Bericht: Wohnungstagung am 23. Oktober in Haltern
Wie Wohnträume in Zeiten des Wohnungsmangels erfüllt werden können
(Foto: Wolfram Heidenreich )
Tagungsteilnehmer in Haltern auf der Suche nach innovativen Problemlösungen
HALTERN AM SEE. „Haltern ist nach Münster der zweitteuerste Wohnstandort in ganz NRW“, bestätigte der parlamentarisch Staatssekretär des Landesbauministeriums, Josef Hovenjürgen, auf der ausgebuchten wohnungspolitischen Tagung im Halterner KönzgenHaus mit ca. 80 Teilnehmenden aus Stadt und Region. „Wohnträume sollen aber erfüllt werden“. Doch steigende Bodenpreise und Bau- und Mietpreise lassen die Wohnkosten explodieren und selbst für die Mittelschicht platzt der Traum vom Eigenheim. Bezahlbare Mietwohnungen werden zur Mangelware, insbesondere im teuren Haltern.
Deshalb hatten sich die Veranstalter vom Halterner Forum und Verein VITUS sowie dem KönzgenHaus mit den eingeladenen Experten, Politikern und Projektträgern den Fragen der kreativen und parteiübergreifenden Problembewältigung am angespannten Wohnungsmarkt zugunsten bezahlbaren Wohnens gestellt. Hierbei standen insbesondere innovative Praxisbeispiele aus anderen Kommunen sowie aus sozialen und zivilgesellschaftlichen Projekten im Vordergrund, ferner die Hilfestellungen und Förderprojekte der Landes- und Bundespolitik.
Aufgeboten hatten die Veranstalter kompetente Referenten und Projektträger nicht nur aus Haltern und den kreisangehörigen Nachbarstädten, sondern auch aus Münster, Coesfeld, Steinfurt und Bielefeld sowie sogar aus dem Westerwaldkreis. Sie alle trugen zum Gelingen und zu angeregten Diskussionen bei unter dem Motto der Tagung: „Sozial, gerecht, bezahlbar – Neue Ideen für das Wohnen“. Vorbereitet hatte die professionelle Veranstaltung die 9-köpfige ehrenamtliche Forums-Arbeitsgruppe „Bezahlbares Wohnen“ des Halterner Forums.
Diese stellte eingangs die Fragen: „Muss es immer Neubau sein – oder gibt es ungenutzte Reserven und versteckte Leerstände im Bestand, vor allem auch in den großzügigen Eigenheimsiedlungen?
Wie können wir Altbauten erhalten und umbauen statt abzureißen oder leerstehende Büros und Gewerbe in preisgünstige Wohnungen umwandeln? Liegt nicht eine Ursache der Wohnungsknappheit auch darin, dass Wohnraum nur falsch verteilt oder falsch genutzt ist? Ist der Wohnungstausch von Jung und Alt denkbar? Wohnen wir zu großzügig auf zu viel ungenutzter Fläche? Sind nicht gemeinschaftliche Wohnformen zunehmend gefragt? Und ist nicht eine urbane Quartiersentwicklung sowie die Wiederbelebung der Dorfkerne den ausgedehnten Stadtrandsiedlungen mit ihrem Flächenverbrauch vorzuziehen?“ Zu allen Fragen wurden Referenten und Projektbeispiele dargeboten.
Fülle an Informationen mit großer Resonanz
Die außergewöhnliche Ganztagsveranstaltung von 10 Stunden Dauer an einem Montag mit 14 Referent*innen und 8 Programmpunkten unter der professionellen Moderation von Anke Verhoeven bot eine Fülle an Informationen und Gesprächsmöglichkeiten. Sie stieß nicht nur auf das rege Interesse von anwesenden Bürgerinnen und Bürgern sowie Kommunalpolitikern und den beiden anwesenden Abgeordneten aus Land und Bund, Brian Nickholz (SPD) und Hedwig Tarner (Bündnis 90/Die Grünen). Zahlreich vertreten waren auch Sozial- und Baudezernenten und Planer aus benachbarten Städten und von der Bezirksregierung sowie Architekten und Vertreter der Immobilienbranche, von Wohnungsbaugenossenschaften und auch der Sparkasse, ferner vom DGB-Bildungswerk NRW u.v.m.
