Sterbendes Dorf
Lavesum: Lässt die Stadt Haltern ihre Dorfbewohner im Stich?
HALTERN-LAVESUM. „Unser Dorf hat Zukunft“ - diesen Titel errang am 11. September beim gleichnamigen Landeswettbewerb nicht etwa das Halterner Dorf Lavesum, das sich gar nicht beteiligte, sondern das Dorf Marbeck im benachbarten Borken, wo Vereine, Bürger und die Stadt mit vereinten Kräften tätig waren. „So geht Dorfleben“, lobte dort die Jury. Im bloßen „Wohndorf“ Lavesum gilt eher das Gegenteil: „So geht Dorfsterben“ oder „Unser Dorf gehört der Vergangenheit an“. (Deshalb hätte Lavesum unter den teilnehmenden 400 Dörfern auch keine Chance auf den Titel gehabt).
Dorf ohne Infrastruktur:
Gaststätte, Restaurants, Sparkasse und Läden geschlossen
Nachdem hier in Lavesum die bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebten Gaststätten und Restaurants, zugleich die einzige Sparkasse mitsamt Geldautomat und nun auch die letzten Läden in Lavesum geschlossen haben, (außerdem Radwege und Busverbindungen zu den Nachbardörfern sowie eine Arztpraxis fehlen), titelte bereits am 12. Juli die Halterner Zeitung: „Ladenschließungen in Lavesum – ein Ortsteil vor dem Niedergang?“ Zum Glück fand sich für die Tankstelle mit Kiosk nach Aufgabe des vorigen Pächters ein neuer Pächter aus Reken, sonst wären auch hier die Lichter ausgegangen.
"Klotzbauten" privater Investoren an bloßem Wohnstandort?
Lavesum nur noch als verkehrsbelastetes Durchgangsdorf zu den Touristenattraktionen, während sich die aktuelle Diskussion allein auf die Streitfrage von „Klotzbauten“ im Dorfkern versus dorftypische Einfamilienhäuser beschränkt? Denn das 1.700-Einwohner-Dorf Lavesum, ohne dörfliche Infrastruktur und mit Defiziten bei der Verkehrsinfrastruktur, soll als bloßer Wohnstandort dennoch weiter wachsen - so wollen es private Investoren bei der möglichst profitablen Vermarktung ihrer Grundstücke mit Unterstützung durch die Stadt. So erreichen die sündhaft teuren Immobilienpreise im begehrten Haltern alsbald auch die Dörfer am Stadtrand, trotz fehlender Infrastruktur?
"Münsterländisches Flair" im verbauten Lavesumer Ortsbild?
Mit der Planung von bis zu 65 neuen Wohneinheiten durch die privaten Investoren auf deren eigenem Bauland - darunter fünf 8-Familien-Häuser im Baugebiet „Schafstall“ entlang der Merfelder Straße und auf dem ehemaligen Bikomarkt-Gelände - entstand aktuell eine heftige Debatte über die notwendige Anpassung der geplanten Bauten an den Charakter des (leider längst verunstalteten) Lavesumer Ortsbildes mit angeblich vorhandenem „münsterländischem Flair“.
Umstrittene Bebauungsplanung "Schafstall" mit Bürgerbeteiligung
Es sei keine Fortführung der massiven Bauweise der „Kastanienhöfe“ gewollt (die als private Seniorenwohnanlage ohne Bebauungsplan an unverträglichem Standort genehmigt wurde) und gegen die seinerzeit keine Bedenken erhoben wurden. Nach einer öffentlichen Parteiveranstaltung der CDU für die Dorfbewohner Mitte September folgt für das neue Baugebiet "Schafstall" in Kürze eine offizielle Informationsveranstaltung der Stadtverwaltung mit dem Privatinvestor für die Bürgerschaft sowie nach den Herbstferien eine städtische Bürgerversammlung für die Dorfbewohner zum Bebauungsplan, dessen Aufstellung 2020 beschlossen wurde.
