Negative Wohnungsbau-Bilanz in NRW
Soziale Kälte statt sozialer Wohnungsbau in Haltern?

HALTERN AM SEE. Bund und Länder haben in einer konzertierten Aktion 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr versprochen, um den dramatischen Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu beheben. Am 09. Februar musste jedoch Landesbauministerin Scharrenbach bei ihrer Pressekonferenz stattdessen eingestehen, dass mit dem Rückgang statt der Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus die schlechteste Jahresbilanz in NRW vorliegt, weil die Kommunen die Gelder für den öffentlich geförderten Wohnungsbau nicht abrufen. In NRW entstanden nur 5.200 neue Sozialwohnungen in den 396 Städten und Gemeinden des Landes, das sind umgerechnet nur 13 Wohnungen pro Kommune, davon Null in Haltern am See. Nun will die Ministerin bei den Kommunen nachhaken, weil die Ausrede mit der Pandemie und dem Hochwasser-Katastrophenjahr oder „Personalmangel“ nicht länger zieht.

Die sündhaft teure Wohnstadt Haltern am See ist beim sozialen Wohnungsbau seit Jahren Schlusslicht im Land und kommt damit ihrer Kernaufgabe der sozialen Daseinsvorsorge und dem Verfassungsgebot der gleichwertigen Lebensverhältnisse in Stadt und Land nicht nach: Trotz eines vierstelligen Bedarfs in der Stadt verweigert sie beharrlich ihren Beitrag zum sozialen Wohnungsbau, entgegen dem Versprechen auf „bezahlbares Wohnen für alle“ in den Kommunalwahlprogrammen. Im Angebot sind nur freifinanzierte Wohnungen der überwiegend gehobenen Preiskategorie. Von 18.000 Wohnungen in Haltern insgesamt sind lediglich unter 2 % öffentlich gefördert, Tendenz sinkend, wobei 41% davon aus den 1970-er Jahren stammen und aus der Sozialbindung herausfallen, somit max. 300 Wohnungen verbleiben bzw. 200 bis zum Jahr 2035.

Weil die Ratsmehrheit in Haltern, anders als in den Nachbarstädten, dennoch stur auf ihrer ausschließlichen Einfamilienhaus-Politik für Besserverdienende beharrt, bleiben somit bezahlbare Wohnungen für die verzweifelt suchenden Niedrigverdiener und auch für Normalverdiener knapp. Sie müssen deshalb notgedrungen ihre Heimatstadt verlassen und erfahren somit die soziale Kälte in ihrer Stadt, in der man eine homogene statt heterogene Bevölkerungsstruktur anstrebt, soll heißen, die gehobene Mittelschicht möchte unter sich bleiben. Die soziale Ausgrenzung  betrifft besonders die 2.500 bis 3.000 Sozialhilfeempfänger in der Stadt, die 700 Arbeitslosen, die Geringverdiener, die Senioren mit geringen Renten, die Alleinerziehenden, die Migranten und vor allem die 2.300 überschuldeten Haushalte in der Stadt – wobei die größte Schulden- und Armutsfalle die hohen Mieten und Wohnkosten im teuren Haltern sind, die auch die Mittelschicht oder Häuslebauer oft überfordern. Schon vor Jahren hat die Caritas in einer Studie einen vierstelligen Bedarf an Sozialwohnungen für Haltern ermittelt.

Ähnlich strukturierte Nachbarstädte wie Dülmen oder Lüdinghausen haben neben ihrem Eigenheimangebot auch eine vierstellige Zahl an öffentlich geförderten Wohnungen vorzuweisen. Die Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen ist eine Kernaufgabe der Daseinsvorsorge in einem Sozialstaat und damit Verfassungsgebot. Die Wohnungsfrage entwickelt sich zur neuen sozialen Frage und spitzt sich im maßlos überteuerten Wohnungsmarkt in Haltern mit seinen schwindelerregenden Preisen immer mehr zu. Wohnungen sind allenfalls noch über „Vitamin B“ erhältlich, derweil den gut situierten Häuslebauern aus den auswärtigen Städten des Ruhrgebietes teure Grundstücke für „anspruchsvolles Bauen im Grünen“ offeriert werden.