Die Veranstaltung war finanziell gesponsert worden von der hiesigen Sparkasse und Volksbank sowie der SpardaBank. Ein Büchertisch und Ausstellungswände boten zusätzliche Informationen. Vermisst wurden allerdings Teilnehmer aus dem Bau- und Planungsressort des Halterner Rathauses und aus mehreren Ratsfraktionen, die zum fachlichen Diskurs eingeladen waren. Das tat der großen Resonanz und positiven Bilanz der regionalen Tagung keinen Abbruch, auch wenn der Halterner Bürgermeister sein zugesagtes Grußwort an die hochkarätigen auswärtigen Gäste abgesagt hatte. Ein Teilnehmer leitete daraus ab, dass das Thema des bezahlbaren Wohnens offensichtlich keine Priorität im Halterner Rathaus habe...
Einigkeit: Schaffung von bezahlbarem Wohnraum als drängendste soziale Frage
Über das Ziel waren sich alle einig, aber die Wege dahin sind unterschiedlich:„Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist eine der drängendsten sozialen Fragen“ wurde gleich zu Beginn übereinstimmend und parteiübergreifend festgestellt mit Blick auf den akuten Wohnungsmangel: „Denn dieser hat die Wohnungslosigkeit im letzten Jahr um 62% hochschnellen lassen. Inzwischen sorgen sich 60% der Deutschen, ihre Mieten und Wohnkosten nicht mehr bezahlen zu können, seitdem Millionen Mieter 30% bis 50% ihres Nettoeinkommens für die Kaltmiete aufbringen müssen und Träume vom Eigenheim auch für die Hälfte der Mittelschicht geplatzt sind.“ Der Neubau von Sozialwohnungen ist nahezu zum Erliegen gekommen und es fehlen vor allem auch barrierefreie Seniorenwohnungen. Der Blick auf den besonders angespannten örtlichen Wohnungsmarkt in Haltern ergab besonders großen Handlungsbedarf und eine erforderliche Umorientierung.
Lehrreicher Blick über den Tellerrand der eigenen Kommune
Geboten wurde ein Blick über den Tellerrand der eigenen Kommune sowie auf die politischen Konzepte und Programme mitsamt aufgestockter Fördergelder. Darüber informierten der Bundestagsabgeordnete Brian Nickholz (SPD) und die Landtagsabgeordnete Hedwig Tarner (Bündnis 90/Die Grünen) aus den jeweiligen Fachausschüssen für Wohnen und Bauen. Zur Sprache kamen auch die regional- und landesplanerischen Vorgaben für die Städte. Von den erweiterten Vorkaufsrechten etc. für die Kommunen hat Haltern bislang nicht Gebrauch gemacht und lehnt deren Anwendung „als Eingriff ins Privateigentum“ ab, derweil andere Kommunen im Münsterland bereits Satzungen dazu erlassen haben. Auch die aufgestockten Fördergelder von Land und Bund für den rückläufigen sozialen Wohnungsbau wurden in der Stadt Haltern bislang nicht abgerufen.
Trotz 9%igen Anstiegs des Wohnungsangebotes in Haltern wegen reger Bautätigkeit bei hochpreisigen Eigenheimen und Eigentumswohnungen „werden Wohnungen vielfach am eigentlichen Bedarf vorbei gebaut“, bemerkte auch MdB Brian Nickholz und verurteilte Grundstücksspekulation. Umso bemerkenswerter waren auf der Tagung die innovativen Wege und Strategien anderer Kommunen für eine nachhaltige und sozial ausgewogene Wohnungsversorgung, die als die wichtigste soziale Frage unserer Zeit erkannt wurde. Staatssekretär Hovenjürgen hatte in seinem Grußwort überdies eine klimaneutrale und flächenschonende Ausrichtung der örtlichen Wohnungsbaupolitik mit einer besseren Flächennutzung z.B. durch Hinterlandbebauung angemahnt und stellte erhöhte Fördergelder des Landes in Aussicht. Die Stadt Haltern bemüht sich gerade um eine Innenverdichtung, weil die Außenbebauung an ihre natürlichen Grenzen stößt.
