Kommunale Mobilitätskonzepte zur Verkehrswende
Wie gelingt die klimaneutrale Mobilitätswende in Haltern?

Foto: Bund-Naturschutz

Notwendige Halbierung des Autoverkehrs bis 2035
als größte Herausforderung des neuen Stadtrates und der Stadtverwaltung

HALTERN. Im Herbst 2020 hat die Stadt Haltern zugunsten einer nachhaltigen Mobilitätswende einen Rahmenvertrag mit dem „Zukunftsnetz Mobilität NRW“ unterzeichnet: Mehr Mobilität soll mit weniger KFZ-Verkehr erreicht werden. Ein ehrgeiziges Ziel für unsere Stadt, denn in keiner anderen Stadt im Kreis gibt es eine so hohe und stetig steigende PKW-Dichte wie in Haltern: Mit 612 PKW/1000 EW ist unsere Stadt mit Abstand kreisweit der Spitzenreiter und liegt über dem Bundesdurchschnitt. Von einer echten „Verkehrswende“ ist unsere bislang noch „autogerechte“ Stadt also meilenweit entfernt, denn richtiger Klimaschutz geht nur mit weniger Autos.

Zum Vergleich: In den übrigen Städten im Kreis sind es im Durchschnitt nur 560 PKW/1000 EW , und auch ländliche Nachbargemeinden wie Dülmen, Coesfeld oder Lüdinghausen liegen noch knapp unter dem Halterner PKW-Besatz. Die ca. 16.000 Haushalte (darunter 5000 Single-Haushalte) in der knapp 40.000 Einwohner-Stadt Haltern, besitzen also rund 24.000 Fahrzeuge - somit jeder Haushalt statistisch 1,5 Motorfahrzeuge (einschl. der über 10.000 mitgerechneten Seniorenhaushalte). In vielen größeren Familien werden auch 2 bis 3 und mehr Fahrzeuge vorgehalten und genutzt – zum Schaden von Umwelt und Klima.

Wie teuer überdies Autofahren für den einzelnen Fahrzeughalter wie auch für die Gesellschaft ist, zeigt der im November 2020 veröffentlichte „Karambolage-Atlas“: Danach meldet jeder zehnte Autofahrer einen KFZ-Schaden (10,4 Schäden pro angemeldeten PKW) mit einer durchschnittlichen Schadenssumme von 2.541 € oder einen Unfallschaden mit durchschnittlicher Schadenssumme von 2.350 € . Die meisten Schäden entfallen auf Besitzer von BMW, Audi und Mercedes, (also weniger auf die aussterbende Gattung der langsamen Kleinwagenfahrer). Bei den im Durchschnitt ca. 800 Verkehrsunfällen jährlich in Haltern gibt es durchschnittlich um 100 Verletzte pro Jahr, so dass erhebliche Risiken bestehen sowie die Kosten für das Gesundheitssystem hinzuzurechnen sind.

Mobilitätsbefragung 2019:
Paradigmenwechel in der Halterner Verkehrsplanung?

Schon die durchgeführte „Haushaltsbefragung zur Mobilität 2019“ in Haltern legte im Ergebnis einen Paradigmenwechsel bei der Planung der Verkehrsinfrastruktur in Haltern nahe: Denn Haltern hat – anders als die meisten anderen Städte - einen seit 10 Jahren gleichbleibenden statt steigenden Anteil an Fuß-/Radverkehr und bedarf einer deutlich steigerungsfähigen ÖPNV-Nutzung in Haltern. (In den westlichen Bundesländern steigerte sich die ÖPNV-Nutzung in 10 Jahren immerhin um dürftige 6,5%). Somit besteht verkehrsplanerischer Handlungsbedarf zur Abkehr von einer „autogerechten Stadt“ und Hinwendung zu ganzheitlichen Mobilitätkonzepten  mit Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel - und mit Bevorzugung nachhaltiger und verkehrssparender Lösungen. Vorbildhaft sind das Beispiel Tübingen oder die Pilotprojekte in Münster mit einem „Hochleistungs-ÖPNV“ oder mittels App abrufbarer Kleinbusse mit bedarfsgerechten Fahrtrouten

