Aphorismen im Deutsch-Unterricht

Dr. Jürgen Wilbert im Gespräch mit Schülern der Klasse 10c der Marie-Curie-Realschule in Holthausen über Aphorismen. Mit ihrer Deutsch-Lehrerin Susanne Borgmann hatten sich die Zehntklässler auf den Besuch des Vorsitzenden des Deutschen Aphorismus-Archivs (DAphA) in Blankenstein gut vorbereitet.  Foto: Kosjak
  • Dr. Jürgen Wilbert im Gespräch mit Schülern der Klasse 10c der Marie-Curie-Realschule in Holthausen über Aphorismen. Mit ihrer Deutsch-Lehrerin Susanne Borgmann hatten sich die Zehntklässler auf den Besuch des Vorsitzenden des Deutschen Aphorismus-Archivs (DAphA) in Blankenstein gut vorbereitet. Foto: Kosjak
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(von Dino Kosjak)

„‚Aphorismus‘, das ist so ein hochtrabendes Wort. Was stellt ihr euch denn darunter vor?“ Dr. Jürgen Wilbert blickt die Schüler fragend an. Sefkan meldet sich: „Aphorismen kritisieren unsere politischen Verhältnisse“. „Genau, das ist ganz wichtig“, stimmt Jürgen Wilbert zu, „Aphorismen melden Widerspruch an.“ Und er bringt das sogleich mit einem eigenen Aphorismus auf den Punkt: „Aphorismen“, sagt Wilbert, „sind Stolpersteine für landläufige Meinungen.“

Die Klasse 10c der Marie-Curie-Realschule hat sich im Deutschunterricht bereits mit dem Thema beschäftigt. Lehrerin Susanne Borgmann sagt, sie zweifele dennoch, ob allen klar sei, was Aphorismen ausmache. Zusammen mit Jürgen Wilbert, dem Vorsitzenden des Deutschen Aphorismus-Archivs in Hattingen (DAphA), haben die Schüler heute Gelegenheit, offene Fragen zu klären – und sich an eigenen Aphorismen zu versuchen.
Zunächst fährt Jürgen Wilbert fort, mit den Schülern zu besprechen, wodurch sich Aphorismen auszeichnen. Sie drückten Lebensweisheiten aus, melden sich einige Schüler. Jürgen Wilbert stimmt zu, merkt aber an, dass das auch für Sprichwörter gelte. Er zitiert ein russisches Sprichwort: „Unsere Zunge hat keine Knochen, aber sie kann Knochen brechen.“ Er möchte wissen: „Ist das ein Aphorismus?“ Die Schüler sind unsicher. Gewiss sei dieses Sprichwort raffiniert und einem Aphorismus eng verwandt, erklärt Jürgen Wilbert. Aber es sei als Sprichwort auch anonym. Der Urheber eines Aphorismus sei dagegen immer bekannt.
Aus dem Deutschunterricht ist der Klasse ein Zitat Schillers vertraut: „Und es herrschte der Erde Gott, das Geld“. Der Urheber des Zitats ist bekannt und die Schüler fragen, ob es ein Aphorismus sei. Der Experte verneint, und hat Gelegenheit, ein weiteres Kriterium zu erläutern: Ein Aphorismus stehe für sich, er sei unabhängig von einem bestimmten Zusammenhang. Der besondere Witz des Zitats von Schiller erschließe sich jedoch nicht ohne Kenntnis des Gedichts, dem es entstamme. Als kürzeste Prosaform verzichteten Aphorismen zudem auf Reime, anders als viele Gedichte und Sprichwörter.
Mit der Unabhängigkeit eng verbunden ist ein weiteres Merkmal von Aphorismen: ihre Kürze. Gerade hierin liege eine große Stärke, so Wilbert: „Aphorismen bringen kurz und knapp Gedanken auf den Punkt, die sonst oftmals nur in dicken Büchern ausgeführt werden“. So gelinge es Aphorismen leicht, im Gedächtnis zu bleiben – und zum eigenständigen Weiterdenken herauszufordern.
Bei der Frage nach den sprachlichen Mitteln zeigen sich die Schüler besonders gut vorbereitet. Häufig machten Aphorismen sich die Doppeldeutigkeit von Wörtern zunutze, meldet sich Felix. Und Marvin fügt hinzu, dass sie gerne Wiederholungen verwendeten.
In einem einzigen Aphorismus veranschaulicht Jürgen Wilbert sogleich, wie das aussehen kann, wenn beides zusammenkommt, Doppeldeutigkeit und Wiederholung: „Viele bilden Vermögen, weil sie sich selbst nicht zu bilden vermögen.“
Vom heiteren Tonfall vieler Aphorismen sollten wir uns nicht täuschen zu lassen, warnt Jürgen Wilbert: „Aphorismen vermitteln ihre Botschaft in treffenden Bildern und mit Witz“, sagt er, „dennoch sind sie keine bloße Wortakrobatik.“ Im überspitzten Spiel mit Mehrdeutigkeiten und Gegensätzen zeige sich vielmehr Lebensnähe: „Auf diese Weise machen uns Aphorismen darauf aufmerksam, dass Widersprüche Teil unseres Lebens sind.“
Schließlich stimmt Jürgen Wilbert die Schüler darauf ein, sich an eigenen Aphorismen zu versuchen.
Hierzu führt er vor, wie sogar allzu oft gehörte Wendungen, die kaum noch Aufmerksamkeit erregen, aphoristisch neu belebt werden können: „Von dem, der den Kopf in den Sand steckt“, schmunzelt Jürgen Wilbert, „können wir doch auch sagen, dass er den Dingen auf den Grund gehe – oder?“
An Bekanntes sollen die Schüler auch im Folgenden anschließen. Jürgen Wilbert teilt Blätter aus, auf denen geläufige Wendungen und Satzanfänge dazu einladen, nach eigenen Ideen abgewandelt und vervollständigt zu werden.
Dabei zeigt sich, dass es gar nicht so einfach ist, gewohnte Pfade zu verlassen: Demet hat den Satzbeginn „Liebe deinen Nächsten...“ vervollständigt mit „...wie dich selbst“. Das vertraute Motiv könne als Gesellschaftskritik gelesen werden, und hierin stehe es den Aphorismen nahe, erläutert Jürgen Wilbert. Nun aber gehe es darum, neue sprachliche Pointen zu erproben.
Das ist Larissa gelungen. Als Fortsetzung für „Liebe deinen Nächsten...“ schlägt sie vor: „...bevor es dein Partner tut“.

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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