Neuer Pflegeheimskandal in Haltern
Nach Alloheim nun auch Kahrstege: Profitmaximierung zu Lasten der Senioren und Beschäftigten

HALTERN AM SEE. Nachdem der zweitgrößte kommerzielle Pflegeheimkonzern Alloheim mit seiner Seniorenresidenz in Sythen und bundesweit wiederholt durch Skandale von sich reden machte, ist nun auch das Halterner Seniorenzentrum Kahrstege zum Nachteil der Senioren und Beschäftigten in die negativen Schlagzeilen geraten:

Wegen erheblicher Mißstände hat die Heimaufsicht dort einen Aufnahmestopp verhängt, wie die „Halterner Zeitung“ berichtete. Nach dem Betreiberwechsel zum privaten Pflegekonzern „AuviCum Holding GmbH“ im letzten Jahr haben sich für die 72 Bewohner und die reduzierten Beschäftigten nun katastrophale Zustände ergeben.

Personelle Unterbesetzung, miserable Arbeitsbedingungen, Zeitarbeitskräfte statt Festbeschäftigte, wechselnde Heimleitung, verschlechtertes Essen, erhöhte Zuzahlungen, unzureichende Betreuung und Versorgung der Heimbewohner - alles als Folge des Kostendrucks durch den privaten Träger, um Rendite zu erzielen. Jährlich 3 Mio. Einnahmen pro Pflegeheim sind die Zielmarken.

Dadurch verschlimmert man auch den Fachkräftemangel, denn wer will unter solchen Umständen dort arbeiten? Wohlklingende Qualitätsversprechen auf der verlockenden Website des privaten Heimbetreibers werden nicht eingehalten und klingen angesichts der aktuellen Zustände wie Hohn.

Schließung unrentabler Heime führt zum Pflegenotstand

Der Arbeiter-Samariter-Bund als vorheriger gemeinnütziger Träger war finanziell überfordert. Das betriebswirtschaftliche Diktat bedroht die Versorgung der pflegebedürftigen Senioren, weil humane Altenpflege immer eines staatlichen Zuschusses bedarf. Unrentablen Heimen droht sonst die Schließung oder Insolvenz: Immer mehr Heime schließen, obwohl dringend benötigt. Über 50 Heime sind in Deutschland schon geschlossen worden, obwohl sich die Zahl der Pflegebedürftigen von 2 Mio. im Jahr 2000 auf über 5 Mio. heute mehr als verdoppelt hat.

Dem stehen aber nur 920.000 Heimplätze gegenüber in den 14.500 voll- und teilstationären Einrichtungen in Deutschland. Den 102 neu eröffneten Pflegeheimen stehen 142 geschlossene Heime gegenüber. Insgesamt gingen 2.400 vollstationäre Pflegeplätze für 17.000 betroffene Patienten verloren. Der Pflegenotstand ist vorprogrammiert.

Jedes zweite Seniorenheim in privaten Händen

Seitdem bundesweit 43% der Alten- und Pflegeheime von privaten Betreibern übernommen wurden - davon 23% in den Händen der 30 größten wachstums- und profitorientierten Konzerne als Marktführer - wächst die späte Einsicht, dass die Privatisierung der sozialen Daseinsvorsorge ein unverzeihlicher politischer Fehler zu Lasten der betroffenen Menschen war – der größte politische Fehler überhaupt!

An diesem Dilemma wird erkennbar, wie schädlich sich die neoliberale Ideologie im sozialen Bereich auswirkt. Doch auch nach den negativen Erfahrungen mit den privaten Betreibern rückt man nicht davon ab.

Fehlentscheidungen rechtlich nicht mehr rückholbar

Sowohl Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) als auch sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) sehen aber inzwischen ein, dass die Altenpflege bei öffentlichen und gemeinnützigen Trägern wie den Kommunen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden besser aufgehoben war. Nur noch 4 Prozent der Heime sind in kommunaler Trägerschaft.

Doch mit Einführung der Pflegeversicherung in 1995 können private Investoren rechtlich nicht mehr enteignet werden und die Einrichtungen nicht rekommunalisiert werden. Die Pflege hätte eine kommunale Aufgabe bleiben sollen. In anderen EU-Ländern wie Österreich und Norwegen wurde privaten Betreibern der Heimbetrieb mittlerweile entzogen.

Das Milliardengeschäft mit der Altenpflege geht weiter

Seniorenheime sind und bleiben Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren sowie Kapitalanleger, mit knallharten Sparvorgaben. Das ist die Wahrheit über den Pflegezustand in Deutschland. Die Abzocke der Senioren ist ein Milliardengeschäft, zu Lasten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen sowie der Beschäftigten und der Sozial- und Pflegekassen.

Allein der wachsende Alloheim-Konzern (in Händen ausländischer Finanzkonzerne) mit seinen fast 250 Pflegeheimen mit 24.000 Plätzen und 22.000 MitarbeiterInnen erzielte im zurückliegenden Jahr 300 Mio. € Umsatz. Vor ihm liegt als Branchenprimus auf Rang 1 der Pflegekonzern Korian mit 27.700 Betten und 255 Pflegeheimen.

