Aus dem Schöffengericht
Misshandlung eines kranken Säuglings bewahrheitete sich nicht - Geldauflage gegen Kindesvater

Die Anklagevorwürfe, die Oberstaatsanwalt Gehring vorlas, waren erschütternd. Ein 24-Jähriger aus Sprockhövel soll im März 2019 während einer Auseinandersetzung sein wenige Monate altes, herzkrankes Kind aus den Armen der Mutter gerissen und auf ein Sofa geworfen haben. Weiterhin soll er die Kindesmutter geschlagen und ihr verboten haben, dem Säugling notwendige Medikamente und Milch durch die Magensonde zu verabreichen, da es sowieso sterben würde.

Der Vater des Säuglings, sein Vater und seine Mutter hatten sich wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, Körperverletzung, Beleidigung sowie Kindesentzug zu verantworten.

Der 24-Jährige war seit fünf Jahren mit seiner 25 Jahre alten Lebensgefährtin zusammen. „Wir haben eine traditionelle Scheinehe nach unseren jeweiligen Landessitten geführt“, sagte die Lebensgefährtin dazu aus. Die Bemühungen nach einem gemeinsamen Kind waren immer wieder erfolglos, sie erlitt mehrere Fehlgeburten.

Säugling schwer herzkrank
Während der folgenden Schwangerschaft lebte das Pärchen wegen Streitigkeiten drei Monate getrennt. Sie gebar dann Anfang 2019 ein Mädchen, bei dem sich schon nach wenigen Monaten herausstellte, dass dieses schwer herzkrank war.

Alle Beteiligten, Kindesvater, Kindesmutter und Säugling wohnten zusammen mit den Eltern des Kindesvaters in einer großen Wohnung in Sprockhövel. „Nur zum Schlafen ging man in getrennte Räume, ansonsten lebte und kochte man überwiegend zusammen“, sagte die Mutter des Säuglings.

„Nur“ ein Mädchen
Vom Zeitpunkt nach der Geburt, so ergänzte sie, soll sich der 24-Jährige aus Sprockhövel im Verhalten gegenüber seinem Kind stark verändert haben. „Sie haben das Kind nicht akzeptiert, weil es „nur“ ein Mädchen war und hatten auch kein Interesse mehr, weil unser Baby schwer krank ist“ ergänzte die Kindesmutter, die als Zeugin und Nebenklägerin auftrat. Ihre Vorwürfe und Aussagen wurden direkt von ihrem Lebensgefährten bestritten.

Sohn wollte Eltern nicht verlassen
Der Wunsch seiner Lebensgefährtin, sich aus der Familienenge zu lösen und eine separate Wohnung zu finden, wurde abgelehnt, da ihr Lebenspartner als einziger Sohn seine Eltern nicht „verlassen“ wollte.

Ende März 2019 soll es dann nach einem Streit zu den angeklagten Übergriffen des Kindesvaters auf seinen Säugling gekommen sein. Die Kindesmutter wurde laut Anklage dabei auch von ihrem Lebenspartner geschlagen. Der Vater des Kindesvaters soll Vorwürfe gegenüber der Kindesmutter geäußert, sich dann aber um eine Deeskalation des Streites eingesetzt haben. Seine Frau hat der Kindesmutter dann den Säugling vorübergehend gegen ihren Willen innerhalb der gemeinsamen Wohnung weggenommen und vorenthalten, so die Anklage. Die Angeklagten bestritten wiederholt den Vorwurf strafbarer Handlungen. 

Eine von der Kindesmutter hinzugerufene Kinderkrankenschwester des Bereitschafts-Pflegedienstes holte nach einem „Hilferuf“ diese mit ihrem Säugling zuhause ab und fuhr beide in ein Wittener Krankenhaus. Da sie während der Fahrt von dem Kindesvater verfolgt und mehrfach bedrängt wurde, warteten bereits vier Polizeibeamte vor dem Wittener Krankenhaus, als alle Beteiligten dort eintrafen. „Der Säugling war nicht verletzt“, sagte die Kinderkrankenschwester und bestätigte, dass die Kindesmutter nur aus der Wohnung raus und möglichst weit weg wollte.

"Keilerei" vor der Notaufnahme im Krankenhaus
Vor der Notaufnahme im Krankenhaus arteten dann noch verbale Beleidigungen zwischen einer Schwester des Kindesvaters und der Kindesmutter in eine handfeste Prügelei aus, bei der beide Frauen zu Boden gingen und sich gegenseitig verletzten. Die Kindesmutter wurde dann unter Polizeibegleitung mit ihrem Säugling in ein auswärtiges Frauenhaus gebracht.

Familienoberhäupter übernahmen Regelung
Ihre gestellte Strafanzeige zog sie zurück, nachdem der „oberste Familienrat“ beider Familien eine „einvernehmliche“ Lösung gefunden hatte.

Rechtsanwalt Sentner, der den Kindesvater vertrat, zeigte schon während der Beweisaufnahme zahlreiche Widersprüche bei den Aussagen der Kindesmutter auf. Rechtsanwalt Salewski, der den angeklagten Großvater des Säuglings und Rechtsanwalt Ruthenbeck, der die angeklagte Großmutter des Säuglings vertraten, waren schon während der Verhandlung über eine Verfahrenseinstellung ihrer Mandanten überzeugt, da die Anklagevorwürfe haltlos waren.

Kindesvater „verhandelte“ erfolgreich über die Höhe seiner Geldauflage

Am Ende der fast fünfstündigen öffentlichen Hauptverhandlung wurde dann das Verfahren gegen die angeklagten Großeltern des Säuglings ohne jegliche Auflage eingestellt.

Nur mit Zahlung einer Geldauflage war eine Einstellung des Verfahrens gegen den angeklagten Kindesvater möglich. War die ursprünglich angedachte Höhe der Geldauflage 750 Euro, intervenierte der Angeklagte erfolgreich gegen diese Höhe, schlug 500 Euro vor und „stimmte“ dann einer Geldauflage von 600 Euro zu, nach deren Zahlung das Verfahren gegen ihn eingestellt ist. Die 600 Euro erhält jetzt eine Kinderklinik.

Ergänzung:
Im Jahre 2018 gab es im Bereich der Stadt Sprockhövel zehn, im Jahre 2019 acht Inobhutnahmen von Kindern aus Familien durch Mitarbeiter des örtlichen Jugendamtes. In allen Fällen bestand dringende Gefahr des Wohles der Kinder oder die Kinder baten darum, aus der Familie genommen zu werden. Für diese Fälle stehen immer Jugendschutzstellen und Bereitschaftspflegefamilien bereit.

Autor:

Hans-Georg Höffken aus Hattingen

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