Haard-Klinik bietet Psychoedukations-Gruppen für Patienten und Angehörige an
Patienten werden Experten für ihre Erkrankung
Haltern/Marl. Katja konnte bisher immer gut mit Stress umgehen: Schule, Klausuren, praktische Fahrprüfung – kein Problem. Deshalb ignoriert Katja auch diese Unruhe, die sich schleichend in ihr auszubreiten scheint. Dann hört sie zum ersten Mal eine Stimme, die ihr sagt: “Du schaffst das nicht. Du wirst die Prüfung nicht bestehen.“
Mit der Zeit wird diese Stimme immer lauter und flüstert der Schülerin noch andere unangenehme Botschaften ins Ohr. Katja kann sich mittlerweile auf nichts anderes mehr konzentrieren. Sie schafft es nicht mehr in die Schule, verlässt nicht das Haus. Ein Kinder- und Jugendpsychiater überweist die 17-Jährige schließlich in die Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Seine Verdachtsdiagnose: „Akute Psychose“.Fünfzehn bis zwanzig junge Patienten mit dieser Diagnose erhalten pro Jahr therapeutische Hilfe in der LWL-Klinik Marl-Sinsen.
Gewitter im Kopf
„Dazu sind neben Fachtherapien auch Medikamente notwendig, die dieses ‘Gewitter im Kopf‘ eindämmen“, so die Kinder- und Jugendpsychiaterin der Klinik, Dr. Steffi Zschörper-Arens. Bei einer so schwerwiegenden und langwierigen Erkrankung sei es sehr wichtig für den Patienten und sein Umfeld, genau Bescheid zu wissen, sowohl über die Erkrankung als auch über die Veränderungen, die diese für das eigene Leben bedeutet. Deshalb bietet Zschörper-Arens gemeinsam mit ihrer Kollegin Christine Lawaczek-Matkares und Diplom-Sozialarbeiterin Norma Schöpper eine spezielle Psychoedukations-Gruppe in der LWL-Klinik Marl-Sinsen an. Im Gespräch erklären die drei Fachfrauen, wie ihr Hilfeangebot funktioniert.
Frau Dr. Zschörper-Arens, was bedeutet der Begriff „Psychoedukation“?
Zschörper-Arens: "Dieser Begriff kommt aus dem Amerikanischen und setzt sich aus „Psychotherapy“ und „Education“ zusammen. Man könnte ihn als eine psychotherapeutische Wissensvermittlung übersetzen. Dabei geht es nicht nur darum, dem Patienten und seinem sozialen Umfeld Wissen über die Erkrankung, also in diesem Fall über die Psychose zu vermitteln, sondern auch beide Seiten therapeutisch zu begleiten, ihnen Hilfen für die Bewältigung ihres Alltags mit dieser Erkrankung zu geben. Diese Wissensvermittlung erfolgt in unserer Gruppe über ein spezielles Programm, das in 12 Module unterteilt ist."
Frau Lawaczek-Matkares, Sie bieten Psychoedukations-Gruppen nicht nur für ihre jungen Patienten sondern auch für Angehörige an. Warum?
Lawaczek-Matkares: "Ganz einfach, weil Patienten und Angehörige in einem Boot sitzen. Sie alle stehen vor der Herausforderung, ihr Leben trotz dieser Erkrankung gut weiterzuführen. Es ist sinnvoll, dass nicht nur die Betroffenen sondern auch die Eltern unserer Patienten sehr gut über die psychische Erkrankung ihres Kindes informiert sind, ihm begleitend zur Seite stehen und auch Alarmzeichen für einen möglichen Rückfall erkennen und entsprechend handeln. Jeder, bei dem ein Familienmitglied einmal ernstlich erkrankt war, egal ob an Körper oder Seele, weiß wie sich das auf die gesamte Familie auswirkt, wie sich die Familienmitglieder kümmern und dabei selbst zurücknehmen. In den Gruppenstunden müssen die Angehörigen nicht stark sein. Sie dürfen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen und auch Fragen stellen, die sie im Beisein ihrer Kinder nicht stellen würden. In diesen Situationen können wir sehr gut helfen und auch unterstützen. Deshalb trennen wir bei Bedarf Patienten und Angehörige räumlich, so dass für alle Betroffenen die Möglichkeit zum Austausch besteht.
Alarmzeichen für einen möglichen Rückfall erkennen
Insbesondere die Eltern profitieren von der Möglichkeit, die Informationen über den typischen Verlauf der Erkrankung mit ihren eigenen Erfahrungen abzugleichen und sich darüber mit anderen auszutauschen. Denn wir sind „nur“ die Fachleute. Wir gehen am Ende des Tages nach Hause und müssen dort kein Kind motivieren, aufzustehen und zur Schule zu gehen. Welche Herausforderung das täglich darstellt, darüber können sich die Angehörigen selbst am besten austauschen und sich auch untereinander Tipps geben."
Norma Schöpper: "Und genau dieser Austausch findet ebenfalls in unserer Psychoedukations-Gruppe statt. Dabei ist die Tatsache, dass wir Eltern und Patienten in unterschiedlichen Stadien ihres Krankheitsverlaufs zusammenbringen, ebenfalls enorm wichtig. Denn so sehen die Betroffenen, die sich vielleicht noch ganz am Anfang und gefühlt in einem tiefen Loch befinden, oftmals an anderen Teilnehmern, wie positiv sich ihr Leben wieder entwickeln kann. Das macht Mut und motiviert!"
Wie lange kommen die Betroffenen in die Psychoedukations-Gruppe?
Zschörper-Arens: Das kommt ganz darauf an, wie sie das empfinden. Manche nehmen diese Unterstützung gerne länger an und andere möchten dieses Thema lieber nach der akuten Phase abschließen. Wir geben alle Patienten die Gewissheit mit auf den Weg, dass wir für sie und ihre Probleme ansprechbar sind – auch nach der Behandlung. Mithilfe der Psychoedukations-Gruppe können die jungen Menschen einen losen Kontakt zu uns zu halten und sich - falls nötig - schnell Hilfe holen. Das gibt allen Beteiligten ein sicheres Gefühl.
Hintergrund
Die LWL-Klinik Marl-Sinsen bietet Kindern und Jugendlichen mit einer Psychose auf einer speziellen Station Hilfe und Therapie an. Hierzu gehören unter anderem Gesprächs-Gruppen und Fachtherapien. Psychoedukation findet für die Patienten einzeln auf der Station und in Gruppen mit Angehörigen statt. Hierzu sind alle ehemaligen Patienten und ihre Bezugspersonen eingeladen. Um eine Anmeldung wird gebeten unter Tel.: 02365 / 802 6214.
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