In luftiger Höhe Vertrauen fassen und Ängste besiegen

Ricarda Scheffler und Manfred Fechtner klettern mit jungen Patienten. Fotos: LWL/Seifert
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LWL-Haardklinik eröffnet Hochseilgarten für Patienten und Angehörige

Haltern/Marl.Eine Hängebrücke unter Eichenwipfeln, aus schwindelerregender Höhe herabbaumelnde Sicherungsseile, Menschen mit Helmen auf dem Kopf – was hat das zu bedeuten hier auf dem Gelände eines kinder- und jugendpsychiatrischen Krankenhauses? Antwort: Es ist ein ungewöhnliches Therapieangebot. Die Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in der Haard hat das Experiment mit einem eigenen Hochseilgarten gewagt. Und der Erfolg gibt ihr recht.

Das zeigen die Erfahrungen, die die zertifizierten Klettertrainer Ricarda Scheffler und Manfred Fechtner seit den ersten Kletterpartien vor gut einem Jahr mit den jungen Patienten gesammelt haben. Ein gewöhnlicher Donnerstagmorgen. Eine kleine Gruppe Jugendlicher umringt den Klettertrainer Manfred Fechtner. Alle sind mit Helm und Sicherheitsgurten ausgerüstet. Denn gleich soll es hoch hinaus gehen, in die Baumwipfel der alten Eichen auf dem Klinikgelände. Hier ist in diesem Jahr ein Hochseilgarten entstanden. Doch bevor es losgeht, steht erst einmal eine Lektion „Knotenkunde“ auf dem Plan. „Ohne einen sicheren Knoten läuft hier nichts!“ - Darauf besteht Fechtner, der selbst bereits seit neun Jahren in Hochseilgärten klettert.

Schließlich sei sein Vater bei der Bundeswehr, so der 16-Jährige, da kenne er sich mit „ diesem Outdoorkram“ bestens aus

Für die sechs Teilnehmer, die diesmal von der „Jungenstation“ kommen, eine erste Übung in Geduld. Besonders Jonas (Name geändert) hat damit so seine Probleme. Schließlich sei sein Vater bei der Bundeswehr, so der 16-Jährige, da kenne er sich mit „ diesem Outdoorkram“ bestens aus. Jonas fällt es schwer, seine Emotionen zu kontrollieren. Sowohl in der Schule als auch zu Hause prägen Konflikte seinen Alltag. Es gelingt ihm nur selten, sich an Regeln zu halten. Doch hier nimmt er sich zusammen. Schließlich will der Teenager wie seine Mitstreiter die Hängebrücke erklimmen, die sich fünf Meter hoch über ihren Köpfen von Baum zu Baum schlängelt. Und das darf Jonas dann auch, nachdem er das Sicherungsseil an seinem Gurt eingehakt und mit einem Teammitglied verbunden hat. Oben angekommen will der junge Mann allerdings nur eines: wieder runter, so schnell wie möglich! „Diese Erfahrung ist nicht selten“, weiß Fechtner, „von oben besehen scheint einem der Abstand zum Boden viel größer.“ Jonas entschließt sich dann doch oben zu bleiben. Mithilfe seiner Teamkameraden, die ihm von unten Mut machen, gelingt es ihm, einmal über die Brücke und zurück zu gehen. Als er wieder unten ankommt ist er entsprechend stolz, aber auch beeindruckt von der Höhe. „Unter anderem darum geht es hier “, erklärt Fechtner, „nämlich seine Grenzen zu
spüren, und Vertrauen zu fassen in sich selbst und auch in andere.“ Deshalb werde immer in Teams geklettert, mit einem Teammitglied auf dem Parcours und einem oder mehreren, die von unten sichern und Instruktionen geben, falls nötig. “Mädchen sind im Gegensatz zu ihren männlichen Altersgenossen eher bereit, zusammenzuarbeiten“, berichtet Klettertrainerin Ricarda Scheffler von ihren Erfahrungen. Der Klettergarten bietet Parcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, die es je nach Erfahrung des Teams zu bewältigen gilt.

Der Klettergarten bietet Parcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden

„Einen Wettbewerb machen wir daraus aber nicht“, so Klettertrainer Fechtner, „hier geht es darum, gemeinsam zu agieren und sich aufeinander zu verlassen.“ Eine Erfahrung, die auch Eltern mit ihren Kindern beim Klettern machen können. Vor
kurzem sei eine Mutter mit ihrem Sohn hier gewesen, erzählt Scheffler, die als Erzieherin auf einer Station für Jugendliche mit einer Suchtproblematik arbeitet. Nach anfänglichem Zögern habe die Mutter eingewilligt, sich von dem 14-Jährigen sichern zu lassen. Entsprechend stolz war der Teenager nach der gelungenen Übung. „Die Freude und der Stolz war beiden im Gesicht abzulesen,“ erinnert sich Scheffler. In den Ferien fahren die Klettergruppen in den Halterner Kletterwald „TreeEmotion“. Hier ist die Auswahl unterschiedlicher Parcours noch größer. „Ohne die Unterstützung von Kletterwald-Inhaber Carsten Bondzio wären wir hier gar nicht so weit“, sagt Fechtner, „er hat uns schon kostenfrei klettern lassen, bevor wir einen eigenen Hochseilgarten hatten und auch bei der Umsetzung unseres Gartens konnten wir auf ihn und seine Firma zählen. Jetzt sind die Ausflüge nach Haltern eine willkommene Abwechslung für das Team.“

Hintergrund:
Der Klettergarten in der LWL-Klinik Marl-Sinsen misst an seiner höchsten Stelle 13 Meter. Er verfügt über Parcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Wichtige Erfahrungselemente des Kletterns sind neben der Selbst- und Körperwahrnehmung die Fähigkeit, Vertrauen in sich und die Gruppenmitglieder zu fassen. Dabei treffen die Teammitglieder, nach Rücksprache in der Gruppe, Entscheidungen für sich und andere, die auch umgesetzt werden. So lernen sie Verlässlichkeit. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Auseinandersetzung mit Gefühlen wie Furcht und deren Akzeptanz oder Überwindung. In der LWL-Klinik Marl-Sinsen haben 40-50 junge Patienten pro Woche die Möglichkeit zu klettern.
Das Mindestalter für eine Teilnahme ist neun Jahre.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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