Lese-Rechtschreib-Störung trifft auch kluge Menschen
Fachleute der LWL-Klinik Marl-Sinsen informierten beim Haard-Dialog

- Informierten zum Thema LRS: Christine Odenthal, Klaus Röder, Dr. Rüdiger Haas, Julia Nowak. Foto: LWL/Seifert
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Kreis. Bis auf den letzten Stuhl gefüllt war der Festsaal der Kinder und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen–Lippe (LWL) beim vergangenen Haard-Dialog. Rund 150 Gäste waren gekommen, um sich über das Thema „Lese-Rechtschreib-Störung“ zu informieren und in einen Dialog zu treten. Dabei konnte das Publikum gemischter kaum sein, Großeltern, Eltern, Lehrer, Therapeuten und Mediziner hatten sich auf den Weg in die LWL-Klinik Marl-Sinsen gemacht.
Eine Lese-Rechtschreib-Störung sei eine psychische Erkrankung, stellte Dr. Rüdiger Haas in seinem Vortrag fest. In manchen Familien wird sie über Generationen hinweg weitervererbt. Dabei sind Jungen wesentlich häufiger betroffen als Mädchen. Mit dieser Erkrankung müssen Betroffene ihr Leben lang klarkommen. „Hier geht es nicht darum, dass ein Kind faul ist und keine Lust zum Lernen hat“, so der Ärztliche Direktor der Marler Fachklinik, „Im Gegenteil, diese Kinder sind vielfach äußerst lernwillig, aber alles ‚normale‘ Lernen hilft hier nicht.“ Deshalb sei eine spezielle Förderung, am besten schon im Grundschulalter, sehr wichtig. „Denn auch wenn sich immer mehr oftmals erfolgreiche Menschen zu ihrer LRS bekennen, sprechen sie doch auch von dem enormen Druck auf das Selbstwertgefühl, den diese Störung bewirken kann“, so Haas weiter.
Die Psychologin Christine Odenthal informierte anhand eines Fallbeispiels über die Warnzeichen einer Lese-Rechtschreib-Störung und gab Auskunft darüber, wie eine entsprechende Diagnose gestellt wird. Neben einer körperlichen Untersuchung wird hierzu unter anderem der Intelligenzquotient des Kindes mit seiner Fähigkeit zu lesen oder zu schreiben in Bezug gesetzt. Je intelligenter das Kind ist und desto deutlicher es in diesen Fähigkeiten von der Normalkurve seiner Altersgenossen abweicht, desto wahrscheinlicher sei eine LRS. „Wer sehr klug ist, hat so gesehen eine höhere Chance, an einer Lese-Rechtschreib-Störung zu leiden“, brachte Dr. Rüdiger Haas die Fakten provokant auf den Punkt.
Welche Möglichkeiten es in der Schule gibt, um betroffene Schüler zu fördern, darüber referierten Klaus Röder und Julia Nowak von der klinikeigenen Schule für Kranke in der Haard. Sie betonten, dass die individuelle Förderung aller Schüler eine Pflichtaufgabe der Schule sei. „Ein Kind, das mindestens drei Monate massive Probleme beim Lesen und Schreiben hat, kann zusätzliche Fördermaßnahmen erhalten“, so der Schulleiter. Des Weiteren sei ein Nachteilsausgleich möglich, der für die Chancengleichheit im Bildungsbereich sorgen soll. Julia Nowak erklärte anhand praktischer Beispiele, welche Möglichkeiten Lehrkräfte konkret haben, um den Lese- und Schreiberwerb zu fördern.Sowohl nach den einzelnen Vorträgen als auch am Ende diskutierte das Publikum rege mit den Experten. Dabei beschwerten sich viele Eltern darüber, dass die angesprochenen Fördermaßnahmen nur bis zur sechsten Klasse durchgeführt werden. Das sei Quatsch, so eine betroffene Mutter, schließlich sei die Erkrankung ja nicht heilbar. Dem stimmte Klaus Röder zu, betonte aber: „Unsere Spielräume sind hier durch geringe Ressourcen und einen fast dreißig Jahre alten Erlass der Schulbehörde sehr begrenzt.“ Hier wäre eine Nachbesserung dringend notwendig. Dazu braucht es aber entsprechende Impulse. Diese könnten auch von den Elternverbänden kommen, so Röder.
Der nächste Haard-Dialog findet am 10. September zum Thema Autismus statt.
Hintergrund
Eltern, die den Verdacht hegen, dass ihr Kind an einer LRS leidet, können sich neben der Schule auch an ihren Kinderarzt, einen niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder die Regionale Schulberatungsstelle für den Kreis Recklinghausen wenden.


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