Erfolgreiche Steuerung kommunaler Grundstücks- und Bodenpolitik
Zu Beginn hatte Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Werner Nienhüser vom Halterner Forum die Frage aufgeworfen: „Inwieweit kann Grundstücks- und Wohnungspolitik in der Praxis ohne staatlichen Eingriff auskommen, da der Markt den Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei den Immobilien erkennbar nicht reguliert“. Dies bestätigte der Eröffnungsvortrag der Forums-Arbeitsgruppe „bezahlbares Wohnen“ mit beeindruckenden Zahlen: „Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen bei überhöhten Bodenpreisen lässt Wohnträume platzen, insbesondere im teuren Haltern als landesweites Schlusslicht bei den völlig unzureichenden öffentlich geförderten Wohnungen und bei barrierefreien und bezahlbaren Seniorenwohnungen.“
Im Kontrast dazu bot der Auftakt-Vortrag von Markus Hengstmann vom Immobilienmanagement der Stadt Münster Lichtblicke, wie Wohnträume mittels aktiver kommunaler Boden- und Wohnungspolitik erfüllt werden können: Das erfolgreiche kommunale Modell der sozial gerechten Bodenordnung und des geförderten Wohnens in der Stadt Münster erstrebt „eine lebenswerte Stadt für alle und für jedes Einkommen“. Münster legt auf der Grundlage einstimmiger Ratsbeschlüsse im Rahmen der kommunalen Planungshoheit und mittels Grundstückkäufen oder Erbbaurecht und kostenneutraler Baulandentwicklung selber fest, was, wie, wo und für wen gebaut wird. „Denn der § 1 des Bundesbaugesetzes verpflichtet die Kommunen, „eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung zu gewährleisten“, betonte der Immobilienmanager der Stadt Münster. Dies erfolge in Kooperation mit den Grundeigentümern.
Private Investoren erhalten in Münster klare Zielvorgaben mit hohen Quoten für den Anteil an geförderten Wohnungen. Ziel sind möglichst niedrige Mietpreise und Begrenzung der Wohnungsgröße. Außerdem hat sich die Stadt Münster eine Selbstverpflichtung zu 60% sozialem Wohnungsbau und flächensparendem Bauen auferlegt und reduziert den Anteil von Einfamilienhäusern gegenüber dem bevorzugten Mietwohnungsbau. In der anschließenden Diskussion bemerkte ein Teilnehmer: „Kommunales Vorkaufsrecht ist also kein kommunistisches Teufelszeug“, sondern ergebe sich aus der Sozialverpflichtung des Eigentums und diene dem Gemeinwohl. „In Münster wird dies von den Akteuren am Wohnungsmarkt akzeptiert“, betonte der Referent. „Ohne das städtische Konzept wären die Sozialwohnungen in Münster auf die Hälfte gesunken“ resümierte Markus Hengstmann
Hinweis: Eine ausführliche Darstellung des vorbildlichen Münsteraner Modells befindet sich in den beiden früheren Artikel im Lokalkompass unter:
https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/wie-kommunen-fuer-bezahlbares-wohnen-sorgen-koennen-das-praxismodell-der-sozial-gerechten-bodenordnung_a1633714
Wohnungsbaugenossenschaft ermöglicht Niedrigmieten zwischen 5 bis 7 € je qm
Erstaunt nahmen die Tagungsteilnehmer*innen aus dem Vortrag von Oliver van Nerven als Vorstand der seit Jahrzehnten tätigen Coesfelder Wohnungsgenossenschaft zur Kenntnis, dass dort die niedrigen Mietpreise im geförderten Wohnungen sich zwischen 5 bis 7 €/qm bewegen. Nach Modernisierungen und energetischer Sanierung liegen sie leicht darüber sowie bei frei finanzierten Wohnungen bis 10,50 €. In Haltern ohne eigene Wohnungsbaugesellschaft liegt dagegen die durchschnittliche Kaltmiete mit 9,23 € je qm um 12% über dem deutschen Mietpreisspiegel. Im Neubau liegt das Halterner Mietpreisniveau bei 14 bis 16 €/qm mit steigender Tendenz.
