Sondersitzung im Halterner Rat
Wahlversprechen für "bezahlbares Wohnen" in Haltern ad acta gelegt?

Absurd: Stadt schiebt ihre Verantwortung auf Bauunternehmer ab

HALTERN AM SEE.  Das Wahlversprechen aller Ratsparteien, für bezahlbares Wohnen in Haltern zu sorgen, ist geplatzt, wie in  dieser Woche die Sondersitzung des Stadtentwicklungsausschusses zum teuersten Wohnbaugebiet Nesberg gezeigt hat. Dort waren die nach Rendite strebenden örtlichen Bauunternehmer als "Kronzeugen" geladen, um zu begründen, warum sich für sie als Privatinvestoren sozialer Wohnungsbau in Haltern nicht lohnt und nicht rechnet. Die Grundstücke im Nesberg und anderswo bleiben somit dem „Spiel der freien Marktkräfte“ und damit den Spekulanten und Spitzenverdienern überlassen. Auch bei Großprojekten wie den Katharinenhöfen mit 100 neuen Wohnungen velangte die Stadt den Privatinvestoren keine einzige Sozialwohnung ab. Oder im großen sanierungsreifen Altbaubestand ließen sich bei gutem Willen preiswerte Wohnungen mit öffentlicher Förderung schaffen - jedoch Fehlanzeige.

Deshalb ist Haltern Schlusslicht beim sozialen Wohnungsbau im Lande und Spitzenreiter bei der exorbitanten Grundstückspreisexplosion und den Mietpreisen. Anders als in anderen Städten ist in Haltern kein politischer Wille und keinerlei Konzept erkennbar, steuernd einzugreifen mit den Möglichkeiten städtischer Grundstücks- und Planungspolitik und dem Abrufen öffentlicher Fördergelder, die vom Landesbauministerium "wie Sauerbier" vergeblich angeboten werden. Wohnen und Grunderwerb bleibt in Haltern somit für Normalverdiener unbezahlbar, denn  willkommen sind bevorzugt zahlungskräftige Interessenten und Kapitalanleger zumeist von außerhalb. Für diese wird nach weiteren Bauflächenausweisungen im Grünen gerufen (zur Freude mancher Landwirte), ungeachtet des klimaschädlichen Flächenfraßes. Diesen Irrweg will eine Ratsmehrheit unverdrossen weitergehen.

Warum gehen in der Halterner Wohnungsbaupolitik die Uhren anders? Weil die sündhaft teure Stadt bei ihrer Bau- und Planungspolitik den § 1 des Baugesetzbuches beharrlich ignoriert „eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozial gerechte Bodenordnung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung zu gewährleisten.“ Dafür gab und gibt es keinerlei Konzept der Stadt oder ihrer städtischen „Flächenentwicklungsgesellschaft“, im Gegensatz zu anderen Städten. Diese haben eigene Wohnungsbaugesellschaften, machen von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch, vergeben städtische Grundstücke preiswert in Erbpacht und schreiben Investoren eine 30 %-Quote für Sozialwohnungsanteil vor, und sie rufen die Fördergelder des Landes ab.

Vorbildliche Wohnungsbaupolitik in den anderen Städten

Besonder vorbildlich sind hierbei z.B. die Städte Münster - mit vergleichbar hohen Grundstückspreisen wie in Haltern - oder das Ulmer Modell. Dort ist es erklärter Wille, mit einer Vielzahl wirksamer Instrumente das bezahlbare Wohnen für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen. Aber auch die ländlichen Nachbarstädte Halterns mit vergleichbarer Struktur, wie Lüdinghausen oder Dülmen, bieten ihren Bewohnern neben dem Eigenheimangebot zugleich auch eine stattliche Anzahl von Sozialwohnungen im Stadtgebiet. Nicht zuletzt die Stadt Marl hat mit weiteren Städten zusammen  ein großes Wohnungbauprogramm mit Millionenförderung durch das Land aufgelegt, an dem sich die Stadt Haltern nicht beteiligt.

In Münster ist die niedrigste Miete und der soziale Wohnungsbau das maßgebliche Vergabe-Kriterium der Stadt. Die Investoren erhalten hier konkrete und verbindliche Zielvorgaben und vertragliche Verpflichtungen für sozialen Wohnungsbau. Die Stadt setzt die Kaufpreise fest und und betreibt mit ihrer Wohnungsbaugesellschaft und örtlichen Genossenschaften selber sozialen Wohnungsbau in öffentlicher Hand. Die Stadt Ulm kauft selber Grundstücke in großer Zahl, was  der kommunale Haushalt zulässt, weil die Stadt nur temporär die Zwischenfinanzierung betreibt und anschließend die Verkaufserlöse für die bezahlbaren Grundstücke nach Verkehrswert zurück erhält.