Keine zweite „Siedlung Kunterbunt“ in Lavesum
Das ist auch ratsam, denn eine solche städtebauliche und landschaftliche Fehlentwicklung wie bei der planlosen Lavesumer „Siedlung Kunterbunt“ (Volksmund) entlang dem Lavesumer Höhenzug Talstraße/ Hochstraße/ Napoleonsweg/ Hadkamp mit eingestreuten „Klotzbauten“ sollte sich nicht wiederholen. Vor Jahrzehnten wurde hier ohne einen Bebauungsplan oder städtebauliche Gestaltungsvorgaben (am geltenden Planungsrecht vorbei) ein Baugebiet in Hanglage mit inzwischen 90 neuen Wohngebäuden mitten im Grünen erschlossen, indem man den vorherigen Grünzug planungsrechtlich einfach als „unverplanten Innenbereich“ nach § 34 BauGB deklarierte, obwohl die historischen Luftbilder des Kommunalverbandes hier unverbauten landschaftlichen Außenbereich für den damaligen Zeitraum nachweisen.
Planungsrechtliche Versäumnisse bei der Ortsrandbebauung
Mit diesem rechtlich unzulässigen Trick ersparte man sich die eigentlich notwendige Aufstellung eines Bebauungsplans mit Bürgerbeteiligung, (sicherte aber vorher gegen den Widerstand der Landschaftsbehörden im Flächennutzungsplan dieses unorganische Baugebiet planerisch ab, zur Freude der Grundbesitzer bzw. Landwirte über die Wertsteigerung). Die begehrte Hangbebauung mit Blick ins Grüne hat sich im Laufe der Jahre immer weiter ausgedehnt und verdichtet und vielerlei unterschiedliche Bauweisen über Einzelbaugenehmigungen nebeneinander zugelassen, bis hin zum heutigen gewöhnungsbedürftigen Erscheinungsbild – von „münsterländischem Flair“ keine Spur, aber lukrativ. (Eine 100 qm-Eigentumswohnung in einem jüngst hier erstellten „Klotzbau“ wurde neulich für eine halbe Mio. € zum Weiterverkauf angeboten).
Zusätzlich wurde in zwei umstrittenen und teils unzulässigen Satzungsverfahren neue Bebauung im geschützten Außenbereich zugelassen, wo sie eigentlich nicht hingehört. Von einer geordneten städtebaulichen und landschaftsverträglichen Dorfentwicklung kann hier nicht die Rede sein. Die Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen erscheint oft unausgewogen zugunsten privater Interessen.
Dorf für touristischen Durchgangsverkehr ohne Aufenthaltsqualität
So ist Lavesum mit Lochtrup baulich zusammengewachsen. Die Bewohner dieses Baugebietes müssen aber den zunehmenden Verkehrslärm der L 652 in Lavesum ertragen. Ohne eigene Aufenthaltsqualität für Besucher muss das Dorf hier vor allem den Durchgangsverkehr des Massentourismus von der nahegelegenen Autobahnabfahrt ertragen, denn allein der Ketteler Hof mit seinen Großparkplätzen zieht jährlich über 400.000 zumeist motorisierte Besucher per PKW, Motorrad oder Reisebus an.
Hinzu kommen jährlich Hunderttausende motorisierte Besucher des Wildgeheges Granat (wo sich in diesem Sommer mehrmals kilometerlange Rückstaus bis ins Dorf Lavesum bildeten), ferner die motorisierten Besucher des Hofes Hagedorn und der Reiterhöfe und Wanderparkplätze Hohe Mark. Wie man mit Förderung des motorisierten Individualverkehrs die Verkehrswende hinbekommmen will, die bis 2035 eine Halbierung des Autoverkehrs anstrebt, bleibt schleierhaft. Neidvoll blickt man in Lavesum auf die verkehrsberuhigten Ortskerne der anderen Münsterlanddörfer, die überdies in den Ortsdurchfahrten separate Radwege anbieten.
Warum kein Dorfpark zum Verweilen?
Im Dorf Lavesum selber ist kaum noch ein Anreiz für Besucher vorhanden, hier zu verweilen oder einzukehren, weil es hier an Aufenthaltsqualität und Einkehrmöglichkeiten mangelt. Die wiederholte Idee eines von Bürgern vorgeschlagenen Dorfparkes nach dem Vorbild benachbarter Münsterlanddörfer (als Treffpunkt und Aufenthaltsort für Bewohner und Besucher sowie Senioren aus dem Kastanienhof) - etwa im Dreieck Talstraße/Rekener Str./Merfelder Straße gegenüber der Feuerwache - wurde von der Stadt von vornherein vom Tisch gefegt.
Private Investoren-Pläne ersetzen fehlendes Dorfentwicklungskonzept?
