Die Angst fährt mit: Wenn Lokführer aus der Bahn geworfen werden

Erst vor kurzem hat sich erneut in der Seestadt ein tragischer Fall ereignet, bei dem eine junge Frau mit ihrem Kind ums Leben kam. | Foto: Foto: Bludau
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  • Erst vor kurzem hat sich erneut in der Seestadt ein tragischer Fall ereignet, bei dem eine junge Frau mit ihrem Kind ums Leben kam.
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Haltern. Unfälle und Selbsttötungen in Verbindung mit Zügen hat es immer gegeben. Seit dem Freitod des Profifußballers Robert Enke scheint ein Nachahm-Effekt eingetreten zu sein, der auch in Haltern spürbar ist.

Erst vor kurzem hat sich erneut in der Seestadt ein tragischer Fall ereignet, bei dem eine junge Frau mit ihrem Kind ums Leben kam. Zu den unmittelbar Betroffenen dieser Verzweiflungstaten gehören neben den Hinterbliebenen im besonderen Maße auch die Lokführer, die dann häufig selbst ärztliche und psychologische Hilfe brauchen. „Bei einer regulären Geschwindigkeit von 140 bis 160 Stundenkilometern benötigt ein Regionalzug einen Bremsweg von mehreren hundert Metern, ein Güterzug nahezu einen ganzen Kilometer. Da ist ein rechtzeitiges Stoppen des Zuges selbst bei Betätigung der Schnellbremse völlig unmöglich“ erklärt Christian K. (Name geändert)
Der junge Lokführer arbeitet seit zweieinhalb Jahren als Quereinsteiger bei der deutschen Bahn. Zu dem Job kam er durch Zufall und Beziehungen. Die Arbeit liegt ihm, der Umgang mit schweren Maschinen hat ihn schon als Kind fasziniert und er schätzt das angenehme Betriebsklima.

Beruf mit Schattenseiten

Aber er kennt auch die Schattenseiten: In der kurzen Zeit war er bereits mit vielen Unfällen konfrontiert – mittelbar und unmittelbar.
Meist waren es „nur“ Tiere, aber auch betrunkene oder unachtsam über die Schienen laufende Personen machen den Arbeitsalltag manchmal „ganz schön stressig“. Es kommt vor, dass Kinder und auch Erwachsene Mutproben veranstalten – wer zuletzt vor dem heranrasenden Zug von den Schienen springt, hat gewonnen, oder man versucht so nah wie möglich an den Gleisen stehen zu bleiben. Viele seiner Kollegen haben Schlimmeres erlebt – manche sogar mehrmals. Laut Statistik erlebt jeder Zugführer zumindest ein Mal in seinem Berufsleben einen sogenannten Personenschaden. Dass ein solcher Unfall oder Suizid auch das Leben des Menschen im Führerhaus langfristig beeinträchtigt, ist vielen nicht bewusst. Wie reagiert man, wenn der Fall der Fälle eintritt, der Alptraum jedes Zugführers?

Alptraum eines jeden Zugführers

„Zunächst wird vom Führerhaus aus ein Notruf abgesetzt, der alle weiteren Züge in der Region und den Fahrdienstleiter über den Unfall informiert.
Der Fahrdienstleiter benachrichtigt dann Rettungsdienste und Polizei und stellt Weichen und Signale zum Schutz der Unfallstelle ein. Der Lokführer selbst braucht nun nur noch die Fahrgäste über den Stillstand zu informieren und auf die eintreffenden Helfer zu warten.“ In bemüht sachlichem Ton berichtet Christian über die jüngsten Ereignisse und kann dabei doch nur schwer seine Ergriffenheit verbergen - sein Mitgefühl mit den Unfallopfern, mit Kollegen und auch die Sorge möglicherweise eines Tages selbst betroffen zu sein.
Er ist ein ausgeglichener Mensch, selbstbewusst und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Randalierende Fußballfans in den Zügen beeindrucken ihn nicht.
Den gewaltsamen Tod eines Menschen aber möchte er sich nicht einmal vorstellen müssen.

Posttraumatischen Belastungsstörungen

Die Schwere des Schocks variiert von Mensch zu Mensch. Die Auswirkungen schwanken zwischen kurzzeitiger Dienstunfähigkeit bis hin zu dauerhaften posttraumatischen Belastungsstörungen. In jedem Fall besteht die Möglichkeit einen Bahnarzt zu konsultieren und professionelle psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In aller Regel wird ein Krankenschein ausgestellt, die ersten Fahrten danach macht der betroffene Lokführer nicht allein sondern in Begleitung, meistens des Teamleiters. Trotz allen Beistands – die Schrecksekunden vor dem Unfall, in denen man genau weiß was passieren wird und doch nichts ändern kann, der Aufprall selbst mit den damit verbundenen Erschütterungen, Geräuschen, Brandgerüchen und dann die Stille danach sind derart belastend, dass viele sie zeitlebens nicht mehr loswerden. Ein Trauma, an dem nicht selten auch Ehepartner und Kinder mitleiden.

Die Frage ob ihn die Ereignisse unter Druck setzen, ob er schon einmal daran gedacht hat den Job zu wechseln verneint Christian dennoch ganz entschieden.
„Ich liebe meine Arbeit und kann mir auch keine andere vorstellen“, sagt er während er sich fertig macht für die nächste Schicht und seine Freundin fügt halblaut hinzu: „Ein bisschen Angst fährt immer mit.“

Siehe auch

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Autor:

Antje Clara Bücker aus Haltern

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