In seiner Serie „Verkehrswende jetzt“ gibt der Automobilclub ACE in seinem Mitgliedermagazin Tipps für einen sozial und gerecht gestalteten Verkehr in ländlichen Regionen, zu denen das Stadtgebiet Haltern größtenteils gezählt werden muss. Die Erreichbarkeit auch der Dörfer mit dem ÖPNV zu erschwinglichen Preisen, der Regelbetrieb von Shuttle-Bussen u. a. m. wird für unabdingbar gehalten, wobei pfiffige Eigenlösungen der Bewohner wie z.B. „Mitfahrbänke“ kein ausgereiftes Verkehrskonzept ersetzen können. Eine intelligent gesteuerte Mobilität auf Abruf (Rufbusse und –taxen etc.) findet im ländlichen Raum kaum statt.

Verkehrskonzept: Noch sehr viel zu tun für eine „fahrradfreundliche Stadt“

Aktuell offenbart das laufende Online-Bürgerbeteiligungs-Verfahren der Stadt zum Verkehrskonzept für die Halterner Innenstadt die erheblichen Mängel und Defizite im Radverkehrsnetz. Auch hier zeigt sich erheblicher Verbesserungs-, Handlungs- und Ausbaubedarf mit hoher Priorität. Nicht ohne Grund liegt Haltern im Ranking der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte im bundesweiten Vergleich nur im Mittelfeld, während die Nachbargemeinde Reken demgegenüber die fahrradfreundlichste Stadt unter 20.000 EW in ganz Deutschland ist

Nachholbedarf haben übrigens auch die dörflichen Stadtteile Halterns, die erst mal wieder hintenangestellt werden. Jüngst wurde ernsthaft von der Stadtspitze in Frage gestellt, ob es z. B. entlang der Granatstraße und der Merfelder Straße - also entlang von ortsverbindenden Kreis- und Landstraßen zwischen den Dörfern - der von Bürgern seit Jahrzehnten als überfällig eingeforderten separaten Radwege überhaupt noch bedarf. Denn mit dem Umweg durch das hügelige Lavesumer Militärgelände („alte Panzerstraße“) bestünde nunmehr eine „Alternative“, so hieß es . Bei der Mobilitätswende darf es jedoch überhaupt keine Frage mehr sein, dass an sämtlichen Kreis- und Landstraßen auch begleitende separate Radweg selbstverständlich zur Straßeninfrastruktur stets dazu gehören - und zwar als Standard auf voller Länge, denn niemand hinterfagt ja auch  den Mittelstrich oder die Leitpfosten als Straßenbestandteil! Hat das Umdenken zur Verkehrswende doch noch nicht stattgefunden?

Trotzdem darf sich Haltern seit Oktober 2020 für weitere sieben Jahre „Fußgänger- und Fahrradfreundliche Stadt“ nennen (laut geprüftem und vom Verkehrsministerium NRW und der Arbeitsgemeinschaft AGFS genehmigten Antrag ). Das sollte Ansporn sein, diesem Titel nun auch umfassend gerecht zu werden und entsprechende Prioritäten in der Verkehrsplanung und -wende zu setzen. Das heißt auch, bisherige Verkehrsflächen für Autos künftig mit Vorrang dem Radverkehr zu widmen, statt etwa Parkplätze und Parkstreifen für die übergroßen SUV kostspielig anzupassen und zu erweitern, womöglich zu Lasten von Radfahrern und Fußgängern.

SUV-Liebhaber und motorisierte Touristen erschweren die Mobilitätswende

In Haltern dürfte zudem der augenscheinlich besonders hohe Anteil der SUV (Sportgeländewagen: Sport Utility Vehicle) – von Kritikern als übermotorisierte „Stadtpanzer“ und „Klimakiller“ verspottet - dazu beitragen, dass die CO²-Emissionen laut einer Studie immer langsamer sinken.