Statt endlich ein umfassendes Dorfentwicklungskonzept als eine Art „Masterplan“ für die Zukunft des sterbenden Dorfes Lavesum insgesamt und seine Infrastruktur und Wohnbebauung zu entwickeln, unterbleibt ein ganzheitlicher Blick auf die gebündelten Probleme des niedergehenden Dorfes und seine Zukunftschancen. Stattdessen wird anlässlich eines aktuellen Wohnbauprojektes von einflussreichen Privatinvestoren im Lavesumer Ortskern die öffentliche Diskussion und Bürgerbeteiligung in Lavesum wieder einmal auf die leidige Streitfrage reduziert: „Klotzbauen oder dorftypische kleinteilige Einfamilienhäuser?“ Wie so oft stehen öffentliche Interessen und die privaten Rendite-Interessen von Investoren nicht im Einklang und die Neugestaltung eines wirklichen Dorfzentrums nicht im Fokus.
Versäumter städtebaulicher Ideenwettbewerb für die Gestaltung des Dorfkerns
Warum nicht zuvor ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für die Dorfgestaltung? Und warum nicht eine fundierte Bedarfsermittlung für die unterschiedlichen Wohnbedürfnisse, bevor über (hochpreisige) Eigentums- und Mietwohnungen versus weitere Einfamilienhäuser ideologisch gestritten wird? Anfangs war hier nicht einmal ein Bebauungsplan vorgesehen, der aber politisch dann eingefordert wurde mit Erweiterung des Plangebietes unter Einbezug des ortsbildprägenden, aber zeitweilig abbruchgefährdeten Hauses Eggebrecht von 1920 als einstiger Traditionsgaststätte (inzwischen für eine Folgenutzung erworben und erhalten).
Vergibt die Stadt eine Jahrhundertchance für die Dorfgestaltung?
Wenn die Stadt nicht jetzt mit den Dorfbewohnern eine zukunftstaugliche Dorfgestaltung insgesamt angeht, bevor im verödenden Dorfkern vollendete Tatsachen allein durch bauliche Rendite-Interessen von Investoren und Grundbesitzern geschaffen werden, vergibt sie sich bei der Ortskerngestaltung womöglich einer Jahrhundertchance und degradiert zugleich die vernachlässigten Dorfbewohner zu „Bürgern zweiter Klasse“ gegenüber den Bewohnern und Geschäftsleuten im Innenstadtbereich, deren Interessen vielmehr im Vordergrund städtischer Politik stehen.
Voreiliger Abriss dorfbildprägender Gebäude im Dorfkern
Der dörfliche Niedergang begann bereits mit der Schließung und dem voreiligen Abriss des sehr beliebten und das Ortsbild prägenden Biko-Marktes als Restaurant und Cafe mit einstigem Verkaufsladen von Brot und Fleischwaren. (Selten wurde eine beantragte Abrissgenehmigung für ein erhaltenswertes und sanierungsfähiges Gebäude in solchem Eiltempo verfrüht erteilt, um einer lukrativeren Nachfolgenutzung im Interesse eines einflussreichen Lavesumer Maklers und Grundbesitzers unwiderruflich den Weg zu ebnen…).
Es folgte kurz darauf die Schließung der einzigen Dorfgaststätte Eggebrecht als Vereinstreff und einziges Abendlokal im Dorf. Vom ursprünglich vorgesehen Abriss des traditionsreichen Gaststättengebäudes von 1902 wurde abgesehen, nachdem sich ein Käufer für den Altbau fand, der aber noch keine klare Folgenutzung offeriert. So verbleiben vorerst nur Wünsche und Hoffnungen der Dorfbewohner.
Fehlgeplante Seniorenwohnanlage behindert Dorfkern-Entwicklung
Zuvor hatte man bei der Eröffnung der (in vielerlei Hinsicht fehl geplanten) privaten Seniorenwohnanlage Kastanienhof an ungeeignetem Standort die dortigen Senioren werbewirksam angeworben - und zwar mit dem Versprechen der vorhandenen „dörflichen Infrastruktur“ direkt nebenan für das leibliche Wohl (jetzt verbleibt ihnen nur noch „Essen auf Rädern“). Auch das „Dorflädchen“ als Kiosk direkt im Kastanienhof ist längst wieder geschlossen und die Senioren haben nicht einmal einen Aufenthaltsraum im Haus oder eine Sitzgelegenheit im Außenbereich, da das Haus ringsum von asphaltierten PKW-Stellflächen und der lauten Durchgangsstraße in 2 m Entfernung umgeben ist. Dort sitzen jetzt einige Senioren verloren auf Stühlen am Straßenrand. Mit dem verbauten, aber ungeeigneten Standort im Ortskern behindert der massive Gebäudekomplex nun eine alternative Dorfplatzgestaltung an dieser privilegierten Stelle im Dorfkern.