Mit Fotos über die errichteten Sozialwohnungsprojekte in Coesfeld und Dülmen wurde auch sichtbar, dass dort eine ansehnliche Architektur fernab von “Klotzbauten“ geboten wird. „Raume für soziale Belange, Kita, Fahrradhäuser und nutzbare Grünflächen gehören dazu“, betonte der Referent aus Coesfeld. Zu 40% wohnen Senioren in den Genossenschaftswohnungen, die barrierefrei modernisiert wurden. In der Diskussion kam wiederholt der Vorschlag auf: „Kann nicht die Stadt Haltern in Ermangelung einer eigenen genossenschaftlichen oder gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft mit den benachbarten Gesellschaften etwa in Coesfeld, Herten oder Marl kooperieren, indem diese sich auch auf Halterner Stadtgebiet betätigen?“.
Hilfreiche Kommunale Handlungskonzepte und Bedarfsanalysen
Die Tagungsteilnehmer*innen erfuhren in einem weiteren Kurzvortrag, dass es vom Land abverlangte Kommunale Handlungskonzepte mit vorheriger Bedarfsermittlung zur zukünftigen Ausrichtung der Wohnungspolitik bereits gibt, und zwar in den kreisangehörigen Städten Gladbeck, Herten, Castrop-Rauxel, Marl und Recklinghausen, die jetzt aktualisiert werden. „In Haltern ist erst im vorigen Monat ein solches Konzept erstmalig in Auftrag gegeben worden, dessen erste Ergebnisse werden aber erst frühestens Mitte 2024 vorliegen“, berichtete das Halterner SPD-Ratsmitglied Arno Huesmann. Er ersetzte die zu diesem Thema angefragten, aber terminlich verhinderten Referenten von der Stadt Marl und Recklinghausen. (Der ebenfalls angefragte und eingeladene Halterner Baudezernent Siegfried Schweigmann hatte eine Teilnahme an der überparteilichen Tagung und einen Austausch mit den dortigen Fachkollegen über mögliche Handlungsstrategien abgelehnt).
Arno Huesmann berichtete über zurückliegende Ratsanträge der Halterner SPD-Fraktion über die Einrichtung eines städtischen Eigenbetriebes „kommunales Bauland“ für die Bodenvorratspolitik mit Blick auf soziales Wohnen. Dieser wurde von der Ratsmehrheit ebenso abgelehnt wie der Antrag auf Einrichtung eines Wohnungsressorts im Rathaus oder der frühere Antrag auf Gründungeiner Städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Stattdessen sei die städtische „Flächenentwicklungsgesellschaft“ bei den Stadtwerken gegründet worden, die aber keinen geförderten Wohnungsbau unterstützt. „Nunmehr soll jedoch dem steigenden Druck auf den örtlichen Wohnungsmarkt mit einer zielgerichteten Handlungsstrategie begegnet werden zwecks sozialer Ausrichtung der Wohnungspolitik“, so erhoffte sich der SPD-Ratsherr von dem in Auftrag gegebenen Handlungskonzept für Haltern.
Angeregte Diskussionsphasen zwischendurch
Den Impulsvorträgen schloss sich vor der Mittagspause eine angeregte Publikumsdiskussion mit Fragen an die Referenten nach erfolgter Kartenabfrage an, darunter auch Fragen zum vereinfachten Bauen mit reduzierten Vorschriften, zur Sozialbindung, zu Schottimmobilien und „Enteignung von Heuschrecken“. Dargestellt wurde auch, dass die Nachfrage nach Baugrundstücken für Eigenheime im attraktiven Haltern nicht identisch sei mit dem tatsächlichen Bedarf der eigenen Wohnbevölkerung, die teilweise wegen nicht vorhandenen bezahlbaren Wohnraums ihre Heimatstadt notgedrungen verlässt in preiswertere Nachbarstädte. In den Kaffeepausen im Foyer, am Büchertisch und beim Mittagessen gab es viele Gespräche, Kontakte und Begegnungen sowie Informationsaustausch zwischen den Tagungsteilnehmer*innen.
Innovative kommunalpolitische Initiativen: Wiederbelebte Dorfkerne
In vier thematisch unterteilten Panels nach der Mittagspause wurde es in lockeren Geprächsrunden auf der Tagung besonders interessant. Der eigens aus der Verbandsgemeinde Wallmerod im Westerwald angereiste Bürgermeister Klaus Lütkefedder begeisterte die Zuhörenden mit seinem überregional bekannten Modellprojekt zur Belebung der Dorfkerne: „Leben im Dorf – mittendrin“. Er konnte sich rühmen, bei den einbezogenen Dörfern keinen qm Freifläche im Außenbereich für das Wohnen bebaut zu haben, sondern seit vielen Jahren mit einem finanziellen Anreizprogramm vor allem junge Menschen, davon 2/3 Familien mit Kindern, stattdessen für das Wohnen im Dorfkern zu gewinnen - in vorhandenen und teils Sanierungs- und modernisierungsbedürftigen Gebäuden, in Neubauten nach Abriss oder in vorhandenen Baulücken.
