Modelle sind nicht nur für Spießer
Männerträume reihten sich am Sonntag in der Seestadthalle dicht an dicht. Schnittige Sportwagen, kraftstrotzende Laster und mächtige Lokomotiven ließen die Herzen von Technikfans höher schlagen. Dazu bedurfte es in diesem Fall nicht einmal besonderer Größe, denn hier drehte sich alles ums Modell. Für Nico Reh aber wird es nicht dabei bleiben – er hat größere Pläne.
Ein gedämpftes Murmeln erfüllte die Halle, nur hier und dort war das leise Sirren eines Elektromotors zu hören, wenn eine Modellbahn ihre Kreise zog. Tatsächlich war es ruhig für einen Markt, bei dem es sich doch eigentlich um Spielzeug drehen sollte. Lachende und tobende Kinder mit verbeulten Spielautos suchte man jedenfalls vergebens, auch wenn wahrscheinlich der eine oder andere der zumeist etwas reiferen Herren auf der Messe einst als Bub mit einem quietschenden Auto oder einer zuckelnden Lok angefangen hat. Ein Besuch in der Seestadthalle verriet: Was als Spielzeug begann, ist mittlerweile fast eine Wissenschaft geworden. „Das ist schon eine Fachveranstaltung“, bestätigt auch der Organisator Willi Breidenbach, „hier suchen Sammler gezielt nach Zubehör oder bestimmten Modellen.“
Ein Gang zwischen den von Modellen, Schienen, Elektronik und Zubehör nur so überquellenden Tischen der 42 Aussteller bestätigt den Fachcharakter. „Das hier ist ein sehr seltenes Modell“, preist ein Herr im Karohemd eine Lok im H0-Format an, die er wie einen kleinen Schatz aus einem nahezu antik wirkenden Karton geholt hat und nun ehrfürchtig vor dem Kunden in die Höhe hält. Der Besucher ist angemessen beeindruckt und murmelt sogleich begeistert eine Zahlenkolonne, aus der nur der Profi Modellbezeichnung und Typennummer erkennt. Etwas entfernt davon schwatzen zwei Damen und tauschen keine Modellnummern, dafür aber Kochrezepte aus – das Rollenbild scheint in der Modellspielzeugwelt noch klar verteilt. Ist Modellbahnen also etwas für Spießer, angestaubt wie die Dampfloks auf der Kunststoffschiene?
Vielleicht nicht. Denn es gibt jemanden auf der Messe, der in der heutigen Zeit etwas Besonderes ist. Ein flüchtiger Besucher oder ein in die endlosen Modellreihen versunkener Enthusiast nimmt ihn zunächst gar nicht wahr, den schlanken Jungen, der tief auf einem Klappstuhl hinter einem Stand sitzt und ganz unaufdringlich, vielleicht sogar unauffällig wirkt. Doch wenn man Nico Reh auf die vielen Modelle vor ihm auf dem Tisch anspricht, taut der ruhige Teenager schnell auf und ein Leuchten strahlt in seinen Augen auf. „Doch, ich interessiere mich sehr für Modelle“, wischt der Fünfzehnjährige alle Bedenken beseite, er sei nur auf Wunsch seines Vaters hier am Stand. Auf dem Tisch stapeln sich keine Sportwagen, Schnellzüge oder gar Panzer. Hier dominieren Rot, Blau, Weiß und Grün – und fast jedes kleine Plastikfahrzeug trägt Blaulicht. „Am meisten interessieren mich Einsatzfahrzeuge“, lächelt Nico und verrät auch den Grund für dieses Faible: „Ich bin nämlich selbst beim Technischen Hilfswerk“.
Seit er denken kann, hatte Nico immer Spielzeugautos und war fasziniert davon, wie viele Details der großen Vorbilder sich in den Modellen wiederfanden. Schon mit zehn Jahren begann der Essener Schüler ganz gezielt zu sammeln. 450 Modelle sind es inzwischen, schätzt er, „man sieht mein Hobby gleich, wenn man in mein Zimmer kommt“.
Nico entspricht ganz und gar nicht dem gängigen Vorurteil des dicken bebrillten Strebers, der zwar von jeder Schraube die Modellnummer auswendig kennt, dafür aber von keinem Mädchen angesehen wird. Er ist aktiv, kann wie alle Jugendlichen mit dem PC umgehen und fotografiert leidenschaftlich gerne. Dennoch wurde sein Modell-Hobby des Öfteren auch in der Klasse belächelt. „Manche fanden das schon uncool oder man wird ausgelacht, nach dem Motto, der spielt ja mit Autos, hat aber keine Playstation“, berichtet Nico und zuckt mit den Schultern. „Das stört mich nicht“. Stattdessen hat er Freude daran, mit seinen Modellen in einem selbstgebauten Diorama komplexe Einsätze nachzustellen. „Ich mag große Einsätze, etwa den Brand eines Altenheims oder etwas ähnliches. Dann überlege ich, wie die echten Einsatzkräfte vorgehen würden und wie man die Leute retten kann“.
Andere Teenager schießen am Computer – Nico rettet im Modell. Und bald auch schon in echt: „Nach der Schule möchte ich zur Berufsfeuerwehr“, strahlt er. Und seine Freunde finden sein Hobby mittlerweile auch gar nicht mehr so doof.
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.