Klimawandel und Kommunalpolitik
Stadt Haltern als Motor oder Bremser des „Vestischen Klimapaktes“?
Foto: BUND
HALTERN AM SEE. Bei der „Vestischen Klimakonferenz“ am 17. August appellierte Landrat Bodo Klimpel, vormals Bürgermeister der Stadt Haltern am See, für mehr Geschwindigkeit und „verstärkte Anstrengungen gegen den rollenden Klimawandel“ und startete eine Baumpflanzaktion. Von der neuen Landesregierung erhofft er sich einen Schub für den „Vestischen Klimapakt“ und plädiert dafür, „die Bürgerinnen und Bürger noch mehr ins Boot zu holen“ (obwohl es umgekehrt zumeist die Bürger sind, die ihre gewählten Politiker zu Klimaschutzmaßnahmen antreiben).
Derweil tobt zeitgleich in seiner Heimatstadt Haltern unverändert eine heftige öffentliche Debatte um das leidige Thema der klimaschädlichen Schottergärten, das auch Thema der Vestischen Klimakonferenz war. Bodo Klimpels Parteifreunde von der Halterner CDU wollen zusammen mit Wählergemeinschaft und FDP als konservative Ratsmehrheit die konsequente Einhaltung der dazu gültigen gesetzlichen Regelungen der Landesbauordnung durch bloße Appelle und "Aufklärung" ersetzen.
Damit fallen sie mit dem „Halterner Landrecht“ ihrer eigenen Landesbauministerin Ina Scharrenbach (CDU) in den Rücken, die den Schottergärten und der Versiegelung von Grünflächen in diesen Tagen den Kampf angesagt hat. Und ihr parlamentarischer Staatssekretär Josef Hovenjürgen aus Haltern, der bislang nicht durch politische Klimaschutz-Aktivitäten aufgefallen war (obwohl er sich vom einstigen Windkraft-Gegner zum Windkraftbefürworter gewandelt hat), schweigt einstweilen zu der zögerlichen bis destruktiven Haltung seiner Parteifreunde vor Ort.
Halterner Häuslebauer sollen für ihre Grundstücksgestaltung keinerlei Vorgaben bekommen, Gesetzesvorgaben hin oder her, so die vorherrschende Mentalität in Haltern. Ein führendes Mitglied des Halterner Natur-und Vogelschutzvereins bezeichnete das Dulden der gesundheits- und klimaschädlichen Flächenversiegelung in einem Leserbrief als „Armutszeugnis der meisten Halterner Parteien“.
Es lohnt sich deshalb ein kritischer Blick auf die widersprüchliche kommunale Klimapolitik in Haltern am See insgesamt:
Einerseits möchte die Stadt bei alternativen Energien wie Solar- und Windenergie sowie mit einem Projekt für grünen Wasserstoff punkten, ferner mit Dachbegrünungen, einer Starkregenkarte, naturnaher Waldbewirtschaftung, Förderung von Lastenfahrrädern, einer Klimaplakette und mit dem Etikett der „Fußgänger- und fahrradfreundlichen Stadt“ sowie mit der Mitgliedschaft im „Zukunftsnetz Mobilität NRW“ und hat die Stelle eines „Klimaschutzanpassungsmanagers“ im Rathaus eingerichtet. (Die Grünen fordern hierzu jedoch weitere Personalkapazitäten). Im Rahmen des Innenstadtkonzeptes laufen derzeit Diskussionen über die Priorität für Fuß- und Fahrradwege versus PKW-Stellplätze. Und das große private Investoren-Wohnungsbauprojekt „Katharinenhöfe“ mit 100 Wohnungen (darunter keine einzige bezahlbare Sozialwohnung) gilt wegen seines geringen Energieverbrauchs dank hoher Energiestandards als „Klimaschutzsiedlung“ und "Vorzeige-Pilotprojekt“.
Doch andererseits wehrte sich eine Ratsmehrheit jahrelang gegen eine von den Grünen geforderte Baumschutzsatzung, gegen das Verbot der Schottergärten oder gegen Beenden des Flächenfraßes für Siedlungszwecke im Grünen. Die Halterner leben hierbei auf immer mehr Wohnfläche statt sich einzuschränken. Und in Haltern gibt es z. B. auch keine Biotonne zugunsten des Umweltschutzes. Städtische Investitionen in Klimaschutz und Verkehrswende erfolgen nur spärlich und finden sich kaum im Haushaltsplan. Beim aktuellen „Verkehrswende-Konzept“ des regionalen Nahverkehrsunternehmens „Vestische“, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Landrat Klimpel aus Haltern ist, geht die ländliche Touristenstadt Haltern mit ihren 7 Dörfern nahezu leer aus, obwohl der benachteiligte ländliche Raum nach allen Wahlprogrammen endlich eine „Mobilitätsgarantie“ erhalten sollte. In einer Befragung für das Hohe-Mark-Projekt wünschten sich die Bürger mehr Busverbindungen auch zwischen den Nachbardörfern - vergeblich.
