Die Flucht hat viele Gesichter: Junge Irakerin kannte nur ein Leben in Angst

Die 19-jährige Orean lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Haltern. Foto: Fotostudio Augenblick
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Haltern. Viele Mitbürger kennen Geflüchtete nur als "die Flüchtlinge", fremd und anonym. Für den Asylkreis Haltern am See hat die Flucht inzwischen viele sehr unterschiedliche Gesichter bekommen. In dieser Serie stellen wir einige vor. Die 19-jährige Orean ist im Irak in Angst vor Verfolgung aufgewachsen und unter Lebensgefahr geflohen. Sie gehört zur religiösen Minderheit der Jesiden, die von Völkermord bedroht ist.

"Am Ende hat die Angst gewonnen. Im Irak hatten wir Angst, die Leute, die wir lieben und mit denen wir gelebt haben, zu verlieren: Familie, Bekannte, Nachbarn. Durch den Krieg sind viele geflohen, der Cousin meines Mannes ist gestorben. Wir haben viele Kontakte verloren. Als Jeside im Irak hat man immer Angst und nie ein schönes Leben. Wir sind immer bedroht worden. Es gab in der Geschichte 74 Völkermorde gegen Jesiden.
Am 6.8.2014 ist der Islamische Staat in meine Stadt Mossul gekommen. Die haben alles genommen, auch die Ehre der Frauen. Sie haben unser Leben zerstört. Viele Kinder sind zu Waisen geworden, viele wurden entführt. Von den Kindern sind welche zurückgekommen, die haben gelernt, wie man Terrorist wird.
Bis jetzt werden jeden Tag Frauen verkauft. Frauen, die nicht verheiratet und schön sind, werden teuer verkauft, die anderen sehr günstig oder umsonst angeboten. Es gibt Mädchen, neun oder zehn Jahre alt, die vergewaltigt wurden. Wenn sich eine Frau wehrt, wird sie umgebracht. Viele haben sich selbst ermordet, weil sie das nicht erleben wollten. Wir haben Sachen gesehen, die ich nicht beschreiben kann und an die ich mich nicht erinnern möchte. Zuerst sind wir nach Kurdistan in den Nordirak geflohen, wo kein Krieg ist. Da waren wir also Flüchtlinge im eigenen Land. Viele tausend Menschen sind nach Kurdistan gegangen. Als Flüchtling lebt man in Zelten, bei Hitze und bei Kälte. Manchmal wird es mehr als 50 °C heiß, dann schmelzen die Zelte. Nachts kann es - 5°C kalt werden, eiskalt. Viele Kinder sind wegen Hitze und Kälte gestorben.
Weil die Bedingungen so schlecht waren, haben wir den Irak verlassen und sind in die Türkei gegangen. Einmal waren wir mit 15 Leuten in einem Auto, das für sieben Leute gedacht war. Ich hatte Angst und fühlte mich wie in einem Käfig.
2015 sind wir zu dritt in Deutschland angekommen, mein Mann Aras, mein kleiner Sohn Rosell und ich. Da war ich 17 Jahre alt. Wir wollten nach Deutschland, weil wir gehört hatten, dass man hier eine freie Meinung hat und glauben darf, was man will. Das haben unsere Verwandten erzählt, die schon länger hier leben. Meine ganze Familie ist in Deutschland. Mutter, Vater und Geschwister leben in Siegen.
Wir sind jetzt seit zwei Jahren hier. Ich lebe mit meinem Mann und unseren beiden Kindern in einer Wohnung. Ich mag Haltern sehr, weil die Leute sehr nett, herzlich und hilfsbereit sind. Hier fühle ich mich als Jesidin sicher. Deswegen möchten wir hier bleiben und uns in diese Gesellschaft integrieren. Im Irak war ich Schülerin, aber wegen des Krieges war es zu gefährlich, in die Schule zu gehen und ich konnte keinen Abschluss machen.
Hier habe ich in der Schule Deutsch gelernt. Ein Praktikum in einer Apotheke war das schönste Erlebnis in meinem Leben. Neben der Schule kümmere ich mich um meine Kinder und wenn ich Zeit habe, gehe ich ins Willkommenscafé, damit ich besser Deutsch lerne. Ich gehe davon aus, dass meine Zukunft hier erfolgreich ist und wir ein gutes Leben haben. Das wünsche ich auch allen Deutschen. Ich bedanke mich von Herzen, dass ihr so nett seid, uns aufgenommen habt und für alles, was ihr Flüchtlingen Gutes getan habt. Mein größter Wunsch ist, dass ich in Frieden leben kann und keine Angst haben muss."

Ihre Erlebnisse schreiben die Geflüchteten selbst auf, unterstützt von der freien Journalistin Gerburgis Sommer. Die Ausstellung mit 19 Gesichtern einer Flucht wird am 02.12. bei der Recklinghäuser Tagung der IG BCE im Ruhrfestspielhaus und vom 10.12. bis 17.12. in St. Georg, Dülmen-Hiddingsel gezeigt. Alle Portraits und Termine auf www.gesicht-einer-flucht.de.

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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