Der internationalen Energieagentur (IEA) zufolge liegt der Energieverbrauch eines SUV rund 25 Prozent über dem eines mittelgroßen Pkw, was auch langfristig ein Hindernis bei der Reduktion der CO²-Emissionen bedeutet – mit langfristig gravierenden Folgen für den Planeten. Denn die CO²-Emissionen durch SUV steigen stärker als durch Luftfahrt und Schwerindustrie. Dennoch ist inzwischen jedes 5. neu zugelassen Auto bundesweit ein SUV; die jährliche Steigerung um 13% hat 2019 ein SUV-Rekordjahr beschert mit 1 Mio. Neuzulassungen! Weltweit sind 200 Mio. SUV unterwegs!

Zusätzlich strömen noch allwöchentlich zigtausende motorisierte Touristen aus dem Ruhrgebiet und aus ganz NRW in unsere Stadt Haltern, pro Jahr bis 3 Mio. Tagesgäste - darunter extrem viele Motorräder auf (meist lautstarker) „Spritztour“ durch die Landschaft mit ihren auch hier sterbenden Wäldern. Im Juli 2019 hatte der RVR-Förster zu den leidenden Wäldern in Haltern festgestellt, dass er sich an eine so dramatische Situation seit 30 Jahren Tätigkeit nicht erinnern kann.

Halbierung des KFZ-Verkehrs bis 2035 als zwingend notwendiges Ziel

Zwingend erforderlich wäre zur Erreichung der Klimaziele dagegen die Halbierung des KFZ-Verkehrs und die Verdoppelung des ÖPNV-und Radverkehrs bis 2035 , beginnend ab heute, wie das Wuppertal-Institut in einer Studie für Fridays for Future verdeutlicht hat. Dazu ist auch von jeder Stadt, also auch von Haltern, ein adäquater Beitrag gefordert. Wie kann demgemäß die Stadt Haltern solche ehrgeizigen Ziele zur Mobilitätswende als ihren unverzichtbaren Beitrag zur Klimaneutralität realistisch, konsequent und handlungsorientiert erreichen?

Noch in dieser Corona-Adventszeit fiel der Halterner SPD-Ratsfraktion zur Unterstützung der notleidenden Einzelhändler in der Innenstadt nichts Besseres ein, als kostenloses Parken für die motorisierten Innenstadtbesucher zu beantragen. Die Idee, stattdessen lieber kostenlosen ÖPNV in dieser Zeit in Erwägung zu ziehen, liegt mit der bloßen Fixierung auf das Auto wohl noch zu fern, obwohl trotz weltweiter Corona-Maßnahmen die Treibhausgase in der Atmosphäre einen neuen Rekordwert erreicht haben. Ende November wurde vermeldet, dass in NRW deshalb immer mehr Elektrobusse im öffentlichen Nahverkehr unterwegs seien, insgesamt 141 landesweit. Warum nicht auch in Haltern?

Keine Einigung im Kreistag über höhere Investitionen für Verkehrswende

Schon im Kreistag scheiterte eine angestrebte Koalition zwischen CDU und Grünen unter dem neuen Landrat, dem langjährigen Halterner Bürgermeister Bodo Klimpel, unter anderem auch an der Frage, ob nicht über den „Vestischen Klimapakt“ hinaus zugunsten der Verkehrswende erheblich mehr in den ÖPNV und den Radverkehr investiert werden müsste. Doch dazu war die CDU-Kreistagsfraktion aus Sorge um die Erhöhung der Kreisumlage nicht bereit.

Dabei bieten Bund und Land den Kommunen und Verkehrsträgern zusätzliche Mittel für ÖPNV und Radverkehr - mehr denn je - die aber wegen örtlicher Widerstände und fehlenden Personals in den Rathäusern und Planungsbehörden nicht abgerufen werden. Und für das Auto gibt die öffentliche Hand immer noch weitaus mehr Geld aus. Allein das Autobahnnetz wuchs bundesweit um 18% auf 13.100 km. Und der PKW-Bestand erhöhte sich um 14% von 41,2 Mio. auf 47,1 Mio. PKW im Autoland Deutschland . Damit ist die PKW-Dichte um 12% gestiegen.

Die intelligente Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsarten und überzeugende Konzepte für den verbesserten ÖPNV gehen indessen noch nicht so recht voran. Das lässt das übergeordnete Ziel der Halbierung des Autoverkehrs in weite Ferne rücken, obwohl der Straßenverkehr mit den Autos der Klimasünder Nr. 1 ist - mit über 18% bis 20% an den Emissionen aus der Verbrennung mit fossilen Brennstoffen . Damit liegt der Anteil des Autoverkehrs sogar noch etwas über den Werten von 1990, also wie vor 30 Jahren, als es noch kein Klimabewusstsein gab! Von wegen „Verkehrswende“….

