50 Jahre Dahlienstraße: Nachbarn im Norden
"Ich habe einen Traum", sagte der amerikanische Pastor Martin Luther King vor 50 Jahren. Im selben Jahr machten sich 20 Familien im Halterner Norden daran, ihren eigenen Traum zu verwirklichen. In der Dahlienstraße wuchsen die Nachbarn zu einer Gemeinschaft zusammen. Jetzt feierten sie ihr Jubiläum.
"Meine Großeltern und meine Mutter haben das Haus vor 50 Jahren bezogen", freut sich Eric Wilde, "und inzwischen bin ich auch wieder hier." Der junge Halterner ist ein Vertreter der zweiten Generation in der Dahlienstraße, die als Kind bereits zwischen den fertigen Häusern spielen konnte. Die Geschichte der kleinen Siedlung begann aber schon 1963, als die Welt auf das geteilte Berlin blickte und Kennedys berühmten vier deutschen Worten lauschte.
Der Krieg war noch keine 20 Jahre her, aber in Deutschland herrschte Aufbruchsstimmung. Diese war auch in der Dalienstraße zu spüren. Mit Fleiß und Sorgfalt wurde ein Stein auf den anderen gesetzt. Schon bald flatterten die Richtbäume von den Dachstühlen, die Hoffnung auf ein schönes neues Leben verbreiteten.
Der Anfang war nicht immer leicht
Doch leicht war es nicht unbedingt, wie sich die Anwohner der ersten Stunde erinnern. Zu ihnen gehört Marie Matuszczyk, die trotz ihrer 85 Lebensjahre mit hellwachem Geist und rüstigem Auftreten gesegnet ist. Sie weiß noch ganz genau, dass die ersten Jahre in der Dahlienstraße nicht immer nur ein Zuckerschlecken waren. Früh verwitwet, musste Marie Matuszczyk ihre vier
Kinder alleine aufziehen und gleichzeitig noch die Raten für das Haus bezahlen. Nur durch eisernes Sparen gelang es ihr - und durch Eigeninitiative.
"Wir mussten uns damals selbst helfen", erklärt die Seniorin. "Die Menschen haben damals vieles selbst hergestellt und gebaut, und man hat aus vielem noch etwas gemacht. Die Häuser waren so geplant, dass sie den Bewohnern auch eine Grundlage zum Leben boten", erklärt Matuszczyk. "Die Grundstücke waren bewusst so groß bemessen, damit die Anwohner Gemüse anbauen und einen Stall für Kleinvieh hinter dem Haus haben konnten." Früchte aus dem eigenen Garten, dazu Eier von den eigenen Hühnern und ab und zu mal ein Kaninchen aus eigener Schlachtung, so ergänzten viele Bürger der ersten Jahre ihren Speiseplan. Trotz des Wirtschaftswunders und der satten 50er Jahre hatten die Menschen an der Dahlienstraße noch nicht vergessen, was Hunger ist. Noch heute hat Marie Matuszczyk einen Nutzgarten hinter dem Haus, wo bei anderen längst Rasen liegt.
Behütete Kindheit in den 70er und 80er Jahren
Die Not der Nachkriegszeit ist der Generation von Eric Wilde erspart geblieben. Er erinnert sich an seine Kindheit in der Dahlienstraße als eine besonders schöne Zeit: "Es ist ein toller Ort, um Kind zu sein. Die Väter fuhren morgens zur Arbeit, und dann war die Straße den ganzen Tag autofrei, wie geschaffen, um darauf zu spielen." Auch die Umgebung bot genug Reize für den jungen Spieltrieb. Man durchstreifte die nahen Wälder, baute Buden in den umliegenden Wiesen und traf seine Freunde aus der gleichen Straße oder der Nachbarschaft.
Im Laufe der Zeit änderte sich das Straßenbild dann allmählich. In den späten 80er Jahren wurde die einstige Sackgasse zur Zufahrtsstraße, und immer mehr Häuser wurden erweitert oder umgebaut. Kinder wurden erwachsen und zogen weg. "Ich selbst war mit Anfang 20 froh, in eine größere Stadt zum Studium zu ziehen", schmunzelt Wilde heute. Doch nun werden die einstigen Rebellen ruhiger, gründen Familien und kommen wieder zurück. Die Elternhäuser werden umgebaut und erweitert, und jetzt spielt die nächste Generation dort, wo sich schon ihre Eltern die Knie aufschürften.
Ein Fest der Familien
Zum 50. Jubiläum kamen nun die 20 Familien zusammen. "Wir hatten das schon ganz lange mal vor", so Wilde, "und jetzt haben wir es geschafft." Nachbarn, die sich schätzen und in der Not helfen, aber sich auch genug Freiraum lassen, das macht die Einwohner der Dahlienstraße aus. Jetzt feierten sie mit selbstgebackenem Kuchen und brutzelndem Fleisch auf dem Grill.
Vier Generationen sind es inzwischen, zwischen 0 und 104 Jahren alt, und der Halterner Norden ist ihnen eine Heimat geworden. Natürlich ändern sich auch hier die Zeiten, "doch nicht alles Alte war schlecht und nicht alles Neue ist gut", wie Marie Matuszczyk sagt. Eins bleibt aber hoffentlich bestehen: "Wir wohnen gerne hier", sagt Eric Wilde und schaut rüber zu seinem Nachwuchs, der fröhlich auf der verkehrsberuhigten Straße spielt. Wie früher, fast.
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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