Unbezahlbares Wohnen in Haltern
Wendepunkt am Wohnungsmarkt – doch die Stadt Haltern macht einfach „weiter so“?
Foto: FEG Haltern / Beteiligung NRW (Neubaugebiet Nesberg)
HALTERN AM SEE. Während in diesen Tagen die Kommunalverbände und die Wohnungswirtschaft eindringlich davor warnten, dass der soziale Wohnungsbau einzubrechen droht, macht die Stadt Haltern in ihrem teuersten Neubaugebiet am Nesberg demonstrativ „weiter so“ wie bisher mit ihren vorrangigen Eigenheimprojekten im Grünen für Besserverdienende. Die von der Stadt „angefragten“ Bauunternehmen in der Stadt, denen seit Jahrzehnten freie Hand bei den Rendite bringenden Wohnungsbauprojekten eingeräumt wird, hätten „kein Interesse am Bau von Sozialwohnungen“. Inzwischen bringen jedoch geförderte Sozialwohnungen teilweise mehr Rendite als frei finanzierte Wohnungen. Der soziale Wohnungsbau wird von der Stadt Haltern (als Schlusslicht im Land) jedoch sträflich vernachlässigt und dabei der § 1 (5) des Baugesetzbuches grob missachtet, der eine sozial gerechte Bodenordnung nach dem Wohnbedürfnissen der Bevölkerung verbindlich vorschreibt.
Doch diese kommunalpolitische Ignoranz bei der Planungspolitik in der teuren Seestadt könnte sich schon bald als Bumerang erweisen. Denn die drastisch steigenden Baukosten führen derzeit dazu, dass zahlreiche Neubauprojekte nicht nur im öffentlich geförderten Wohnungsbau, sondern nun auch im frei finanzierten Wohnungsbau auf Eis gelegt beziehungsweise nicht neu begonnen werden. Vor allem dem privaten Eigenheimbau mit höheren Energiestandards droht der Rückgang oder Stillstand angesichts steigender Bauzinsen und -kosten sowie Risiken. In Haltern haben allzu oft Eigennutzer das Nachsehen, weil vor allem (teils auswärtige) Kapitalanleger und Spekulanten zum Zuge gekommen sind, denen schätzungsweise weit über 35% der neu gebauten Wohnungen und Wohnhäuser im Halterner Stadtgebiet gehören und die hohe Rendite erwarten. Sie werden wohl auch wieder am Nesberg zuschlagen...
Bauen und Mieten in Haltern - auch für die Mittelschicht immer unbezahlbarer
Deshalb werden die potenziellen „Häuslebauer“ stattdessen auf den Mietwohnungsmarkt ausweichen, wo die ohnehin knappen Angebote immer weiter sinken. Denn der drastische Einbruch beim Neubau günstiger Wohnungen führt dazu, dass bis zu 70 Prozent der geplanten Projekte wohl nicht umgesetzt werden können, so befürchtet der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft. Die dadurch eintretende und sich verschärfende Wohnungsverknappung wird auch in der besonders nachgefragten Stadt Haltern zu einem weiteren Mietenanstieg in der ohnehin überteuerten Stadt führen. Und die künftig zu erwartende Marktmieten von demnächst 16 bis 18 Euro netto kalt pro Quadratmeter sind sogar für die breite Mittelschicht schlicht unbezahlbar.
Traum vom Wohneigentum wird auch im teuren Haltern platzen
Seit Jahren sind im sündhaft teuren Haltern die Immobilienpreise ungebremst geklettert, auf bis zu 30% und mehr über dem eigentlichen Objektwert. Doch das Ende des Höhenflugs am Wohnungsmarkt ist auch in Haltern in Sicht wegen der hohen Baukosten und steigenden Zinsen, auch wenn die Preiswende am spekulativ überhitzten Wohnungsmarkt in Haltern erst mit etwas Verzögerung eintritt. Dennoch wird für viele Familien und Privathaushalte der Traum vom Eigenheim oder der Eigentumswohnungen platzen. Deshalb wird sich die Wohnraumknappheit in Haltern fortschreiben und die Bautätigkeit wird angesichts hoher Kosten immer schleppender vorankommen.
Den Wendepunkt am Wohnungsmarkt will man im Halterner Rathaus nicht wahrhaben. Bundesweit gibt es längst ein Umdenken, nämlich statt Neubau den Bestand zu nutzen und in ihn zu investieren. Laut Bundesbauministerin sei dies „ definitiv nachhaltig und der richtige Weg“. In Haltern gibt es zu 60% einen Altbaubestand teils aus den 70-er Jahren, der nach Sanierung und Aufstockung mehr Wohnungen bieten könnte als das flächenzehrende und umweltschädliche Bauen am grünen Stadtrand.
