Benutzt, besessen, ausgemustert... Das Leben ist (k)ein Ponyhof
Der gemeinnützig anerkannte Verein „Pferdehilfe Sonnenhof“ gibt todgeweihten Pferden in Haltern am See eine neue Chance
„Was in aller Welt lässt uns mit der größten Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass ein Pferd zum Reiten da ist und daher sein Wert in erster Linie an seiner Reitbarkeit gemessen werden kann? Was gibt uns das Recht ein Lebewesen erst dann als brauchbar zu beurteilen, wenn es uns gelungen ist es in einen funktionierenden Sklaven zu verwandeln? “
Schon Reitschülern wird beigebracht, dass es die ersten Belohnungen in Form von Schleifchen, Urkunden und Pokalen gibt, wenn man das Tier dazu gebracht hat zu parieren.
Unter diesem Aspekt besehen hat keines der im Sonnenhof untergebrachten Pferde noch irgendeinen Nutzen oder Wert. Nico Welp sieht das ganz anders und stößt mit ihrer Sichtweise nicht immer auf Zuspruch.
Seit Jahren ermöglicht die junge Frau alten, ausrangierten und vernachlässigten Pferden ein Leben, für das sie eigentlich geschaffen wurden, getreu dem Motto das sie sich auf ihre Fahne geschrieben hat:
Einfach nur Pferd sein dürfen!
Dass das aber gar nicht so einfach ist, weit mehr als nur Tierliebe voraussetzt und einschlägigem, umfangreichem Fachwissen bedarf, erklärt mir Nico an einem Augustmorgen auf ihrem Hof. Das Stallgebäude mit den Wiesen und Weiden in Haltern am See gehört zu einem von zwei Außenstellen des Vereins und bietet Platz für etwa zehn Pferde. Die andere, größere private Pflegestelle befindet sich in der Pfalz.
Der erste, der mir entgegen stürmt als ich das malerisch gelegene Anwesen betrete, ist Hermann, ein Beagle, der wegen „farblicher Mängel im Fell“ nicht dem Rassestandard entsprach und vom Züchter entsorgt wurde. Nun führt er neben acht Pferden mit ähnlichem Schicksal ein Leben auf der Sonnenseite.
Nico führt mich durch den kleinen, freundlichen Stall und behandelt die 29jährige zahnlose Miss Marple, während sie mir die traurigen Lebensgeschichten der hier untergebrachten acht Pferde erzählt. Miss Marple, die ihren Brei schlabbert und mich dabei keinen Moment aus den Augen lässt, weil sie auch nach mittlerweile einem halben Jahr auf dem Hof Ihr Misstrauen und ihre Angst vor fremden Menschen nicht ganz ablegen konnte ist gut genährt und top gepflegt. Ihr Alter sieht man ihr beim besten Willen nicht an. Dennoch ist sie eines der Pferde, das auch nach seiner körperlichen Genesung nicht mehr weiter vermittelt werden kann und bis ans Ende seines Lebens hier bleiben darf. Was hinter ihr liegt macht sprachlos:
Nach Monaten ohne Auslauf in enger Hinterhofboxenhaltung, zum Skelett abgemagert und voller Wunden, ungepflegt und unbeachtet und am Cushingsyndrom erkrankt wurde sie von Tierschützern befreit. Ihr Zustand schien hoffnungslos. Ein herbeigerufener Veterinär sollte das verängstigte Tier schließlich von seinen Leiden erlösen. Der aber brachte es „beim Blick in diese Augen“ einfach nicht übers Herz und kontaktierte Nico Welp, die die Stute dann aufnahm. Obwohl ihre Wohnung direkt über dem Stall liegt, verbrachte sie die ersten Nächte fast ununterbrochen bei dem alten Tier um es stündlich zu füttern und im Notfall stets vor Ort zu sein. Die Tierarztkosten waren enorm, aber letztendlich hat sich der Einsatz mehr als gelohnt:
Als der Eimer leer gefressen ist und Miss Marple trotz Betteln keinen Nachschlag mehr bekommt, galoppiert sie wie ein junges Fohlen zurück auf die Weide zu den anderen Pferden und liefert damit den schönsten Beweis für den Nutzen dieser aufwändigen Behandlung.