  • Eine umfassende Dokumentation hierzu hat der Autor dieser Zeilen bereits in 2022 im Lokalkompass veröffentlicht, siehe:

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/wann-entzieht-die-heimaufsicht-den-alloheim-heuschrecken-endlich-die-betriebserlaubnis_a1796542

Steigende Zuzahlungen der Heimbewohner

Die horrenden Zuzahlungen für die Heimbewohner oder ihrer Angehörigen steigen auch zur Absicherung der Gewinne der privaten Betreiber ungebremst und werden weiter nach oben getrieben. Der selbst zu zahlende Anteil beträgt in NRW mittlerweile 2.107 € im Monat (gegenüber 1.750 € im Bundesdurchschnitt); das ist ein Anstieg um 102 € gegenüber dem Vorjahr.

Viele selbst wohlhabende Rentner werden dadurch im Pflegefall zum Sozialfall. Die Forderung einer Vollabdeckung der Kosten über die Pflegeversicherung findet politisch kein Gehör, so dass die Altersarmut in unserem reichen Staat immer weiter voranschreitet.

Mangel an bezahlbaren Seniorenwohnungen auch in Haltern

Je weniger bezahlbare und zumutbare (vollstationäre) Heimplätze für Pflegbedürftige zur Verfügung stehen, desto mehr muss ausgewichen werden auf häusliche Pflege mit ambulanten Pflegediensten und auf Tagespflegeeinrichtungen. Dazu bedarf es vor allem der Bereitstellung von Barrierefreien und bezahlbaren Seniorenwohnungen, von denen in Haltern eine vierstellige Anzahl fehlt, obwohl die Zahl der Senioren in der Stadt demnächst auf 45% ansteigen wird.

Die politischen Versäumnisse einer vorsorgenden Planung erstrecken sich also von der Bundes- und Landesebene bis auf die kommunale Ebene, die in Haltern auch die unsägliche Fehlentscheidung der Vergabe des Sythener Heimbetriebes an Alloheim zu verantworten hat.

Stadt verlässt sich fälschlich auf private Investoren und Projekte

Um dem Mangel zu begegnen, wird die Stadt - anders als andere Städte – jedoch nicht selber aktiv, sondern hofft in Haltern auf den einen oder anderen privaten Investor, der (zumeist überteuerte) Seniorenwohnungen bereitstellt. Zumeist sind es auf Rendite ausgerichtete Immobilienprojekte von (teils auswärtigen) Maklern, Bauunternehmen und Kapitalanlegern in Kooperation mit privaten Pflegediensten. Immer mehr Wohnbaugesellschaften, die sich dem Schlagwort „Betreutes Wohnen“ widmen, erfüllen nicht einmal die notwendigen sozialen Ansprüche. Es geht um Geld verdienen mir Senioren- und Pflegeimmobilien.

Das zeigt sich auch in unzureichenden Konzepten, wie bei der Seniorenwohnanlage Kastanienhof an ungeeignetem Standort in Lavesum - als angebliches “Leuchtturmprojekt“ vermarktet - oder bei den eingeplanten Demenzwohnangeboten im Großprojekt Katharinenhöfe in Hamm-Bossendorf. Hier erfolgt die profitable Zusammenarbeit von Bauträgern und Pflegediensten.

„Daseinsvorsorge geht vor Profit: Senioren als Opfer von Rendite-Jägern?“

Das betriebswirtschaftliche Diktat darf nicht zu Lasten  menschenwürdiger Pflege gehen. Lassen sich zwischenmenschliche Dienstleistungen nach den gleichen ökonomischen Prinzipien regeln wie die wirtschaftliche Optimierung der Warenproduktion in einem privaten Industriebetrieb oder in einer kommerziellen Einrichtung? Welches Kostenlimit wird beispielsweise für ein Menschenleben im Altenheim oder in der „Seniorenresidenz“ angesetzt und kalkuliert, damit die Menschenwürde noch gewahrt bleibt – sofern sie im betriebswirtschaftlichen Kalkül überhaupt vorkommt.

  • Hierzu sei die Lektüre der früheren aufrüttelnden Lokalkompass-Artikel empfohlen:

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/halterner-senioren-als-opfer-von-rendite-jaegern_a1584722

https://www.iwipo.eu/allgemein/wilhelm-neurohr-daseinsvorsorge-geht-vor-profit-senioren-als-opfer-von-rendite-jaegern/

Altwerden in Würde und Respekt statt Abzocke der Senioren

Altwerden in Würde und Respekt ist eine humane Herausforderung für die ganze Gesellschaft, erst recht für die überschaubare Stadtgesellschaft. Wie muss eine Gesellschaft beschaffen sein, damit ein Mensch auch im Alter ein Mensch bleiben kann? Wie können Senioren und die unterbezahlten Pflegekräfte, die sie betreuen, vor einem System der Profitmaximierung und Abzocke bei seniorengerechtem oder betreutem Wohnen und in der häuslichen Pflege und Heimunterbringung geschützt werden? Die nicht angemessene Gewinnmaximierung darf nicht zu Lasten und auf Kosten der Senioren, der Heimbewohner, Pflegekräfte und Pflegekasse gehen, die dafür zur Kasse gebeten werden.

Wilhelm Neurohr, 12. Januar 2024

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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