Kein Klima-Notstand in Haltern?

Um die Werte des Klimaschutzabkommens bis 2030 zu erreichen, müsste laut Umweltbundesamt die jährliche Minderung des CO²-Ausstoßes mehr als verdreifacht, für die 2050-er Ziele sogar versiebenfacht werden. Dazu müssen auch einzelne Kommunen wie Haltern ihren Beitrag leisten und können sich nicht davonstehlen, indem sie auf die Verantwortung der anderen Beteiligten verweisen oder als Ausrede auf ihren hohen Waldanteil mit der Absorption von CO² verweisen.

Bereits im September 2019 hatte der Halterner Stadtrat jedoch den Antrag eines Bürgers und der Fraktion der Grünen mit großer Mehrheit abgelehnt, nach dem Vorbild vieler anderer Städte auch im benachbarten Münsterland, den Klimanotstand auszurufen, um alle städtischen Vorhaben und Maßnahmen konsequent klimaneutral auszurichten. Dazu hatte der Bürgerantrag unter anderem angeregt: 1. Deutliche Verbesserung im ÖPNV, um seinen Anteil am Personenverkehr erheblich zu erhöhen. 2. Öffentliche Verkehrsmittel auf CO2-freie umstellen. 3.Nur noch Tempo 30 in der Innenstadt. 4. Ausbau der Fahrradwege.

Ausrufung des „Klimanotstandes“ in Haltern als „Symbolpolitik“ abgelehnt

Doch der Ratsantrag wurde mit den Stimmen der CDU, der Wählergemeinschaft Haltern und der FDP mehrheitlich abgelehnt. Der CDU-Fraktionsvorsitzende störte sich schon an der Begrifflichkeit „Klimanotstand“ und hielt den Vorstoß für reine „Symbolpolitik“. Vergeblich hatten zuvor auch Jugendliche in der Ratssitzung am 10. Oktober 2019 auf den Zuschauerrängen mit Schildern ihren Standpunkt deutlich gemacht, während die heiße Debatte zwischen den streitenden Parteien ablief.

Stattdessen wollte die Stadt den Weg ihrer „projektorientierten Maßnahmenumsetzung“ fortsetzen und bot im Mai 2020 lediglich „eine Email-Adresse als zentrales Postfach“ an für Ideen der Bürger zur Klimaanpassung im Halterner Stadtgebiet. „Die Stadtspitze hofft auf viele kreative Anregungen und Beispiele, wie zum Beispiel CO2 eingespart werden kann, um das Klima zu schützen oder der umweltfreundliche Verkehr weiter vorangebracht werden kann“, so hieß es. Zuvor war das Klimathema wegen Corona in den Hintergrund geraten.

Argumentations-Notstand bei der Ablehnung im Stadtrat

Die CDU verwies in Ihrer schriftlichen Stellungnahme auf das 2012 verabschiedete „Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept“ und bezeichnete den Klimaschutz als ein vor allem „schwerwiegendes globales Problem“. Das Ziel Klimaschutz sei zweifellos wichtig, aber gleichrangig sei das Ziel der Finanzierbarkeit und die Sicherung der Arbeitsplätze sowie die Vermeidung einschränkender Wirkungen von Klimaschutzmaßnahmen – (getreu dem Motto: „Klimaschutz darf nicht wehtun und nicht zu viel kosten“?)

Bei den von den Antragstellern vorgeschlagenen Klimaschutz-Maßnahmen der Kommune gelte nach Auffassung der CDU-Ratsfraktion: „Der Nutzen entsprechender Verbote und Einschränkungen steht nicht im Verhältnis zu den Nachteilen der Einschränkungen“. Deshalb wolle man keine Selbstbindung der Politik und Verwaltung schaffen. Im Übrigen bestehe das Halterner Stadtgebiet als grüne Lunge des Ruhrgebietes bereits zu 50% aus Wald . Deshalb lehnte die CDU den Ratsantrag der Grünen ab, obwohl in der Kreisstadt Recklinghausen CDU und Grüne gemeinsam den „Klimanotstand“ zuvor beschlossen hatten.