Insgesamt sind nach Aussagen des rührigen Bürgermeisters dadurche 485 Objekte gefördert worden mit einfachen Anträgen auf einer DIN-A 4-Seite und Bewilligung innerhalb von 10 Tagen. Investiert wurden bisher dreistellige Millionensummen. Damit wurde der Verödung der Dörfer entgegengewirkt, für die es überdies angepasste Infrastruktur- und Mobilitätskonzepte gibt. Nachahmenswert auch für die dörflichen Stadtteile in Haltern und anderswo. Nachahmer gibt es u. a. bereits in Bamberg und in Ostwestfalen sowie anderswo.
Projekt Lebensräume: Erschließen nutzbarer Wohnpotenziale in Eigenheimen
Aus dem Kreis Steinfurt berichtete die Sachgebietsleiterin für den Klimaschutz, Claudia Franca Machado über das Forschungs- und Modellvorhaben, leer stehenden Wohnraum für die neuen Bedarfe und an die Anforderungen des demografischen Wandels anzupassen. Das Projekt „Lebensräume – Instrumente zur bedürfnisorientierten Wohnraumnutzung in Kommunen“ wird zusammen mit dem Öko-Institut Freiburg und mit dem ISOE-Forschungsinstitut entwickelt und hat vor allen die Eigenheimsiedlungen im ländlichen Raum im Visier: „Ziel ist es, die bestehende Ein- und Zweifamilienhäuser effizienter zu nutzen, etwa durch Abtrennung von Einliegerwohnungen, oder den Tausch von Wohnungen zu unterstützen,“, erläuterte die Referentin. Mit einer Beratungsstelle für Wohnraumvermittlung soll Sanierungsberatung und Umzugshilfe angeboten werden und auf das Wohnen im Alter vorbereitet werden. Viele Senioren würden gerne das zur Last gewordene große alte Haus gegen eine altersgerechte Wohnung tauschen.
Da viele Eigenheime dem Standard der 1960er und 70er-Jahre entsprechen - wie auch in Haltern zu über 50% - und die auf Familien angelegten Wohnungen nach dem Auszug der Kinder zu 70% nur noch von 1 -2 Personen auf viel zu großer Wohnfläche bewohnt sind, könnte hier nach Sanierung fehlender Wohnraum für junge Familien erschlossen werden. In Haltern mit über dem landesdurchschnitt liegenden Wohnflächen und Wohnräumen pro Person wären hier besonders große Potenziale zu vermuten.
Bürgerdialog: „Wie wir wohnen wollen“
Bedauert wurde die kurzfristige Absage der Bürgermeisterin von Coesfeld, Eliza Diekmann aus Termingründen, die auf der Tagung eigentlich gerne über den regelmäßigen öffentlichen Stadt-Dialog in Coesfeld berichten wollte. Dort stand zuletzt das Thema an: „Wie wir wohnen wollen“. In einem gelosten Bürgerrat hatte man sich zuvor dafür ausgesprochen, neue Wohnformen und Möglichkeiten des Zusammenlebens ins Stadtgespräch zu bringen. Menschen, die bereits kreativ, neuartig oder anders zusammenleben, wurden dort eingeladen über ihre Erfahrungen zu berichten. Zusammen mit dem Coesfelder Verein für interkulturelle Begegnungsprojekte fand ein Austausch statt über Fragen des ganzheitlichen und ambulant betreuten Wohnens für Suchtkranke, psychisch Kranke und Menschen in besonderen Lebenslagen.
Da die Wohnungsnot auch in Coesfeld sehr groß ist, hatten beim dortigen Stadtdialog Betroffene ihre verzweifelte Suche nach bezahlbaren Sozialwohnungen in der Stadt eindringlich geschildert. Andere sind nach Eigenbedarfskündigung als Mieter wieder zu ihren Eltern gezogen und bauen dort jetzt ein positiv empfundenes Mehrgenerationenwohnen auf. Die Möglichkeit der effizienten Wohnraumnutzung vor allem in Einfamilienhäusern sowie ein Wohnungstausch von Jung und Alt sind auch in Coesfeld aufgekommene Themen im Rahmen der Bürgerdialoge.
