Erprobung von Radwegen am Schüttenwall
„Salto rückwärts“ bei der überfälligen Verkehrs- und Mobilitätswende in Haltern? Wie die mehrheitliche Bürgermeinung politische Ideologien widerlegt
HALTERN AM SEE. Ende nächster Woche endet in Haltern die kurze Test- und Probephase für den provisorischen Radweg auf der bisher zugeparkten Mehrzweckspur am verkehrsreichen Schüttenwall. Ginge es nach dem jungen CDU-Chef und -Fraktionsvorsitzenden in Haltern, dann könnte man sich eigentlich die begleitende Bürgerbefragung und den anschließenden Bürgerrat zum Thema Mobilität und Verkehrswende in Haltern ersparen. Denn am 17. April zitierte ihn die „Halterner Zeitung“ mit der Aussage, dass „die Zukunft der Flächengemeinde Haltern ganz sicher im Auto“ liege und die Verdrängung des motorisierten Individualverkehrs aus der Innenstadt angeblich dem Einzelhandel schade. Das Auto könne nach seiner Überzeugung nicht durch die Förderung des Radverkehrs ersetzt werden und ein Ausbau des ÖPNV sei in Haltern angeblich kaum möglich (obwohl das ländliche Münsterland das Gegenteil beweist). Insofern haben die Halterner Bürger kaum eine Wahlmöglichkeit zwischen den Verkehrsmitteln.
Mit dieser rückwärts gewendeten Ideologie des absoluten Vorrangs der „autogerechten Stadt“ aus den 1960-er Jahren (als sogar noch gewinnbringende Fußgängerzonen bekämpft wurden), hatte der junge Halterner CDU-Politiker bereits im November 2022 mit einigen Fraktionskollegen das zukunftsweisende Verkehrskonzept für die Halterner Innenstadt ausgebremst. Dieses war mit den Bürgern und Verkehrsexperten einvernehmlich erarbeitet worden und empfahl bereits Radwege am Schüttenwall mit stichhaltigen Argumenten. Nun fragen sich viele Bürger: Gehen mit der Ausrede der „aufs Auto angewiesenen Flächenstadt“ in Haltern wieder einmal die Uhren anders als in allen anderen Städten des Kreises und des Münsterlandes? Inzwischen haben alle Nachbarstädte fahrradfreundlichere Innenstädte als Haltern und haben auch mit hoher Priorität in neue Radwege investiert und den ÖPNV ausgebaut, was in Haltern seit 20 Jahren versäumt wurde.
Nicht überraschend war deshalb das eindeutige Meinungsbild einer aktuellen Leserumfrage der „Halterner Zeitung“ mit einer Beteiligung von über 1.000 Personen: Demnach wünschen sich 87% einen längst überfälligen lückenlosen Radweg um die Innenstadt. Und 81% sprachen sich zur Sicherheit der Radfahrer für einen beidseitigen Radweg auf dem Schüttenwall aus. 71% verneinten die Nutzung und Zweckentfremdung der dortigen Mehrzweckspur als Parkraum für die Autos der Anwohner und Berufstätigen.
Auch wenn es keine repräsentative Umfrage war, so ist das Meinungsbild aus der Bürgerschaft sehr deutlich und wird sich wohl auch bei den Abfragen der Stadt über Ihr Online-Beteiligungsportal so bestätigen (es sei denn, es würde hinter den Kulissen nun aus politischen Interessen gezielt zum Einbringen von Gegenmeinungen aufgerufen). Wegen des kontroversen und sensiblen Themas hofft die Stadt jedenfalls auf eine rege Bürgerbeteiligung und will ihre Entscheidungsfindung daran orientieren. Alles andere wäre auch kaum akzeptabel.
Hoffnungen und Erwartungen an den Bürgerrat zur Mobilitätswende
Schon die Verkehrsplaner hatten bei den Erhebungen zum städtischen Verkehrskonzept die „nicht mehr zeitgemäße Fahrrad-Infrastruktur“ in Haltern bemängelt. Das wiederholt verliehene Etikett der „fahrradfreundlichen Stadt“ muss sich Haltern in Wirklichkeit erst noch verdienen. Innovative Ideen und Verbesserungsvorschläge werden bislang vor allem von Bürgerinitiativen und vom ADFC vorgebracht, die für die Durchsetzung gegen viele Widerstände kämpfen müssen. Insofern darf man auf den ersten Bürgerrat in Haltern gespannt sein, der sich laut Ratsbeschluss mit dem Thema befassen soll: „Wie soll die Mobilität in Haltern am See in Zukunft aussehen?“
Selbstverpflichtung der Stadt Haltern zur Reduzierung des KFZ-Verkehrs
Es war im Interesse der Bürgerschaft, dass die Stadt Haltern in 2020 einen Rahmenvertrag mit dem „Zukunftsnetz Mobilität NRW“ zugunsten einer nachhaltigen Mobilitätswende unterzeichnet hat, wie damals auch von der CDU begrüßt: Mehr Mobilität soll demnach mit weniger KFZ-Verkehr erreicht werden, so lautet die Selbstverpflichtung der Stadt. Die bundesweite Zielvorgabe der Halbierung des Autoverkehrs bis 2035 ist nämlich auch eine Verpflichtung für die Städte, ihren wirksamen Beitrag zur überfälligen Verkehrswende vor Ort für den überlebenswichtigen Klimaschutz und die Schadstoffminderung zu leisten. Nicht zuletzt beanspruchen die SUV`s in den Städten doppelt soviel Fläche zum Parken und Abstellen wie normale Kleinwagen sowie doppelt so viele Ressourcen bei ihrer Material verschwendenden Herstellung .