Kein Dorfpark und kein Dorfplatz
Ein von Bürgern vorgeschlagener Dorfpark („Rollatorpark“) mit Aufenthaltsqualität auch für die Senioren auf dem freien Feld nebenan (mit ökologischer Aufwertung und Gestaltung) wurde von der Stadt sogleich verworfen. Und ohne Bebauungsplan wurde der massive Gebäudekomplex des "Kastanienhofes" an ungeeignetem Standort von Privatinvestoren nach ihren Rendite-Vorstellungen errichtet. Der entstandene Baukomplex verhindert dort nun die z. B. denkbare platzartige Ortsmittelpunktgestaltung (Dorfplatz) mit evtl. neuer Gastronomie. In Verbindung mit der neu plattierten Umgebung der Antonius-Kapelle im Dorfkern Lavesum hätten sich hier interessante Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten ergeben.
Irreführende Wegweiser zu nicht mehr vorhandenen Einkehrmöglichkeiten
Längst ist auch der am Ortsrand liegende Tannenhof als ehemaliges Restaurant für gehobene Ansprüche nur noch gelegentlich für Festivitäten geöffnet. Zuletzt folgte am Ortseingang der Hofladen Enstrup mitsamt Imbiss mit seiner Schließung und Reduzierung auf saisonalen Kürbisverkauf. Wie ein Relikt aus der Vergangenheit prangt dennoch auf dem Verkehrswegweiser nach Lavesum auf der Halterner Innenstadt-Kreuzung Weseler Str./Rochfordstr./Lavesumer Straße immer noch das lockende Symbol mit Messer und Gabel für die vielen einstigen Speiselokale in Lavesum; längst müsste es demontiert werden, denn es ist eine Irreführung der auswärtigen Touristen auf der vergeblichen Suche nach Einkehrmöglichkeiten im Dorf Lavesum.
Schleichender Niedergang wegen fehlender ökonomischer Tragfähigkeit?
Als zu allem Übel vor 2 Jahren die einzige Sparkassenfiliale im Dorf Lavesum quasi über Nacht ersatzlos geschlossen wurde und nicht einmal einen Geldautomaten für die 1.700 Dorfbewohner hinterließ, obwohl rege genutzt, gab es zwar große Proteste auch von den Ratsparteien und ein Gespräch des Bürgermeisters mit dem Sparkassenvorstand. Aber letztlich zeigte man Verständnis für die „unumgängliche“ und ersatzlose Schließung zu Lasten der Bürgerschaft, die sich damit abfinden müsse.
Zudem misslang der jahrelange Versuch, eine Arztpraxis, geschweige eine Apotheke in Lavesum anzusiedeln. Die Stadt sieht erklärtermaßen den schleichenden Niedergang des Dorfes Lavesum als „generelles Problem“ kleinerer Ortsteile, die „ökonomisch nicht tragfähig seien“. (Dennoch soll die Einwohnerzahl wachsen durch weitere Wohnbebauung im Grünen im neuen Baugebiet „Schafstall“ ohne Infrastruktur?)
Neben Bürgerinitiative ist die Stadt zu eigenen kommunalen Dorfkonzepten verpflichtet
Damit gibt die Stadt Haltern ihre Dörfer auf und lässt sie im Stich? Die Dorfbevölkerung soll sich gefälligst in Eigeninitiative selber um ihre Infrastruktur bemühen, so die Botschaft aus dem Rathaus im Juli dieses Jahres. Die Stadtverwaltung wolle die Anliegen der Bürger zwar etwas unterstützen, aber selber nichts initiieren, allenfalls könne man für konkrete Maßnahmen evtl. Fördermittel aus dem Dorferneuerungsprogramm 2022 des Landes NRW vermitteln, so wird die Stadtsprecherin in der Halterner Zeitung zitiert. In Wirklichkeit ist die Fördervoraussetzung, dass die Stadt eigene kommunale Konzepte für die Grundversorgung der dörflichen Bevölkerung entwickelt und vorlegt. Die Stadt macht es sich also zu einfach, wenn sie ihre gesetzliche Verpflichtung für die ländlich geprägten dörflichen Stadtteile ausblendet und die Verantwortung allein auf die Bürger als Dorfbewohner abwälzt.