Soziale Projekte für bedürftige und benachteiligte Gruppen
Über soziale Projekte im angespannten Wohnungsmarkt - insbesondere für bedürftige und benachteiligte Gruppen,für Flüchtlinge und die steigende Zahl der Wohnungslosen mit ihrer prekären Situation - berichtete das Halterner „Netzwerk für bezahlbares Wohnen“ mit den Akteuren von Caritas und Diakonie sowie der Pfarrei St. Sixtus. David Schütz und Stephan Buttgereit konnten berichten: „ Für Menschen in schwierigen Lebenssituationen und mit geringem Einkommen konnte in 70 Fällen eine leer stehende Wohnung in Haltern vermittelt werden“. Als Mieter tritt die Pfarrei St. Sixtus auf, die dann an die Bedürftigen weitervermietet und damit das Vertrauen zum Vermieter aufbaut sowie das Mietverhältnis ei n Jahr lang begleitet.
Torsten Pott als Immobilienfachmann für Recklinghausen und Marl beim diakonischen Werk Recklinghausen stellte das Projekt „Wohnraum retten und schaffen“ von der Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ vor, mit dem Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen als Geringverdiener vorgebeugt werden soll. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten des Hilfesystems und in Kooperation mit den Vermietern. Bei Problemen im Mietverhältnis erfolgen Kontakte und Beratungsgespräche mit „Hilfe zur Selbsthilfe“, die in 80% der Fälle zum Erfolg führen. Am wenigsten werden die Beratungsangebote in Haltern nachgefragt.
Von der Bielefelder Stabsstelle für Sozialmanagement und Heimbewirtschaftung stellte Oliver Klingelberg das bundesweit bekannte quartiersbezogene „Bielefelder Modell“vor. Dabei geht es um selbstbestimmtes Wohnen im Alter durch Bereitstellung von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum mit quartiersbezogenen Versorgungs- und Unterstützungsleistungen ohne Servicepauschale. Dazu gehört auch ein Wohncafe als Treffpunk, ein Quartiersmanagement und die Kooperation von Jung und Alt.
Hinweis: Siehe zu diesen auf der Halterner Wohnungstagung vorgestellten Projekten auch den ausführlichen Bericht in der Halterner Zeitung vom 24.10.2023 unter: https://www.halternerzeitung.de/haltern/bezahlbares-wohnen-soziale-projekte-in-haltern-w798416-p-3000955340/
Gemeinschaftliche Mehrgenerationen-Wohnprojekte in Eigeninitiative
Mit großem Interesse verfolgten die Tagungsteilnehmer*innen der Vorstellung von drei zivilgesellschaftlichen Initiativen und Projekten. Hierbei geht es um gemeinschaftliche und Generationen übergreifende Wohnvorhaben in Haltern, Recklinghausen und Münster mit sozialer und ökologischer Ausrichtung. Lobend erwähnt wurde auch das erfolgreiche Halterner Genossenschafts-Wohnprojektes LINA - Leben in Nachbarschaft - das auf sein 10-jähriges Bestehen zurückblicken kann und das Titelfoto des Tagungsflyers ziert.
Christoph Holbein-Munske stellte das alternative genossenschaftliche Wohnprojekt „Grüner Weiler“ in Münster-Gievenbeck vor, wo der Bau von 100 Wohnungen begrenzter Größe für 250 Bewohner*innen auf einem Erbpachtgrundstück bereits gestartet wurde. In vielerlei Hinsicht geht das Projekt mit frei finanzierten und öffentlich geförderten Wohnungen neue innovative Wege in Sachen Energieversorgung, Mobilität, Solidarität sowie gemeinschaftlichem Leben und sozialer Zusammenhalt. Entstehen soll ein „Dorf in der Stadt“ mit Werkstätten, Vereins- und Veranstaltungsräumen, Gemeinschaftsgarten, Fitnessraum und Kulinarium. „Die Nachbarschaft soll zusammenwachsen, teilen und sich inspirieren, denn „Nutzen und Machen“ soll im Vordergrund stehen, Kaufen und Besitzen an Bedeutung verlieren“, erläuterte Christoph-Holbein-Munske. Bei der Frage nach den Wohnkosten wurde der hohe Münsteraner Mietspiegel sichtbar, aber auch der Kostenausgleich bei den eingeplanten Sozialwohnungen.