Richtiger Klimaschutz geht nur mit weniger Autos. Zwingend erforderlich wäre zur Erreichung der Klimaziele also die Halbierung des KFZ-Verkehrs und die Verdoppelung des ÖPNV-und Radverkehrs bis 2035, beginnend ab heute, wie das Wuppertal-Institut in einer Studie für Fridays for Future verdeutlicht hat. Dazu ist auch von jeder Stadt, also auch von Haltern, ein adäquater Beitrag gefordert.
Zum Leidwesen der Bürger klaffen Anspruch und Wirklichkeit in Haltern auseinander
Das hat man auch im „Vestischen Klimapakt“ des Kreises zum Ziel erkoren, der von Haltern ebenfalls unterstützt wird. Tatsächlich ist jedoch der KFZ-Bestand in Haltern jedes Jahr weiter gestiegen auf inzwischen über 650 Autos pro 1.000 Einwohner, somit weit über dem Bundesdurchschnitt. 80% aller Fahrten in der Stadt sowie zur Innenstadt werden mangels Alternativen mit dem PKW zurückgelegt, mit entsprechender Feinstaubbelastung. In Haltern dürfte zudem der augenscheinlich besonders hohe Anteil der SUV (Sportgeländewagen: Sport Utility Vehicle) – von Kritikern als übermotorisierte „Stadtpanzer“ und „Klimakiller“ verspottet - dazu beitragen, dass die CO²-Emissionen laut einer Studie immer langsamer sinken. Der internationalen Energieagentur (IEA) zufolge liegt der Energieverbrauch eines SUV rund 25 Prozent über dem eines mittelgroßen Pkw, was auch langfristig ein Hindernis bei der Reduktion der CO²-Emissionen bedeutet – mit langfristig gravierenden Folgen für den Planeten.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen also in Haltern weit auseinander, das gilt auch für das politische Desinteresse an einer Verbesserung des ÖPNV in der ländlichen Flächengemeinde Haltern. Beim landesweiten „Erreichbarkeits-Ranking“ zeigten sich die Defizite der unzureichend an den ÖPNV angebundenen Halterner Dörfer.
Innovative Mobilitätskonzepte sind jetzt gefragt statt Festhalten am Status quo
In Google-Bewertungen über die Touristenstadt Haltern wurden u. a. Klagen über „überfüllte Straßen“ vorgebracht - und deshalb von einem Besuch der Stadt abgeraten. Zuletzt haben es die Bürger in Lavesum wiederholt gespürt, aber auch in Lehmbraken, wo am letzten Wochenende wieder einmal Oldtimer und Motorräder aus der ganzen Republik durch die Halterner Erholungslandschaft zum Prickings Hof gelockt wurden und alle Zufahrtsstraßen vollgeparkt waren. Drei Millionen touristische Tagesbesucher jährlich in Haltern erfordern hier eine ganz andere (landschafts- und klimaverträgliche) Verkehrsinfrastruktur, über die bislang niemand wirklich nachdenkt.
Die Mobilitäts- und Verkehrswende in Haltern steht vor allergrößten und differenzierten sowie innovativen Herausforderungen, die nicht allein mit dem lapidaren Credo des Halterner CDU-Fraktionsvorsitzenden gelöst werden können: „Dem Auto gehört die Zukunft in dieser Flächenstadt“. In dasselbe Horn tuteten übrigens in diesen Tagen die Gesinnungsgenossen der „Jungen Union“ auch in Münster, die sich dort ebenfalls vehement gegen die von der Stadt zugunsten des Fuß- und Radverkehrs geplante Reduzierung der Innenstadt-Parkplätze an den Straßenrändern etc. aussprechen – in einer Stadt, die innen wie nach außen bestens mit Fahrradwegen und ÖPNV versorgt ist und somit vielfach das Auto erübrigt. Doch selbst dort wollen junge Unionspolitiker die Stadtstraßen als Autoabstellplätze belassen.
Um ein erweitertes Bewusstsein über die umwelt- und verkehrspolitischen Probleme und möglichen Entscheidungskriterien für Haltern zu erlangen, empfiehlt sich die Lektüre der untenstehenden Beiträge (siehe Verlinkung) zur Gesamtproblematik.
Wilhelm Neurohr, 23. April 2024
>>> siehe zur Gesamtproblematik auch diese vier lesenswerten Artikel im Lokalkompass von 2022 etc. unter:
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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