Besucherrekord beim Haard-Dialog zum Thema Autismus in der LWL-Haard-Klinik
„Autisten sind nicht gefühlskalt!“
Haltern/Marl. „Mit einem derartigen Ansturm hätten wir zum Thema Autismus nicht gerechnet“, wunderte sich nicht nur der Ärztliche Direktor der Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Rund 170 Interessierte hatten sich am Dienstag im Festsaal der Fachklinik versammelt, um etwas über Autismus zu erfahren, darunter betroffene Eltern, Lehrer, Erzieher, Psychotherapeuten und Psychologen.
„Autisten sind weder zwangsläufig inselbegabt noch gefühlskalt,“ räumte Dr. Rüdiger Haas gleich zu Beginn mit zwei Vorurteilen auf, „sie reagieren in bestimmten Situationen nur nicht so, wie wir das erwarten“. Dabei unterscheide man zwischen dem frühkindlichen Autismus, dem sogenannten Kannersyndrom und dem Asperger-Syndrom, das auch der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg zugeschrieben wird. Die Diagnose „Kannersyndrom“ wird häufig im zweiten Lebensjahr festgestellt. Auffällig ist bei diesen Kindern die fehlende Sprachentwicklung. Sie lautieren lediglich, kapseln sich ab, nehmen keinen Blickkontakt auf und sind insgesamt nur sehr schwer zu begrenzen. „Kannerautisten haben eine geistige Behinderung und werden meistens kein eigenständiges Leben führen können“, so Haas. Asperger-Autisten hingegen seien häufig normal begabt, aber ihre soziale Kompetenz ist eingeschränkt, erläuterte der Facharzt weiter: „Das bedeutet unter anderem, sie können keine Gesichtsmimik deuten oder soziale Signale wie Freude oder Ärger wahrnehmen.“ Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, dass sei ein Ausdruck der die Informationsverarbeitung dieser Menschen perfekt beschreibe.
„Ich bin der, mit dem immer schon etwas nicht stimmte“.
Autisten sehen Bäume aber sie fügen diese Einzelbestandteile nicht zu einem Gesamtbild, also einem Wald zusammen. Asperger-Autisten seien diejenigen, die er in der Autismus-Sprechstunde am häufigsten zu sehen bekomme, so Marco Timmerhinrich. „Ich bin der, mit dem immer schon etwas nicht stimmte“, diesen Satz bekommt der Diplom-Psychologe hier häufiger zu hören. Im Rahmen der Diagnosefindung geht er diesem Gefühl sprichwörtlich auf den Grund. In vier bis acht Terminen mit den Kindern und ihren Eltern macht sich Timmerhinrich ein Bild von den Betroffenen, lässt sich das Heranwachsen und den Alltag der Kinder im Rahmen eines speziellen Interviews schildern und beobachtet selbst ihr Verhalten in unterschiedlichen Situationen. Dabei geht er nach einem spezialisierten Verfahren, dem sogenannten ADOS, vor. Beurteilt wird nach dem Vier-Augen-Prinzip gemeinsam mit einem Kollegen oder einer Kollegin.
„Den typischen Autisten gibt es nicht“, weiß der Diplom-Psychologe aus seiner Erfahrung. Aber es gebe typische Verhaltensweisen, diese gelte es aufzuspüren und zu dokumentieren. So findet Timmerhinrich entweder genug typische Verhaltensweisen, um eine Autismus-Diagnose zu stellen oder er entdeckt andere Gründe für ein abweichendes Verhalten wie zum Beispiel eine Zwangserkrankung oder eine Angststörung.
Ist die Diagnose „Autismus“ gestellt, bietet zum Beispiel die DRK-Autismusambulanz in Dülmen die Möglichkeit zur Therapie. Eine Heilung für Autismus gebe es nicht, so Sebastian Arnold: „Autismus-Therapie bedeutet, Brücken zu bauen – zwischen dem autistischen Menschen und seiner Umwelt.“ Im Rahmen von Einzel- und Gruppentherapiestunden wird hier zum Beispiel die soziale Interaktionsfähigkeit aufgebaut. „Dabei geht es jedoch nicht darum, ungewünschtes Verhalten der Patienten abzubauen, sondern es für sie kontrollierbar zu machen“, so der Diplom-Psychologe. Patienten lernen, eigene Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen. Auch eine Eltern- und Umfeldberatung gehören zum Angebot.In vielen Nachfragen auch von Vertretern aus Kindergärten und Schulen wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass auch das Umfeld der Betroffenen gut informiert ist.
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