Das noch in der Vorbereitungs- und Planungsphase befindliche alternative Wohnprojekt „RE-Wir in Recklinghausen“ für 18 barrierefreie Wohneinheiten mit ökologischem Anspruch als „Leuchtturmprojekt für nachhaltiges Generationen-Wohnen“ wurde von Holger Bonk vom Projektteam vorgestellt, das vor 3 Jahren einen Verein gegründet hat und eine Genossenschaft anstrebt. Ein 3.400 qm großes Grundstück im Recklinghäuser Nordviertel ist bei der Stadt vorgemerkt und die Bezahlbarkeit als Herausforderung soll durch kostensparendes gemeinschaftliches Bauen aufgefangen werden. „Die Initiatoren mit derzeit 7 Paaren und 2 Singles legen großen Wert auf die soziale Auswahl und den vorherigen Kennenlern-Prozess der künftigen Beteiligten“, betonte Holger Bonk. Denn geplant sind später nachbarschaftliche Aktivitäten und gegenseitige Hilfe sowie künstlerische und kulturelle Betätigung. Als besondere Zielgruppe hat man Alleinerziehende, Familien mit Kindern und „lebensfrohe Ü 50“ im Blick.
Das Mehrgenerationen-Projekt „Buntes Wohnen“ in Haltern stellten Dr. Hiltrud von der Gathen und Michael Kuhne für das Projektteam des gemeinnützigen Vereins vor, das besonderen Wert auf eine Mischung aus allen sozialen Schichten unterschiedlicher Herkunft, Bildung oder Weltanschauung und verschiedenen Berufsgruppen Wert legt, aber auch unterschiedlicher körperlicher, geistiger oder psychischer Konstitution im Sinne von Inklusion. „Geplant sind mit Hilfe eines sozial gesinnten Investors auf einem privaten Grundstück 25 bis 40 abgeschlossene barrierefreie und umweltgerechte Wohneinheiten in variabler Größe mit Balkon oder Terrasse, durch Laubengänge verbunden, darunter ein großer Anteil öffentlich geförderter Wohnungen“, erläuterten die Projektvertreter. Erwünscht sind ein Drittel junge Familien, ein Drittel Singles oder Paare unter 60 und ein Drittel über 60 sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen zu den anderen Bewohnern im Quartier.
Podiumsdiskussion zur Problembewältigung am kommunalen Wohnungsmarkt
Den Abschluss der wohnungspolitischen Tagung bildete eine politische Podiumsdiskussion unter der Moderation von Stephan Buttgereit mit dem Bundestagsabgeordneten Brian Nickholz und den Fraktionsvertretern aus dem Rat der Stadt Haltern. Der Diskussion stellten sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Hendrik Griesbach, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Sarah Radas sowie Arno Huesmann in Vertretung der SPD-Fraktionsvorsitzenden Beate Pliete. Die ebenfalls eingeladenen Fraktionsvorsitzenden der FDP-Ratsfraktion und der Wählergemeinschaft WGH waren trotz Zusage nicht erschienen. Der Moderator hatte die Podiumsteilnehmer zu einem Blick auf die Gemeinsamkeiten beim Wohnungsthema statt auf ideologische Gegensätze ermuntert.
Das Diskussionsgespräch ergab demnach Übereinstimmung bezüglich des politischen Handlungsbedarfs auf dem angespannten Halterner Wohnungsmarktes angesichts der horrenden Preisentwicklung in dieser Stadt. Auch die nun notwenige Nachverdichtung im Innenbereich war kaum strittig und wurde insbesondere auch von der grünen Ratsvertreterin hervorgehoben. Aber über die sonstigen Wege und Strategien zum gemeinsamen Ziel einer verbesserten Wohnsituation wurde gestritten. Der Vorrang für den hochpreisigen und flächenintensiven Eigenheimbau, wie vom CDU-Vertreter verteidigt, und die Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus in Haltern war ebenso ein Konfliktthema wie die Frage einer notwendigen Bodenvorratspolitik der Stadt. Der SPD-Ratsvertreter stellte in Frage, ob die Halterner Flächenentwicklungsgesellschaft hilfreich ist bei der notwendigen Problemlösung. MdB Brian Nickholz (SPD) warb noch einmal für die Nutzung der von Bund und Land angebotenen Förderprogramme und Instrumente vor Ort.