Halterner Defizite beim Klimaschutz
Von einer Halbierung des KFZ-Verkehrs bis 2035 ist Haltern noch weit entfernt, ebenso von einer Halbierung des Flächenverbrauchs und einer Flächenkreislaufwirtschaft mit Nullverbrauch. Auch beim Zuwachs der E-Autos steht Haltern nicht gut da und hat auch nur wenige öffentliche Ladestationen. Trotz Millionenmittel von Bund, Land und Kreis zur Förderung von Klima-und Mobilitätsprojekten ist davon kaum etwas in Haltern angekommen oder abgerufen worden. Allein der Kreistag stellte in seinen Haushalt für 2022 insgesamt 42 Mio. Euro für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein, davon 24 Mio. € für die Mobilitätswende beim ÖPNV.
Die Stadt Haltern setzt auf bloße Beratungsangebote oder die Eigeninitiative der Bürger, so kommentierte die Halterner Zeitung im November 2021. So haben einige Bürger über ihre Siedlungs-Nachbarschaften in Eigeninitiative Obstbäume aus Fördermitteln gepflanzt. Die Halterner SPD-Ratsfraktion bemängelte bei den Haushaltsberatungen ein fehlendes attraktives Nahverkehrs- und Radwegekonzept sowie fehlende Haushaltsansätze für den Klimaschutz, der offenbar in Haltern nichts kosten darf.
Schneckentempo beim Halterner Klimawandel?
Hatte der Landrat auf der „Vestischen Klimakonferenz“ nicht „mehr Tempo“ bei der Verkehrswende und beim Klimaschutz eingefordert? Und wollte die Politik nicht „die Bürger überzeugen und informieren“ zur Notwendigkeit des Klimawandels – oder müssen nicht die Bürger vielmehr ihre Volksvertreter überzeugen von der Notwendigkeit konsequenter Maßnahmen auch vor Ort? Vergeblich kämpften Bürger gegen die Bebauung einer wertvollen Waldfläche in Sythen oder gegen die Ortsrandbebauung in Lippramsdorf und anderswo, oder gegen die Rodung von Waldflächen für den Sandabbau. Für die Stadt hatten Rendite-Interessen örtlicher Bauunternehmen und Makler Vorrang vor Klimaschutz?
Widerstände gegen lokale Klimaschutzmaßnahmen und Rückschritte
Noch 2019 lehnte der Halterner Rat einen Bürgerantrag mit vier Schwerpunktmaßnahmen zum Klimaschutz und zum Ausrufen des Klimanotstandes mit hanebüchenen Argumenten als „Symbolpolitik“ab. Die Wählergemeinschaft WGH argumentierte geradezu wie die Klimaleugner und die Porsche-Partei FDP im Rat wollte „keine Einschränkungen von Freiheit“. Das 2012 verabschiedete kommunale „Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept“ für Haltern bedarf jedoch nach 10 Jahren der Aktualisierung und laufenden Fortschreibung.
Es sei auch in Erinnerung gerufen: Der Landrat als damaliger Halterner Bürgermeister und der einflussreiche Halterner Landtagsabgeordnete Hovenjürgen als Vorsitzender des Regionalparlaments Ruhr kämpften mit vereinten Kräften jahrelang für weitere Freiflächenversiegelung für Siedlungszwecke im Rahmen der Regional- und Landesplanung statt für Freiflächenschutz als wichtigste Arten- und Klimaschutzmaßnahme. Und trotz des Etiketts einer „fahrradfreundlichen Stadt“ warten die Halterner seit Jahrzehnten vergeblich auf neue Radwege und Lückenschlüsse, ebenso auf verbesserte ÖPNV-Angebote“ im Rahmen der „Verkehrswende“, derweil die Zahlen der PKW und SUV als „Stadtpanzer und Klimakiller“ in der autofreundlichen und verkehrsbelasteten Flächenstadt Haltern mit ihren jährlich 3 Millionen Tagestouristen stetig anwachsen. (Mehr als 250 Temposünder an einem Tag wurden laut Presse in Haltern erwischt – freie Fahrt für freie Bürger).