Dagegen verweisen die Kommunalpolitiker auf fehlende geeignete Standorte für Mietwohnungsbau im Stadtgebiet, derweil die Flächenzersiedelung zugunsten des Eigenheimbaus problemlos von statten geht. Demgegenüber zeigen Nachbarstädte wie Dülmen, dass man mit einer effizienteren Flächennutzung und etwas höheren Siedlungsdichte bei weniger Flächenverbrauch und besserer Flächenausnutzung sowie abgesenktem Wohnflächenbedarf und höherer Wohnungsbelegung planerische Spielräume für Wohnungsbauprojekte gewinnen kann.

Trotz Marktversagen wird öffentlich geförderter Wohnungsbau abgelehnt?

Eine vor Jahren von der sozialdemokratischen Ratsfraktion in Haltern vorgeschlagene Einrichtung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft nach dem Vorbild der meisten anderen Kommunen wurde von der konservativen Ratsmehrheit abgelehnt und stattdessen eine „Städtische Flächenentwicklungsgesellschaft“ bei den Stadtwerken angegliedert, die sich aber allein nach dem „freien Spiel der Kräfte“ preistreibend am Markt betätigt. Damit ist den Wohnungssuchenden mit geringem Einkommen in Haltern nicht geholfen, im Gegenteil: Damit wird offensichtliches „Marktversagen“ sichtbar und bewusst die soziale Segregation zugunsten einer „homogenen Bevölkerungsstruktur“ gefördert, d.h. die Zuwanderung und Eingliederung zahlungskräftiger Bevölkerungsschichten und die Abwanderung und Aussiedlung der sozial Benachteiligten.

Keine Wohnungsangebote für die Integration von Migranten?

Auch die Ausländer und Migranten in der Stadt, die vom Halterner Asylkreis vorbildlich betreut und integriert werden, finden nach erlangtem Bleiberecht nur selten eine bezahlbare Wohnung in Haltern und wandern überwiegend in die preiswerteren Nachbarstädte des Ruhrgebietes ab. Somit hat Haltern  (einschließlich der Heimbewohner in Unterkünften) nur eine Ausländer- oder Migrantenquote von 5% bis 8% gegenüber 15% bis 25% in den übrigen Städten des Kreises Recklinghausen. Die Integration wird also letztlich auf die Nachbarstädte abgeschoben - ein Beitrag zur viel gerühmten Halterner "Willkommenskultur"?
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Daseinsberechtigung kommunaler Wohnungsunternehmen?

Die gemeinnützige Schader-Stiftung thematisiert das Gesamtproblem wie folgt: „Zunehmende Liberalisierung in der Wohnungswirtschaft, Wegfall von Belegungsbindungen, wachsende Dominanz gewinnorientierter Wohnungsunternehmen: Wie ist die Versorgung jener Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, die sich am Markt nicht aus eigener Kraft mit angemessenem Wohnraum versorgen können? Welche Rolle bei der Bereitstellung von Wohnraum wird von der öffentlichen Hand - und von Wohnungsunternehmen in öffentlicher Hand - zukünftig erwartet? (…) Wohnungspolitik wird auch zukünftig für notwendig erachtet. Zu fragen ist, welche Rolle der Staat bei der Wohnraumversorgung einnehmen soll und ob es eine Verpflichtung der öffentlichen Hand zur Gewährleistung von Wohnraum gibt. Wohnraum ist als Existenzgut „für alle“ dem staatlichen Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen. Wenn schon auf dem Arbeitsmarkt Unsicherheit herrscht, so sollte zumindest das Wohnen sicher sein.“

Sie kommt zu dem Fazit: Öffentliche Wohnungsunternehmen haben sich für viele Kommunen als zuverlässiges Instrument zur Versorgung sozial schwacher Haushalte erwiesen und erbringen über die reine Versorgungsfunktion hinaus gesellschaftlich erwünschte Zusatzleistungen, die sogenannte „Sozialrendite“. Hierin liegt die Daseinsberechtigung öffentlicher Wohnungsunternehmen“. Darüber sollte auch in  Haltern eine notwendige Debatte und ein Umdenken beginnen, um den Eindruck der sozialen Kälte gegenüber den Geringverdienern und Bedürftigen als Wohnungsuchende entgegenzuwirken.

Wilhelm Neurohr

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

Webseite von Wilhelm Neurohr
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