Droht ein Baustopp oder Förderstopp am Wohnungsmarkt?
In diesen Tagen hat die Bundesbauministerin einen aktuelle Studie vorgelegt, die zeigt, wie umkämpft der Zugang zum Immobilienmarkt mittlerweile ist. In der „Wirtschaftswoche“ heißt es dazu: „Langsam wird es demnach den Kaufinteressierten und Haushalten zu teuer. Die Preise für ein neues Zuhause sind auf ein Rekordhoch gestiegen. Und das hat Folgen: Durchschnittlich kosteten Immobilien – ob gebraucht oder neu – im Jahr 2021 bereits enorme 412.000 Euro – und da war der Krieg noch gar nicht ausgebrochen, Energie- und Lieferpreise noch nicht explodiert und die Europäische Zentralbank hatte den für Kredite so wichtigen Leitzins noch nicht erhöht. Durch die gestiegenen Bauzinsen müssen Käufer je nach Kaufsumme mit Mehrkosten von mehreren hundert Euro im Monat rechnen.
Kredite und Zinsverbilligungen würden kaum helfen, wenn sich Menschen aufgrund von hoher Inflation und massiven Preissteigerungen dennoch kein Eigenheim leisten könnten. So teuer ist insbesondere der Neubau, dass Interessierte mittlerweile offenbar deutlich lieber in Bestandsimmobilien investieren. Im Schnitt seien diese aktuell um die 150.000 Euro günstiger. Der Immobilienblase entweicht seit einigen Wochen sichtbar die Luft, weil die Zinsen neue Finanzierungen für die breite Masse unbezahlbar machen. Der Wohnungsmarkt steht an einer Wendepunkt. Wie also geht es jetzt weiter?“
Sozialwohnungen bringen mehr Rendite als frei finanzierte Wohnungen
In der Fachzeitung für die Immobilienwirtschaft war in diesen Tagen zu lesen: „Mit Investments in geförderte Wohnungen lässt sich mittlerweile eine höhere Ausschüttungsrendite erzielen als mit frei finanziertem Wohnungsneubau – das war bislang kaum möglich. Jetzt schon, meint der Investmentmanager Industria Wohnen, ist das Realität: Bis zu 4% beträgt die Auschüttungs-Rendite für Sozialwohnungen nach deren Berechnungen.“ Das hat sich offensichtlich noch nicht bis zu den Halterner Bauunternehmen und den ihnen zugeneigten Halterner Bau- und Stadtplanern im Rathaus herumgesprochen, sonst würde man allmählich umdenken und umplanen.
Verweigerung des sozialen Wohnungsbaus aus ideologischen Gründen
Die Verweigerung des sozialen Wohnungsbaus aus ideologischen Gründen wird sich in Haltern wohl leider weiter fortsetzen, nachdem eine Ratsmehrheit schon vor Jahren einen Antrag auf Einrichtung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft abgelehnt hatte, wie sie in den meisten anderen Städten erfolgreich tätig sind. Auch vom städtischen Vorkaufsrecht zum Wohl der Allgemeinheit, um damit die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu fördern, macht die Stadt prinzipiell keinen Gebrauch, im Gegensatz zu anderen Städten, die damit ein Kontingent an sozialem Wohnraum erfolgreich einfordern. Die Stadt Haltern versteckt sich hinter „fehlenden Haushaltsmitteln“, obwohl sie beim Vorkaufsrecht eine Entschädigung nicht zum völlig überhöhten Halterner Marktwert, sondern zum niedrigeren Verkehrswert vorzunehmen brauchte und die Belastung des Gemeindehaushalts nur temporär wäre (bis zur späteren Veräußerung des Grundstücks oder seiner Vergabe über Erbpacht-Einnahmen).
Die wahren Motive gegen sozialen Wohnungsbau in Haltern
Doch das wahre Motiv zur Ablehnung öffentlich geförderter Wohnungen im Halterner Stadtgebiet haben einzelne Ratsherren unverblümt kundgetan: Man wolle sich nicht bestimmte Bevölkerungsschichten (Niedrig- und Normalverdiener oder soziale Bedürftige?) in die homogenen Wohngebiete der Wohlhabenderen holen, die gerne unter sich bleiben möchten. Eine eindeutige Absage an soziale Vielfalt in der gutbürgerlichen Stadt, deren Einkommensniveau in der Vergleichsstatistik alle anderen Städte im Kreisgebiet und darüber hinaus sich nach oben deutlich abhebt. Wie aber soll soziale Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt den sozialen Zusammenhalt in einer Stadt fördern, indem man die Normalverdiener aus ihrer teuren Heimatstadt verdrängt?