Nico bringt Heu hinaus auf die Weiden und ich stehe am Zaun und schreibe mit während sie erzählt.
Unten am Fluss stehen Helen, Fräulein Monk, Jamaal El Ameer und Maria beieinander und bieten in dieser Kulisse unter den Bäumen ein Bild das friedlicher nicht sein könnte.
Das Vollblut Maria ist erst zwölf Jahre alt. Was sie in ihrem Leben aber ertragen musste hat die grazile Fuchsdame zu einem äußerst schwierigen und aggressivem Pferd gemacht.
Über viele Jahre ist sie im In- und Ausland Rennen gelaufen, ging von einem Stall in den nächsten, wurde geschlagen, gequält und auf Sieg gedrillt und hat ein Leben unter natürlichen Bedingungen mit Artgenossen nie kennen gelernt. Als sie hierher kam war ihr der Umgang mit anderen Pferden völlig fremd und ihre Knochen und Gelenke kaputt geritten.
Der Hengst galt als Mankiller
Ein Vollblut wie sie ist es vor Jahren gewesen, das in der damals dreizehnjährigen Nico den Wunsch weckte, sich für in Not geratene Pferde einzusetzen und ihren Lebensweg in diese Richtung einzuschlagen.
Der Hengst galt als Mankiller, der nach seiner Rennsportkarriere niemanden mehr an sich heran ließ. Nico wagte es und bezeichnet ihn heute als einen ihrer wichtigsten Lehrer.
Weitergebildet hat sie sich auch in zahlreichen Kursen, Fortbildungen und bei Tierärzten und Fachleuten.
Heute gibt sie selbst Seminare, schreibt Fachliteratur und hilft Pferdebesitzern mit Rat und Tat. Dabei geht sie mit den häufig aus Unwissenheit falsch agierenden Haltern nicht immer zimperlich um.
Es beginnt leicht zu regnen und Nico überlegt, ob sie das Heu nicht doch besser wieder hinein bringt, da ihre Pferde es nass nicht mögen. Schließlich lädt sie mich hinauf in ihre Wohnung, wo ich ihr bei einer Tasse Kaffee weiter gebannt zuhöre:
Mut zur Wahrheit
„In Not geratene Pferde schützen reicht nicht - das wäre reine Symptombehandlung,“ sagt sie:
„Aufklärung, Information und das hartnäckige Aufdecken von Missständen in der Pferdewirtschaft und im Reitsport sind nötig, um die Situation zu verändern. Pferde werden als sogenannte „Nutztiere“ und Sportgeräte durch das Tierschutzgesetz praktisch nicht geschützt. Das Übel an der Wurzel packen ist demnach wichtiger Teil der Vereinsarbeit. Weiterhin sehen wir es als unsere Aufgabe an Missstände aufzuzeigen. Provokation ist nicht immer das beste Mittel – und doch kommt man in vielen Fällen nicht darum herum. Die Dinge deutlich beim Namen zu nennen und der Pferdewirtschaft schonungslos den Spiegel vorzuhalten ist kein niedliches Hobby.
Effektive Aufklärungsarbeit braucht Mut zur Wahrheit.
Genau die vermisse ich bei vielen Pferdeschutzhöfen. Sie nehmen versehrte Pferde auf, üben aber kaum offene Kritik. Manche bedienen diesen Markt sogar weiterhin – das will mir nicht in den Kopf. Damit wollte ich mich nie anfreunden.“
Diese Haltung gegenüber der Kreatur Pferd ist für sie eine Bankrotterklärung an die Werteerziehung in unserer Gesellschaft, erklärt sie und legt damit den Finger nicht nur in die Wunde der Pferdewirtschaft.
