Schau mich an ­­­- Gesicht einer Flucht

Barbara, heute 79 Jahre, erlebte als kleines Kind in Oberschlesien Krieg und Vertreibung. Foto: Privat
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Haltern. Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation erinnern sich auch Deutsche an den Zweiten Weltkrieg. Barbara, 79 Jahre, erlebte als kleines Kind in Oberschlesien Krieg und Vertreibung. Mit ihrem Mann bereiste sie später arabische Länder. Deshalb kann sie heute nachvollziehen, was die Menschen in den Kriegsgebieten durchmachen und verlieren.

"Als auf das Nebenhaus Bomben fielen, sind wir mit Decken über dem Kopf aus unserem einsturzgefährdeten Haus gelaufen. Da habe ich als kleines Kind erstmals voll begriffen, was Krieg ist. Im Gedächtnis geblieben ist mir auch die Ankunft der Russen 1945. Wir hockten im Keller und ich sah meine Mutter an. Sie sah ganz furchtbar aus.
Mein Vater war als Soldat in Russland, wir hatten schon lange keine Nachricht mehr von ihm. Wir konnten kein Radio hören, wussten nicht, was los war, ständig Alarm. Im Mai 45 kam der Hunger und meine Oma ging mit mir und meinem dreijährigen Bruder auf Hamstertour.
Die Russen lebten im Admiralspalast, dem großen Hotel in Hindenburg. Sie holten sich meine Mutter von der Straße und sie musste, wie viele andere, für die Russen arbeiten. Mich hat sie mitgenommen und ich wartete mit einer Tasche in der Halle. Die Soldaten haben mir etwas zu Essen in die Tasche gesteckt. So habe ich uns miternährt.
Nach den Russen kamen die Polen. Etwa ein Jahr lang bin in eine polnische Schule gegangen. 1946 wurden wir im Viehwaggon vertrieben. Mindestens zwei, drei Wochen lang sind wir Richtung Westen gefahren. Man kriegte keine Luft, es war dunkel, nur oben gab es einen Spalt, durch den etwas Licht und Luft drang. Immer wenn der Zug hielt, sind wir schnell raus und schnell wieder rein. Sobald der Schaffner pfiff, fuhr der Zug schon wieder an. Viele sind zurückgeblieben. Meine Mutter ist fast wahnsinnig geworden vor Angst. Ich habe das damals aber nicht nachvollziehen können.

Meine Mutter ist fast wahnsinnig geworden vor Angst

Als wir im Lager Friedland ankamen, haben wir Decken bekommen. Ich breitete eine auf dem Boden aus und sagte: „Hier ist unsere Wohnung. Da darf keiner drüber laufen!“ Wenn ich nicht so viel Fantasie gehabt hätte und ohne meine geschichtenerzählende Oma, wäre es für mich furchtbar gewesen. So malte ich mir meine eigene Welt aus.
Nach einer Zeit in Oldenburg kamen wir auf einen Bauernhof nach Marl. Die Leute waren natürlich nicht begeistert, wie wir da so abgerissen ankamen. Wir haben sehr beengt gewohnt, aber nachher waren wir mit den Bauern richtig gut befreundet. Wenn wir in der Schlange um Maisbrot anstanden, wurden wir schon mal angesprochen: „Flüchtlinge, was habt Ihr hier zu suchen?“
Ich hatte damals keine Schuhe, in Holzschuhen bin ich übers Feld zur Schule gelaufen. Aber da klebte dann so viel Erde drunter, dass ich wie auf Stelzen ging. Wütend habe ich sie ausgezogen und kam auf Socken in der Schule an - mitten im Winter!
Vater kehrte 1947 aus der Gefangenschaft zurück. Ich wusste nicht, wer der fremde Mann ist. Mein Vater hat fast nie über den Krieg gesprochen. Einmal haben wir bei unseren Nachbarn, die schon einen Fernseher hatten, einen Kriegsfilm gesehen. Da fing er an zu weinen. Er muss schreckliche Dinge erlebt haben.
Mit meinem Mann bin ich später viel gereist, nach Ägypten, Syrien, in den Libanon. Was die Menschen dort jetzt erleben, kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Es ist schlimm, dass sich aus einem Glauben, der dort friedlich gelebt wurde, so Schreckliches entwickelt hat. Die Schwierigkeiten in der Weltpolitik sind immens groß. Wenn Menschen hassen, werden sie extrem. Ein Gefühl für Flüchtlinge zu haben? Ja, warum nicht?"

Die Erlebnisse der deutschen Teilnehmer dieser Serie protokolliert die freie Journalistin Gerburgis Sommer (www.gesichter-einer-flucht.de). Die Ausstellung ist vom 24.04. bis 16.05. im Adolf-Schmidt-Bildungszentrum, IG BCE, Hullernerstr. 100 in Haltern zu sehen. Am Freitag, 28.04. um 20 Uhr wird das Theaterstück „fremdsein. ein dialog.“ in der Aula des Schulzentrums aufgeführt. Einlass: 19.30 Uhr, Eintritt frei, Spende erwünscht.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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