Sicherung der dörflichen Grundversorgung als gesetzliche Verpflichtung der Stadt
Es ist sogar die gesetzliche Verpflichtung der Stadt, das Verfassungsgebot des Art. 72 Grundgesetz ernst zu nehmen, die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land“ auch innerhalb ihres großen Stadtgebietes zu garantieren, konkretisiert durch den § 2 (1) des Bundesraumordnungsgesetzes: Auch in ländlichen Räumen sind „ausgeglichene infrastrukturelle, wirtschaftlich und kulturelle Verhältnisse“ anzustreben. Dementsprechend haben sich die Kandidaten und Kandidatinnen aller Ratsparteien in Haltern im Kommunalwahlkampf auch die Verbesserung der Versorgung und Lebensqualität in den Halterner Dörfern zu ihrem politischen Ziel vor Ort gesetzt.
Fortführung der versprochenen Ortsteilforen zur Dorfentwicklung
So sehr unverzichtbares Bürgerengagement in den Dörfern erforderlich und wünschenswert ist (aber im behäbigen Lavesum kaum zustande kommt), umso sehr kann sich die Stadt Haltern aus ihrer Verantwortung nicht einfach herausziehen, indem sie sich vorrangig um das Wohl der Innenstadtbewohner und ihrer Geschäftsleute sowie um dortige Leerstände kümmert, während demgegenüber das Wohl und die Interessen der Dorfbewohner (als Bürger zweiter Klasse?) offenbar nachrangig sind.
Hatte die Stadt nicht nach den vor zwei oder 3 Jahren mit Landesförderung durchgeführten „Ortsteilforen“ in Lippramsdorf und Hullern auch weitere Ortsteilforen in Lavesum, Sythen, Flaesheim versprochen? Hatte der Baudezernent diese nicht gering geschätzt mit dem Argument der bloßen „Wunschkonzerte“? Gleichwohl steht deren Durchführung sogar im Wahlprogramm der größten Ratsfraktion, die den Bürgermeister stellt und deren Partei sich im Dorf Lavesum auf die größte Mitgliederzahl und die höchsten Wahlergebnisse im Stadtgebiet beruft? Warum wird den Fehlentwicklungen im Dorf Lavesum nicht politisch gegengesteuert? (Seit der Kommunalwahl im September 2020 ist vom mitgliederstarken CDU-Ortsverein Lavesum zwei Jahre nichts mehr in der Zeitung an politischen Aktivitäten zu lesen gewesen, sondern erstmalig nach 2 Jahren wieder zu der jetzigen Veranstaltung über die Lavesumer „Klotzbauten“.)
Wie groß ist das Interesse der Stadt an Bürgerengagement?
In Wahrheit ist die Stadt nicht wirklich an Bürgerengagement in den Dörfern interessiert: Der Verfasser dieser Zeilen zum Beispiel hatte bereits vor zweieinhalb Jahren eine Broschüre mit umfassenden, fundierten und konkreten Vorschläge und Anregungen für ein Dorfentwicklungskonzept Lavesum eingereicht und verbreitet (siehe Verlinkung am Ende dieses Artikels), um dem weiteren Dorfsterben rechtzeitig mit Ideen zu begegnen. Von der Stadt gab es lediglich eine Eingangsbestätigung und keinerlei inhaltliche Resonanz. Die Ratsfraktionen und Parteien reagierten überhaupt nicht (mit Ausnahme der FDP, die solcherart Eigeninitiative der Bürger allgemein lobte), und auch die Vereine im Dorf hielten sich bedeckt (bis auf den Naturschutzverein, der sich mit den meisten Punkten identifizieren konnte, aber passiv blieb).
Flächennutzungsplan ersetzt kein Dorfentwicklungskonzept
Die Stadt ließ in anderem Zusammenhang lediglich mitteilen, dass sich ein vorgeschlagenes Dorfentwicklungskonzept erübrige, weil ja angeblich der Flächennutzungsplan ausreichen würde für alle Belange der Lavesumer Dorfentwicklung. Dass der grobmaßstäbliche Flächennutzungsplan keineswegs ausreicht, beweist der ungebremste Niedergang der dörflichen Infrastruktur, zu dem man allzu lange die Augen verschlossen hatte, weil er als „ein langsames Sterben in Raten“ auftritt.