Der Regen klopft gegen die Fensterscheiben. Trotz des verhangenen Himmels ist die Aussicht hier grandios!
Helen, ein kraftstrotzendes bretonisches Kaltblut mit Hufen wie Klodeckel und der Ausstrahlung eines Benjamin Blümchens kommt gemütlich den Weg zum Haus hinauf getrottet. Sie hatte eine mehr als 1000 Kilometer lange Odyssee hinter sich, als sie aus einem Schlachtviehtransport befreit hier stranden konnte. Damals war sie mit Wunden übersät, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und war mehr tot als lebendig. Dass sie die Strapazen so gut überstanden hat, ist für die Bauern der Umgebung Anlass für den gut gemeinten Ratschlag noch ein paar Fohlen aus der Stute zu ziehen. So ein Pferd bringt schließlich einen hohen Schlachtpreis. Gerade dieses Denken aber ist es, das Nico durchbrechen möchte. Es geht ihr darum, ein Tier nicht an seinem wirtschaftlichen Nutzen zu messen, sondern einen Auftrag zu erfüllen, den wir ihm schuldig sind: Ein lebenswertes und artgerechtes Leben.
Das hat hier auch der bildschöne Araber Jamal El Ameer gefunden, der der Bedeutung seines Namens „schöner Prinz“ heute alle Ehre macht. Er ist fünf Jahre alt und damit der Jüngste im Bunde. Er kam aus schlechter Haltung in einem erbarmungswürdigen Zustand hier an. Wie die anderen ist auch er nach seiner Rehabilitation nicht mehr reitbar. Der lebhafte Grauschimmel möchte aber trotz seiner Handicaps gefordert und gefördert und keinesfalls in Watte gepackt werden. Er hat seine Erfüllung im Erlernen von Zirkuslektionen gefunden, die er vom Boden aus absolvieren kann, ohne dass jemand auf ihm sitzt. Dabei legt er eine Intelligenz an den Tag, die verblüfft. Er lernt durch bloßes Zugucken.
Er hat eine Patin gefunden, die sich zudem regelmäßig und ausgiebig mit ihm beschäftigt. So wie für Jamal sind auch für die anderen Tiere zum Teil noch Patenschaften zu vergeben.
Die uralte Scarlett, die auch nach Jahren noch Vernarbungen in der Sattellage hat, wird wohl gerade ihren letzten Sommer verleben. Sie ist todkrank – unheilbar. Nico erklärt es sachlich, aber nicht ohne den Unterton von Traurigkeit in ihrer Stimme. Es entspricht ihrer Überzeugung, ein ihr anvertrautes Leben nicht um jeden Preis zu verlängern, sondern zu erlösen bevor der Leidensweg beginnt. Die schmerzhaften Gelenkerkrankungen der 33jährigen Stute werden dem Tier im kommenden Winter schwer zu schaffen machen.
Profit durch Ausbeutung
Sieht man die Pferde aber nun auf den weitläufigen Weiden beieinanderstehen und friedlich grasen, kann man die Schicksale, die hinter ihnen liegen nicht einmal mehr erahnen und wünscht einer jeden geschundenen Kreatur das Glück, hier aufgenommen zu werden.
Dabei zählen Pferde und Ponys noch zu den Tieren in Deutschland, denen zumindest eine gewisse Lobby zugute kommt. Während ihnen noch in Grundzügen der (wenn auch oft falsch verstandene) Ruf des Kameraden und Freundes anhaftet, sind andere Nutztiere wie Schweine, Geflügel und Rinder restlos und hoffnungslos zu seelenlosen Gegenständen degradiert, denen man allenfalls als Teddymortadella beim Discounter begegnet.
Nico verschweigt auch hierzu nicht ihre Meinung. In ihren Seminaren und Vorträgen spricht sie offen auch diese Missstände an.
Da hat die unmittelbare Nachbarschaft des in blühenden Wiesen gelegenen Gnadenhofes zu den abgeschotteten Bunkern eines Schweinemastbetriebes schon so etwas wie Symbolcharakter.