Städtische Flächengesellschaft orientiert sich am Markt statt an bezahlbaren Wohnungen
Sogar die eigens gegründete städtische „Flächenentwicklungsgesellschaft“ (FEG) als Tochter der Stadtwerke sieht es ebenfalls nicht als ihre Aufgabe an, auch den öffentlich geförderten Wohnungsbau in ihr Portfolio aufzunehmen. Auch sie möchte Rendite am örtlichen Wohnungsmarkt erzielen, um Einnahmen für den Haushalt zu generieren. Beim umstrittenen neuen Baugebiet am Halterner Nesberg hat sie die Federführung übernommen und einen auswärtigen Projektleiter mit der Planung beauftragt. Dort werden Höchstpreise von bis zu 800 € je qm Baugrundstück und darüber hinaus erwartet. Ihre eigenen Grundstücksanteile im Plangebiet will die FEG ebenso zu Höchstpreisen am Markt verkaufen wie die übrigen 58 (privaten) Grundstückseigentümer der vorherigen Ackerflächen. So beteilgt sich die Stadt selber mit ihrer Planungspolitik an der Preistreiberei auf dem örtlichen Immobilienmarkt statt preisdämpfend einzuwirken - eigentlich ein Skandal, da alle Ratsparteien "bezahlbares Wohnen für alle Bevölkerungsgruppen in Haltern" versprochen haben.
jedoch hat die Stadt kein Interesse an öffentlich geförderten Wohnungen auf ihren Flächen, obwohl jüngst das Landesbauministerium NRW in einer Studie einen überdurchschnittlichen Bedarf für Haltern an bezahlbarem Mietraum mit öffentlicher Förderung ermittelt hat. Doch auch das wird ignoriert, zumal öffentlich geförderter Wohnungsbau in Haltern fälschlich mit schlechter Architektur assoziiert wird (Stichwort: „Kastenbau“). Doch bei den strittigen Halterner „Kastenbauten“ zumeist nach Schubladenplänen handelt es sich gerade um die teuren Rendite-Projekte mit teuren Komfortwohnungen, nicht um Sozialwohnungen. Gute oder schlechte Gestaltung wird nicht durch öffentliche Wohnungsbauförderung ausgelöst, sondern durch fähige oder unfähige Architekten.
Zu enges Verhältnis zwischen Stadt und Bauunternehmen?
Nach Meinung von alteingesessenen „Halteranern“ sowie ehemaligen Ratsmitgliedern sei nicht zuletzt die enge Bindung und das allzu enge Verhältnis der Stadt zu ihren heimischen Bauunternehmen, die an Rendite statt an Sozialwohnungsbau interessiert sind, ein Grund für den jahrzehntelang vernachlässigten sozialen Wohnungsbau in Haltern. Nicht nur am Nesberg überlässt man den beteiligten Investoren trotz planerischer Vorgaben in weiten Teilen bereitwillig die Städtebaupolitik im Stadtgebiet, sondern auch in den dörflichen Ortsteilen Halterns wie jüngst in Lavesum (und zuvor in Lippramsdorf und Bosssendorf). Hier durften sich die heimischen Bauunternehmer als Investoren sogar die Bebauungspläne für ihre Grundstücke selber nach ihren Interessen entwerfen und der Bürgerschaft in städtischen Info-Veranstaltungen als „städtische Planung“ verkaufen“ (und die Bürger und anwesenden Stadtvertreter dabei zu Freibier einladen, fast wie bei einer Werbeveranstaltung…). Das versteht die Stadt Haltern unter kommunaler „Planungshoheit“, auf die sie doch sonst so gerne pocht, z. B. wenn sie sich gegen ungeliebte regional -und landesplanerische Vorgaben wehrt, die sie am liebsten umgehen würde. Auch dafür gibt es leider Beispiele.
Ein Blick hinter die Kulissen - In Haltern gehen die Uhren anders….?
Es ist wohl besser so, dass die wohnungssuchenden (oder notgedrungen in Nachbarstädte ausweichende oder verdrängte) Halterner Bürgerinnen und Bürger keinen investigativen Blick hinter die Kulissen werfen können, was sich dort womöglich im Bereich des städtischen Bauwesens so alles abspielt bei der Sonderrolle, die das „Halterner Landrecht“ im Städtevergleich einnimmt… Dabei wäre eine Orientierung an guten Beispielen und Vorbildern aus anderen Städten in punkto bezahlbarer und sozialer Wohnungsbau ausgesprochen nützlich für die Stadt Haltern und ihre wohnungssuchenden oder bauwilligen Bewohnerinnen und Bewohner. Dazu waren hier im Lokalkompass schon einige Beispiele (z.B. aus Münster oder Ulm) publiziert. Doch in Haltern gehen die Uhren anders…
Wilhelm Neurohr, 28. November 2022
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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