Bürgervorschläge gehen meist ins Leere – Beispiel Verkehrsproblematik
Auch von den zahlreichen kreativen Vorschlägen, die von mehreren Lavesumer Bürgern im Rahmen der Beteiligungsprozesse zum Hohe-Mark-Förderprojekt aktuell vorgebracht wurden, fanden und finden die meisten kaum Berücksichtigung. Auch Initiativen aus der Bürgerschaft zur Verkehrssicherheit in der Ortsdurchfahrt und im Kreuzungsbereich Lochtrup sowie gegen den Motorradlärm führten eher zum Gegenteil als zur Problemlösung: An der Rekener Straße darf nun schneller statt langsamer gefahren werden. Eine sichere Fußgängerüberführung gibt es weiterhin nicht.
Das extreme Verkehrschaos an manchen Sommerwochenenden durch touristischen Durchgangsverkehr zum Kettler Hof, nach Granat oder zum Hof Hagedorn führte in diesem Sommer mehrmals zu einem kilometerlangen Rückstau bis ins Dorf und wird sich mitsamt lautstarken Motorrad-Rasern in langen Kolonnen ungebremst fortsetzen.
Defizite beim ÖPNV in Lavesum
Ähnlich war es bei den Bürgervorschlägen zum Nahverkehrsplan des Kreises für den ÖPNV. Weder unterstützte die Stadt den Wunsch der Dorfbewohner nach einer direkten Busverbindung zwischen Lavesum und Sythen (im Dorf Sythen gibt es sämtliche dörfliche Infrastruktur zur Grundversorgung einschl. Bahnanschluss, die auch von den Lavesumern ersatzweise gerne in Anspruch genommen wird), noch weitere Vorschläge zum ÖPNV zwischen den Dörfern.
Und auch die errungene Zusage im Nahverkehrsplan, die einzige Lavesumer Busverbindung der Linie 275 auch in den Wintermonaten bis Lavesum-Lochtrup zu führen, wurde nach wenigen Monaten wieder gekippt, so dass im Winter der weite Weg bis zur Haltestelle Feuerwache hinzunehmen ist. Und auch weiterhin gibt es zur Mittagszeit eine Unterbrechung des Stundentaktes auf zwei Stunden. Dabei war die ÖPNV-Anbindung des ländlichen Raumes das große Wahlversprechen aller Parteien auf allen Ebenen.
Radwege-Dilemma und mangelnde Verkehrssicherheit im Dorf Lavesum
Was die Radwege anbelangt, hat eine Lavesumer Bürgerinitiative trotz vierstelliger Unterschriften aus der Bürgerschaft auch nach 10 Jahren bis heute nicht bei der Stadt und beim Kreis erreichen können, dass entlang der Kreisstraße nach Merfeld endlich ein Radweg gebaut wird zur Sicherheit der hier gefährdeten Radfahrer. (40% aller Verkehrstoten sind Zweiradfahrer). Keinerlei Chance hat in den nächsten Jahrzehnten laut Prioritätenliste auch der noch wichtigere Lückenschluss des Radweges an der für Radfahrer hochgefährlichen Rekener Straße vom Ketteler Hof bis Granat sowie entlang der Granatstraße bis Lippramsdorf im Süden und nach Klein-Reken im Norden.
Die Behauptung des Bürgermeisters, er habe stattdessen beantragt, dass an dieser L652 lediglich der LKW-Verkehr zum Schutz der Radfahrer eingeschränkt werden solle, ist beim zuständigen Landesbetrieb nicht bekannt und sei auch nicht zulässig. Lediglich für die vorhandene Panzerstraße im Lavesumer Militärgebiet nach Reken-Hülsten hat die Stadt 16.000 € Fördermittel aus dem Hohe-Mark-Programm für einige Schilder und die Eingangsschranke eingesetzt. Weiteres ist für die Radfahrer und Radtouristen in Lavesum offenbar nicht geplant.