Das alte Denken überwinden
Elektrische Shuttle-Busse zur Bewältigung der Touristenströme und des innerstädtischen Pendelverkehrs sucht man in Haltern vergeblich, und die Bahnverbindungen werden täglich schlechter statt besser. Allein die klimageschädigten Wälder im Haltener Stadtgebiet können die CO²-Problematik nicht von alleine kompensieren, wie dennoch von CDU und WGH im Rat 2019 argumentiert. Die Förster haben eine so dramatische Situation im Raum Haltern seit 30 Jahren nicht erlebt, und in diesem Jahr kamen auch noch Waldbrände hinzu. Um die Werte des Klimaschutzabkommens bis 2030 zu erreichen, müsste laut Bundesumweltamt die jährliche Minderung des CO²-Ausstoßes mehr als verdreifacht werden, denn der Straßenverkehr mit den Autos ist der Klimasünder Nr. 1. (Nun sollen die Moorsenken im Sythener Wasag-Gelände als natürliche CO²-Senken genutzt werden).
Bezeichnend für das „alte Denken in Haltern“: Statt kostenlosen ÖPNV im Corona-Jahr 2020 forderte die SPD-Fraktion im Rat kostenloses Parken für die motorisierten Innenstadtbesucher. Und der gegenwärtige Bürgermeister Stegemann (CDU) eröffnete neulich stolz eine zusätzlich nutzbare innenstadtnahe Parkplatzfläche für kostenloses Parken für PKW auf dem Schulgelände. Um „PKW-Stellplätze in ausreichender Zahl auf dem eigenen Grundstück“ zu ermöglichen, ist dies auch ein Hauptargument der Halterner CDU gegen das seit 4 Jahren gesetzlich gültige Verbot der Schottergärten. Die Fixierung auf das Auto ist aus der Zeit gefallen, und auch die versprochene Eindämmung des Motorradverkehrs im Lärm- und unfallgeplagten Haltern ging ins Leere. Vergeblich fordern Umweltschützer auch Tempolimits im Umfeld der Halterner Naturschutzgebiete. Die im kommenden Jahr anstehende Halbzeitbilanz der Ratsparteien mit Blick auf ihre kommunalen Wahlprogramme wird insofern wohl dürftig ausfallen.
Von fahrradfreundlicher Stadt weit entfernt
In der Amtszeit des damaligen Halterner Bürgermeisters Klimpel, der heute den „Vestischen Klimapakt“ vertritt, ist kein Meter Radweg neu gebaut worden, beklagte ein ehemaliges grünes Ratsmitglied. Und noch im letzten Kommunalwahlkampf hielt der Bürgermeister und Landratskandidat eine Radwegeverbindung an der Kreisstraße zwischen Lavesum und Merfeld, für die eine Bürgerinitiative seit über 10 Jahren kämpft, erklärtermaßen für entbehrlich. Auch an der für Radfahrer hochgefährlichen Granatstraße im bevorzugten Naherholungsgebiet fehlt seit Jahrzehnten ein sicherer Radweg, dessen Realsierung in die allerletzte Prioritätsstufe auf ein weiteres Jahrzehnt verschoben wurde, weil sich die Stadt und ihr Bürgermeister dafür nicht erfolgreich engagiert hatten.
Die Grünen drängten auf einen Lückenschluss des Bahntrassen-Radwegs im Gewebegebiet Mersch. Der ADFC in Haltern fordert einen fahrradfreundlichen Innenstadtring. Es waren Bürgerinitiativen, die sich mit eigenen Konzepten für sichere Radwege an der Recklinghäuser Straße und mit Blick auf den für später geplanten „Wender“ einsetzten, derweil die Stadt auf dem engen Bürgersteig an der Rochfordstraße das Radfahren per Beschilderung verbot. Das kam in der Bürgerschaft als "Lachnummer" an.
Haltern als größte Flächenstadt im Kreis ist besonders gefordert
Im Ranking der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte liegen die Nachbarstädte weit vor Haltern – beispielsweise Reken als fahrradfreundlichste Kleinstadt in NRW, während Haltern im unteren Mittelfeld rangiert. In Sachen Klimaschutz mitsamt Verkehrswende gibt es in Haltern also noch einiges zu tun. Wenn der Landrat sich von der Landesregierung einen "Schub in Sachen Klimaschutz" erwartet, so sollte er als ehemaliger Halterner Bürgermeister auch den kommunalpolitischen Akteuren vor Ort, insbesondere seinen Parteifreunden und seinem Nachfolger einen solchen Schub im Rahmen des „Vestischen Klimapaktes“ für Haltern abverlangen, damit Haltern am Ende nicht zum Schlusslicht wird. Dabei hat diese größte Flächenstadt im Kreis mit ihrem großen, aber gefährdeten Naturpotential eine Schlüsselfunktion im Kreisgebiet für den Klimaschutz, die ihr noch mehr abverlangen sollte als den Nachbarstädten. Gelingt es der Stadt Haltern, zum Motor statt zum Bremser des vestischen Klimapaktes zu werden?
Wilhelm Neurohr, 22. August 2022
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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