Die guten Beispiele sind hier im Lokalkompass beschrieben (siehe Links am Ende dieses Beitrages:)

Präferenz für Einfamilienhäuser zugunsten von Gutverdienern

Die Präferenz der Ratsmehrheit in Haltern lautet hingegen seit jeher und auch in Zukunft, Einfamilienhäuser im Grünen auf möglichst vielen Flächen in Haltern anzubieten zugunsten einer „homogenen“ statt sozial ausgewogenen Bevölkerungsstruktur und für das weitere  "Wachstum der Stadt". Wenige frei finanzierte Miet- oder Eigentumswohnungen gehen am Bedarf der Niedrig- oder Normalverdiener vorbei, die frustriert in preiswertere Nachbarstädte abwandern. Über 7.000 zahlungskräftige Zuzügler und Kapitalanleger von außerhalb profitierten in den letzten jahrzehnten dagegen von dem überteuerten Halterner Flächenangebot.

Stadt reicht den "schwarzen Peter" weiter

Jetzt zeigen sich die jahrelangen Versäumnisse der Halterner Stadtentwicklungspolitik, für die man den „schwarzen Peter“ auf den flächenschützenden Regionalverband abschieben möchte. Dieser würde angeblich im neuen Regionalplan Ruhr zu wenig neue Bauflächen für Haltern auf bisherigen Freiflächen ausweisen. Doch damit wäre den Wohnungssuchenden nicht gedient, solange die Stadt Haltern diese Flächen erneut für flächenzehrenden und preistreibenden gehobenen Einfamilienhausbau "in attraktiver Lage" verwenden oder verschwenden würde. Eine Dämpfung der Preisentwicklung am Grundstücksmarkt wird nicht durch immer weitere Bauflächen in der Landschaft erreicht - im Gegenteil. (Dadurch würden zudem die Ziele des Arten- und Klimaschutzes massiv gefährdet). Momentan sind es allein die steigenden Zinsen und sich verteuernden Baumaterialien sowie explodierenden Energiekosten, die den immobilienmarkt ausbremsen.

Bauunternehmen bestimmen, was, wo und wie in Haltern gebaut wird?

Der Gipfel der Absurdität in Haltern war die Einladung der nach Rendite strebenden örtlichen Bauunternehmer als Privatinvestoren in den Ratsausschuss, um zu begründen, warum sich sozialer Wohnungsbau in Haltern für sie nicht lohnt und rechnet, obwohl es dafür öffentliche Förderung gibt, die nicht abgerufen wird. Die konzeptionslose Stadt verschiebt damit ihre Verantwortung und Planungshoheit an die gut verdienenden Bauunternehmer, die bisher weitgehend bestimmten, was, wo und wie in der Stadt gebaut wird und lukrativ ist.

Überdurchschnittlcher Bedarf an bezahlbaren Mietwohnungen in Haltern

Dabei hat die Stadt Haltern am See einen  überdurchschnittlichen Bedarf an bezahlbaren Mietwohnraum mit öffentlicher Förderung, wie gutachterlich vom Land NRW festgestellt. Die finanziellen Mittel der Landesregierung stehen hierfür in den kommenden Jahren bereit, so dass keine finanziellen Hemmnisse für die Kommune bei der Schaffung von öffentlich gefördertem Wohnraum existieren.

Stadt lehnt Hilfestellung und Fördermittel des Landes ab?

Zugleich besteht  ein Unterstützungsangebot des Landes, auch bei der kooperativen Baulandentwicklung zur Mobilisierung und Entwicklung von Wohnbaugrundstücken. Adressat sind Kommunen, denen keine personellen Ressourcen für die Entwicklung des beabsichtigten Baugebietes zur Verfügung stehen bzw. die einen neutralen Dienstleister benötigen, so lautet das Angebot der Landesregierung auch an die Stadt Haltern.

Zudem sitzt der Halterner Staatssekretär im Landesbauministerium an der Quelle, um die Fördermittel für sozialen Wohnungsbau auch nach Haltern zu holen, die von Ministerin Scharrenbach „wie Sauerbier“ angepriesen werden, mitsamt dem Angebot der organisatorischen Hilfestellung für Gemeinden ohne öffentliche Wohnungsbaugesellschaft oder mit mangelnden Personalkapazitäten. Worauf wartet die tatenlose Stadt noch?

Wilhelm Neurohr. 01. September 2022

Vorbildliche Beispiele aus anderen Städten:

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/wie-kommunen-fuer-bezahlbares-wohnen-sorgen-koennen-das-praxismodell-der-sozial-gerechten-bodenordnung_a1633714

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/das-erfolgreiche-ulmer-modell-vorbild-fuer-die-teure-stadt-haltern_a1620139

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/wie-kommunen-fuer-bezahlbares-wohnen-sorgen-koennen-das-praxismodell-der-sozial-gerechten-bodenordnung_a1633714

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/die-nachbarstaedte-von-haltern-am-see-gehen-beim-bau-bezahlbarer-mietwohnungen-mit-gutem-beispiel-voran_a1729243

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/soziale-kaelte-statt-sozialer-wohnungsbau-in-haltern_a1690984

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

Webseite von Wilhelm Neurohr
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