfarbenes Lipgloss einer Firma, die völlig ohne Tierversuche auskam, trug sie auf die Lippen auf. Nicole warf ihrem Spiegelbild einen Kussmund zu und ging zurück in die Küche.
Enttäuscht deckte sie den Tisch für sich alleine, aß die Schnitzel mit einem Salat aus einer Gurke, die regional angebaut worden war und sinnierte, warum Jan so selten pünktlich heimkam. Sicher war er jetzt mit seinem alten Auto unterwegs um diese Isabel abzuholen.
Diese alte Dreckschleuder, wie oft hatte sie ihm schon geraten, das umweltfreundliche Fahrrad zu nehmen. Wenn in den letzten Tagen nicht so viel Regen gefallen wäre, hätte sie auch das Rad zur Arbeit genommen und ihr Vollhybrid-Kompaktfahrzeug in der Garage gelassen. Es war müßig darüber nachzudenken, Jan würde das nicht verstehen.
Nicole ging zu Bett und schlief mit guten Gewissen ein.
@Monika Thaler – Juli 2011
Autor:Monika Thaler aus Hattingen |
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