Spurensuche: Tod über Lavesum
Es ist bald 71 Jahre her, und doch nicht vergessen: Am 12. Oktober 1944 wurde ein britischer Bomber über Lavesum abgeschossen. Zwei Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben, darunter der Flugingenieur. Dessen inzwischen hochbetagter Sohn kam nun extra aus Kanada, denn es gab neue Erkenntnisse - dank zweier engagierter Halterner.
Adolf Hagedorn und Herbert Guckelsberger sind Detektiven nicht unähnlich: Vor vier Jahren begannen die beiden Mitglieder des Heimatvereins Haltern, den ungeklärten Rätseln des Luftkrieges über der Seestadt nachzuspüren. Auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immer noch vermisste Piloten und niemals gefundene Flugzeugwracks, die rund um Haltern vermutet werden. Die beiden Pensionäre stöberten in alten Dokumenten, werteten Luftbilder aus, knüpften Kontakte zu den Archiven der ehemaligen Aliierten - und wurden immer wieder fündig. Dank ihrer Hilfe konnten viele Kapitel erst jetzt abgeschlossen werden - darunter die Lebensgeschichte von Alexander Richardson, gefallen am 12. Oktober 1944 über Lavesum und Vater von Neil Richardson, Kanadier und Gast der beiden "Detektive".
Von Schottland nach London - und in den Krieg
"Mein Vater war Polizist in London", erzählt Neil Richardson. Der Senior ist inzwischen hoch in seinen Achtzigern, aber immer noch ein feinsinniger und elegant gekleideter Gentleman. "Er hätte nicht als Soldat dienen müssen, aber nach den deutschen Bombenangriffen hat er sich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet." Alexander Richardson war ein breitschultriger Schotte, ein kräftiger Mann von 39 Jahren, dem es nicht an Mut fehlte. An technischem Verständnis offenbar auch nicht, denn nach seinem Eintritt in die Royal Air Force wurde er als Flugingenieur dem 7. Pfadfindergeschwader zugeteilt.
Diese "Pfadfinder" flogen in ihren schweren Lancasterbombern vor dem eigentlichen Bomberstrom, der oft bis über tausend Flugzeuge umfassen konnte. Sie suchten und markierten Ziele für die nachfolgenden Kameraden. Eine gefährliche Aufgabe, denn die deutsche Flugabwehr versuchte die Spürhunde des Feindes natürlich als erstes vom Himmel zu holen - und so sollte es dann auch geschehen.
"Am 12 Oktober 1944 wurden wir eingeteilt zu einem Tagesangriff auf Wanne-Eickel", notierte der Pilot der Maschine, Brian Bennett, später in seinen Aufzeichnungen. Kurz nach acht Uhr morgens startete die viermotorige Maschine mit sieben Männern an Bord in England, um ins Ruhrgebiet zu fliegen. Im Krieg war dies selbst am hellen Tag keine einfache Aufgabe, und die Nerven des jungen Navigators Donald Parker lagen blank. Bennett berichtete, wie der zwanzigjährige Parker einen Nervenzusammenbruch bekam und regungslos hinter seinem Kartentischchen hocken blieb. "Er war nervlich am Ende. In diesem Augenblick waren wir bereits weit über feindlichem Gebiet und unsicher über die richtige Position", schrieb Bennett. Weit und breit schienen die Männer in der Lancaster auf einmal die einzigen Briten am Himmel zu sein, und sie hatten sich völlig verflogen.
Dann brach die Hölle los. Die Luft um die Maschine wurde von explodierenden Flakgranaten entflammt, und tödliche Splitter fetzten durch die Maschine. Einer der vier Motoren fing sofort Feuer, und der todgeweihte Bomber zog eine dicke Rauchfahne hinter sich her. Unter den Männern schoss sich die 6. Flakdivision auf das einzelne Flugzeug ein, und der Pilot gab den Befehl zum Aussteigen. "Kurz darauf wurden wir noch zweimal getroffen. Alles innerhalb weniger Minuten. Danach war unsere Maschine schon ein absolutes Wrack. Es lief nur noch ein Motor", beschreibt der überlebende Funker Bill Turner das Ereignis. Durch unglaubliches Glück hatte die Flak die Maschine zwar im Bereich des Bombenschachtes getroffen, aber die Bomben nicht gezündet, so dass die Lancaster nicht sofort explodierte. Die Luke öffnete sich, und die Männer sahen den westfälischen Boden drohend unter sich. Gleich würden sie springen.
Ein verhängnisvoller Fehler
In diesem Moment reagierte Alexander Richardson falsch - er zog die Leine schon im Flugzeug. "Sein Fallschirm öffnete sich und füllte den ganzen Rumpf innerhalb des Flugzeugs", notierte Turner. "Ohne etwas zu sagen raffte er, so gut wie möglich, alles zusammen und sagte: 'ich steige aus'". Dann sprang der mutige Schotte aus der Maschine und in seinen Tod, denn der Fallschirm sollte sich niemals mehr entfalten. Donald Parker, der traumatisierte junge Navigator, wollte ihm folgen, aber er wurde von herumfliegenden Metallstücken getroffen und stürzte bewusstlos aus der Maschine. Beide Männer fand man später im Granat nahe der Halterner Grenze zu Reken, als Landarbeiter auf den Leichengeruch in einem Getreidefeld aufmerksam wurden. Die anderen fünf Besatzungsmitglieder kamen mehr oder weniger heil am Boden an und wurden gefangen genommen. Wo die Lancaster aufschlug, wusste man lange Zeit nicht.
Bis jetzt. Denn durch die akribische Recherche von Adolf Hagedorn und Herbert Guckelsberger konnten die Wrackteile des Bombers nach sieben Jahrzehnten wiedergefunden werden. "Wir haben die Bauern in der Umgebung befragt und sind Berichten von einem Absturz nachgegangen", erklärte Hagedorn. In einem schwer zugänglichen Waldstück bei Heiden fanden sich Trümmer der Maschine wieder. Die beiden Halterner schenkten dem einzigen noch lebenden Sohn des mutigen Flugingenieurs Alexander Richardson nun diese Metalltrümmer.
Ein Kapitel schließt sich
"Ich kann mich noch erinnern, wie mein Vater fortging", erzählt Neil Richardson bei seinem Besuch in Haltern. Die verbogenen Metallteile, die im Oktober 1944 vom Himmel fielen, nimmt er wie unschätzbare Artefakte entgegen. Zusammen mit dem Besuch am Grab seines Vaters in Kleve ist dies ein sehr emotionaler Moment für ihn. Er kann nun ein Kapitel seines Lebens schließen, das aufgeschlagen wurde, als sein geliebter Vater fortging und nie zurückkehrte. Ein Geschenk, das ihm die beiden Halterner nur zu gerne machten.
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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