Schüren Klimaschützer in Haltern „Hysterie“?

Die Wählergemeinschaft Haltern (WGH) stimmte ebenfalls nicht zu und setzte zwei Rufzeichen hinter ihrer ablehnenden Haltung: „Kein Klimanotstand in Haltern am See!!“ Und sie begründete dies vor allem so: „Wir werden nicht auf einen Zug aufspringen, der Klimaschutz mit einer gewissen Hysterie nur auf die Reduzierung von CO2 beschränkt und die Politik in einen Alarmzustand versetzt. (…) Die Apokalypse an die Wand zu malen verhindert den Zweifel, Kritik und Dissens zum Schaden der Demokratie.

Die WGH „argumentiert“ weiter: „Haltern am See besitzt als Flächengemeinde große „noch“ intakte und ausgedehnte Waldflächen. Sofern sie nicht anderen „Projekten“ geopfert werden, werden sie über Jahrzehnte einen wesentlichen Beitrag zu einem guten Klima liefern und zu einer massiven CO2 Einsparung führen“ . (Der geschädigte Wald ringsum werde das Klimaproblem schon quasi von alleine lösen? Damit scheint das Thema für die WGH erledigt – basta).

Immer noch: „Freie Fahrt für freie Bürger“ ?

Die FDP im Halterner Rat hielt „bei allem Verständnis für die Forderung nach mehr Klimaschutz“ einen Notstandbeschluss für „heikel“, da ein solcher mit der „Einschränkung von Freiheit“ einherginge. Sie stellten sogar den Vergleich mit den Notverordnungen der Weimarer Republik her und blieben dabei: „Es gibt daher aus Sicht der Freien Demokraten hier keinen Grund in Haltern am See einen Klimanotstand auszurufen“. (Dann schon lieber „freie Fahrt für freie Bürger“, wie von Porsche-Fahrer Christian Lindner propagiert? ).

Noch zu Jahresbeginn 2019 hatte die damalige FDP-Generalsekretärin Nicola Beer klargemacht, dass sie „den Klimawandel für überschätzt“ hält und nicht die Brisanz bestehe, wie sie von Klimaforschern dargestellt werde. Das bewegte sich hart an der Grenze zur Leugnung des Klimawandels und bestätigte damit das Vorurteil: Klimaschutz und FDP passen nicht zusammen. Um diesen Eindruck in der Öffentlichkeit zu korrigieren, erstellte die FDP flugs im Mai 2019 ein offizielles Positionspapier zur Klimapolitik mit rein marktwirtschaftlichen Lösungsvorschlägen für einen internationalen CO²-Immissionshandel. Sie konnte sich aber in ihrem Papier den Vorwurf der „moralischen Besserwisserei“ gegenüber der jugendlichen Klimabewegung nicht verkneifen.

Kommunales Mobilitätsmanagement: „Aufblühen ohne Autos“?

Die großen Städte im Lande sind längst dabei, ihren öffentlichen Verkehrsraum neu aufzuteilen: „Grüne Allee statt grauer Betonschick, Fahrräder statt Blechlawinen, Oase der Erholung statt Verkehrsstress für Fußgänger“, so heißt es über ein Experimentierfeld in Berlin zur Steigerung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum und mit mehr Grün . Kein Thema für unsere idyllische Kleinstadt Haltern beim kommunalen Mobilitätsmanagement?

Das städtebauliche Entwicklungskonzept ISEK mit Bürgerbeteiligung hat gezeigt, dass auch in unserem überschaubaren Innenstadtbereich erhebliche Optimierungsmöglichkeiten gerade auch für verbesserte Verkehrslösungen und erweiterte Aufenthaltsmöglichkeiten gibt. Hier kann erprobt werden, was unter „Verkehrswende“ eigentlich zu verstehen ist und wie wir Stadtraum für Fußgänger und Radfahrer zurückgewinnen. In der Verkehrs- und Stadtplanung darf das Auto nicht mehr im Mittelpunkt stehen.