Während die Sonne auf sattgrüne Wiesen scheint, kommen die hier unter unwürdigsten Umständen lebenden Schweine niemals an die frische Luft.
Ist es nicht beinahe sarkastisch in aufwändigen Prozeduren einer Handvoll Pferde beizustehen, während nur zwanzig Meter weiter hunderte Schweine ein erbärmliches Leben fristen und auf den Tod warten? „Es ist mir egal, ob der Betrieb hier direkt neben mir steht, oder 100 Kilometer weiter – hier oder anderswo - das Elend nicht zu sehen schafft es für mich ja nicht aus der Welt.“ Das Nebeneinander verbildlicht geradezu die Schizophrenie einer Gesellschaft, bei der auf der einen Seite die Tierliebe die seltsamsten Blüten treibt und auf der anderen Lebewesen jedweder Würde beraubt und zu Produkten herab gewürdigt werden.
Dass bei einer solchen Einstellung eine vegane Lebensweise die einzige logische Konsequenz ist, versteht sich bei Nico beinahe von selbst – sie ist seit 22 Jahren überzeugte Veganerin.
Logisch auch, dass sie mit all ihren Ambitionen bei den benachbarten Bauern bestenfalls als „niedlich“ gilt. Überall dort wo Betriebe auf größtmöglichen Profit durch Ausbeutung der Kreatur programmiert sind, bleibt Nicos Anliegen natürlich unverstanden. Als erklärte Reitsportgegnerin und engagierte Tierschützerin macht sie sich in diesen Kreisen nicht nur Freunde. Sie kann damit leben – ihr Erfolg und vor allem ihre Pferde geben ihr bedingungslos Recht.
Die Sonne scheint wieder als ich mich verabschiede und mich mit Eindrücken und Worten, die mich sehr nachdenklich gemacht haben, auf den Weg mache...
Hintergrund:
„Mit Pferden (insbesondere Vollblütern) aufgewachsen und Jahrzehnte bei ihnen in die Schule gegangen“ - so könnte man Nicos Werdegang mit Pferden beschreiben. Pferde bestimmen Nicos Leben durch & durch und sie behauptet auch heute noch, dass sie täglich von ihnen lernt. „Sie sind meine Trainer fürs Leben – und hervorragende Professoren!“. Nico lebt seit gut 22 Jahren mit Pferden, ihre besondere Erfahrung und Liebe liegt bei den englischen Blütern. Unzählige Fortbildungen im Bereich der Pferdewirtschaft / Pferdegesundheit standen schon früh im Vordergrund – sehr zum Leidwesen der beruflichen Karrierevorstellung.Vegane Ernährung sowie aktive Tierrechtsarbeit gehören seit 20 Jahren ebenso zu ihrem Alltag wie der Pferdeschutz. Dabei sieht man sehr viel Schlimmes, aber auch viel Gutes. Nico ist wild entschlossen, dass das Gute immer im Fokus stehen soll, damit sie diese Arbeit auch lebenslang tun kann. Ihr ausgewachsener Dickschädel und ihre tiefe Überzeugung sind mit Sicherheit dabei ebenso hilfreich wie ihr mittlerweile „dickes Fell“, welches mühsam antrainiert wurde.
Neben dem aktiven Pferdeschutz ist die Öffentlichkeitsarbeit ihr großes Anliegen – Aufklärung ist für sie mehr als Beiwerk. Nico legt den Finger in die Wunde der Pferdewirtschaft, weil der gesamte Pferdeschutz sonst auf ewig Symptombehandlung bleiben wird. Das Übel an der Wurzel packen – da hingehen wo es weh tut – um nachhaltig Bewusstsein zu schaffen - funktioniert nur über Öffentlichkeitsarbeit…und manchmal auch über einen gezielt provokanten Ton.
Autor:Antje Clara Bücker aus Haltern |
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