Auch der Bau von Sozialwohnungen bringt Rendite
Hendrik Griesbach (CDU) hinterfragte:“Wer soll denn hier Sozialwohnungen bauen? Die großen Bauunternehmen in Haltern haben dem Ratsausschuss mitgeteilt, dass sich sozialer Wohnungsbau für sie nicht rechnet“. Dem Widersprach ein Teilnehmer in der anschließenden Diskussion mit dem Plenum, da inzwischen wegen der Preisentwicklung am Immobilienmarkt der Bau von Sozialwohnungen bei Inanspruchnahme der Fördergelder 3-4% Rendite erbringe, wie auch ein Halterner Bauunternehmen bestätigt habe. Außerdem könnten Sozialwohnungen nicht nur durch Neubau entstehen, sondern auch durch zulässige Umwandlung von Altbauwohnungen oder Einliegerwohnungen als Sozialwohnungen. Vor allem nutze die Stadt nicht die Möglichkeit, wie etwa in Münster Quoten für geförderte Wohnungen bei großen Bauprojekten von Privatinvestoren vorzugeben. „Beim aktuellen Großprojekt in Haltern-Bossendorf mit 100 frei finanzierten Neubauwohnungen hätte man wenigsten 10 Wohnungen als Sozialwohnungen abverlangen können; in Münster ist zwischen 30 bis 60% die von den Bauunternehmen akzeptierte Regel“, argumentierte der Tagungsteilnehmer.
Abgestimmte solidarische Wohnungspolitik für die gesamte Region
Die anwesende Baudezernentin der Stadt Herten, Janine Feldmann, zeigte sich in der Diskussion fassungslos und empört über die Tatenlosigkeit der städtischen Wohnungspolitik in Haltern. In der Nachbetrachtung hat nach Auffassung des Forums-Arbeitskreises die Halterner Wohnungspolititk zur Folge, dass die aus Haltern notgedrungen abwandernden (einkommensschwächeren) Wohnungssuchenden in Nachbarstädten wie Herten zusätzlich auf den angespannten Wohnungsmarkt drängen, mithin eine Folge der unsolidarische Wohnungspolitik im reichen Haltern. Andererseits wird die einkommensstarke Bevölkerungsschicht aus den Revierstädten in die neuen hochpreisigen Neubaugebiete nach Haltern gelockt und abgezogen, wodurch in den letzten Jahrzehnten die Halterner Bevölkerung um ca. 7.000 Zuzügler gewachsen ist.
Eine von der Regionalplanung geforderte Abstimmung der Bevölkerungs- und Wohnungspolitik zwischen konkurrierenden Nachbarstädten mit gemeinsamen Planungen findet nicht statt. Hier nehme auch der Kreis seine Koordinierungsfunktion nicht wahr. Die Bewältigung der allgegenwärtigen Wohnungsprobleme sei aber eine solidarische Gemeinschaftsaufgabe aller Akteure in der Region.
Anregende Impulse aus der Tagung für die Wohnungspolitik
Die abschließende Frage des Moderators an die Politiker auf dem Podium, was sie von dieser Tagung an Ideen und Anregungen mitgenommen haben für ihre weitere Politik, beantworteten sie mit Dank an die positiven Impulsen als Bereicherung der wohnungspolitischen Debatte und Ausrichtung. Eine Teilnehmerin aus dem Saal empfand sogar „eine besondere Energie, die diese Tagung im Saal ausgelöst hat“. Deshalb kündigten die Veranstalter an, beim Thema dran zu bleiben und machten auf einen Folgetermin am 20. Februar mit Daniel Fuhrhop aufmerksam, dem bekannten Bestseller-Autor von Streitschriften wie „Verbietet das Bauen“, der für die Nutzung der Wohnpotenziale im vorhandenen Bestand statt durch Neubau plädiert.
Wilhelm Neurohr, 25. Oktober 2023
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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