Und wie können wir die vielen Touristen in Haltern zur Anreise mit dem ÖPNV und dem Fahrrad statt mit dem Auto bewegen? Vielleicht mit Anreizen nach dem Vorbild anderer Fremdenverkehrsregionen (Freifahrt-Tickets an Wochenenden, Ermäßigte Tickets mit reduziertem Eintrittskarte für Halterner Freizeiteinrichtungen, Elektro-Shuttle-Busse mit Bahnhofs-Transfer etc.).

Warnsignale ernst nehmen - Versäumnisse nachholen, Gewohnheiten ändern

Sind wir damit in Haltern auf der Höhe der Zeit? Insgesamt haben wir in Stadt und Land sowie weltweit die Warnsignale überhört, die bereits vor 40 und 50 Jahren von weit vorausschauenden Menschen und von Wissenschaftlern ausgesendet wurden: Das empfehlenswerte Buch „Die Autodämmerung – Sachzwänge für eine neuen Verkehrspolitik“ wurde von Michael Busse bereits 1980 veröffentlicht, als vor 40 Jahren der Autoverkehr alles beherrschte. Schon vor 42 Jahren stellte Helmut Swoboda in seinem Buch „Der Kampf gegen die Zukunft“ die weit vorausschauende Frage: „Warum wurde das Auto als dominierende Macht fast widerstandslos anerkannt? An dieser Frage werden die Kulturhistoriker künftiger Generationen mit vielen Hypothesen herumrätseln, weil es eine überzeugende und logische Antwort kaum gibt.“

Wie kommunale Umweltpolitik in Stadt und Land im Rahmen ökologischer Realpolitik stattdessen aussehen sollte, beschrieb Ernst-Ulrich von Weizsäcker schon vor 25 Jahren in seinem Buch „Erdpolitik“. Schon vor Jahrzehnten wären Autos mit einem niedrigen Spritverbrauch von 1,2 bis 3 Liter serienreif herstellbar gewesen, was die Ölindustrie bis heute zu verhindern wusste Und fast 50 Jahre ist es her, wo er den berühmten Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ als Bestseller veröffentlichte, in dem auch bereits die klimaschädigenden Schadstoffbelastungen durch den Verkehr etc. prognostiziert wurden.

Der zweite Bericht des Club of Rome von 1997 („Faktor vier“) enthält das Kapitel: „Ohne Auto mobil: Ein Modell könnte Schule machen“ – nämlich die Idee autofreier Mobilität. Denn auch die Autos mit stromintensivem Elektro-Antrieb werden nicht alle Probleme schlagartig lösen, schon gar nicht die Verkehrsflut und die Inanspruchnahme städtischen Raumes durch die fahrenden und zum Parken abgestellten Blechlawinen, sondern neue Probleme erzeugen: Rohstoffbeschaffung und -engpässe bei der Batterie-Herstellung und ungelöste Entsorgungsfragen etc. Notwendige Straßenverkehrs-Minderung bleibt also auf der Tagesordnung.

Mehr Tempo bei der kommunalen Mobiltätswende

Ein halbes Jahrhundert haben wir also die Entwicklung treiben lassen – darum wird es jetzt höchste Zeit, mit Tempo an die Mobilitätswende gemeinsam heranzugehen – auch hier vor Ort in Haltern - sonst bekommen wir mit oder ohne Ratsbeschluss einen Klimanotstand, der auch unsere Stadt nicht verschont. Erste Vorboten haben wir in den zurückliegenden Extremsommern bereits zu spüren bekommen, als zum Leidwesen der Land- und Forstwirte die Böden in Feld und Wald austrockneten und unsere Stauseen Niedrigwasser hatten und die heftigen Stürme unsere Bäume in der Hohen Mark umwarfen.
Das war gewissermaßen die letzte Warnung. Jetzt geht es dem Klima zuliebe an die konzeptionelle Arbeit für eine mobile Zukunft – ohne faule Kompromisse und ohne Verzögerung! Da sind alle Bürgerinnen und Bürger als Ideenlieferanten und Handelnde genauso gefragt wie die Kommunalpolitiker und die Fachleute der Verwaltung.

Wilhelm Neurohr
30. November 2020

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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