Engagierte Bürgerinnen und Bürger warten in Lavesum auf Resonanz
Auch die rührige und fachkompetente Bürgerinitiative „Haltern Fahrradfreundlich“ hat nach Abfragen in der Bürgerschaft fundierte Vorschläge für das Radwegenetz auch in Lavesum vorgebracht, ohne spürbare Resonanz. Die Bereitschaft und Motivation der Dorfbewohner, sich mit Vorschlägen zu engagieren, sinkt von daher deutlich und weicht dem Frust. Aktuell haben sich jedoch im Juli Vertreter des Lavesumer Künstlerhauses angeboten, sich mit Ideen aus der Bürgerschaft für einen Treffpunkt und für neues Leben in Lavesum einzusetzen, etwa über eine Bürgerkooperative. Man darf gespannt sein, ob sie damit auf Resonanz bei der Stadt und Mitwirkung in der Dorfbevölkerung stoßen. Bisher scheint die Resonanz mäßig zu sein.
Dorfläden in kommunaler Trägerschaft als Impulsgeber für Dorfentwicklung
Andere Städte und Gemeinden sind wesentlich engagierter im Einsatz für ihre dörflichen Stadtteile und sind dabei auch durchaus erfolgreich, weil sie die engagierten Dorfbewohner aktiv unterstützen. Dafür ließen sich viele Beispiele benennen, bis hin zu Dutzenden Gemeinden, die ausnahmsweise sogar selber als Träger oder alleiniger Gesellschafter für einen Dorfladen in öffentlicher Hand sorgten, der sich für die Gemeinde sogar als ökonomisch tragfähige Einnahmequelle erwies. Die aufgeschlossenen Kommunen betrachten den Dorfladen auch als Impulsgeber für weitere Ortsentwicklungsprozesse. Auf so eine Idee käme wohl niemand in unserer Stadt?
Bürgerhäuser als notwendige Treffpunkte in den Dörfern
Andere Dörfer beweisen auch mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement hinlänglich, wie dem Trend der sterbenden Dörfer im ländlichen Raum erfolgreich begegnet werden kann. Dafür gibt es ungezählte Beispiele auch direkt in der Nachbarschaft und nicht nur im siegreichen Zukunftsdorf Marbeck: Seien es die Dorfläden in Merfeld oder Hullern, seien es die Bürgerhäuser in Lippramsdorf, Reken, Wulfen, Lembeck oder Lette durch aktive Heimatvereine.
Einen solchen Heimatverein gibt es in Lavesum leider nicht, ließe sich aber gründen. (Im benachbarten Sythen sieht man, was so ein aktiver Verein beim Sythener Schloß und bei der Sythener Mühle für das Dorf zu leisten imstande ist). Ein Vorschlag für ein mögliches Bürgerhaus in einer Bestandsimmobilie in Lavesum wurde nach Prüfung durch den Bürgermeister jedoch verworfen, obwohl es auch dafür großzügige Landesmittel aus den Fördertöpfen für die Dorfentwicklung geben würde. Eine geeignetere Alternative wurde aus dem Rathaus nicht vorgeschlagen. Es wird nicht einmal darüber nachgedacht.
Millionenprojekt „Kastanienhof“ Lavesum - ein Herz für Senioren im Dorf?
Wie ist die Lebensqualität für Senioren im Dorf Lavesum mit mangelnder ÖPNV-Anbindung, fehlenden Läden und Arztpraxen, fehlendem Treffpunkt oder Park mit Aufenthaltsqualität? Zeigt das einzige Senioren-Projekt im Dorfkern Lavesum tatsächlich „ein Herz für Senioren“, wie es in seiner Werbung heißt: „Wir haben den ganzen Menschen im Blick. Wohlfühlen bedeutet selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.“ Ist damit auch die Dorfgemeinschaft gemeint, (da es in der Wohnanlage selber keine Gemeinschaftsräume gibt)?
Eine auswärtige Immobilienmaklerin aus Waltrop, die bereits 200 Seniorenwohnungen im Ruhrgebiet verwaltet, errichtete mit ihren Familienangehörigen und einem namhaften Halterner Bauunternehmen im Dorfkern Lavesum vor wenigen Jahren ein das Ortsbild sprengendes dreigeschossiges Seniorenwohnprojekt mit 18 Eigentumswohnungen für Senioren und 20 spärlich möblierte Appartements (zwischen 29 und 53 qm, Kaltmiete bis 686 €) mit angebotener Tagespflege. Diese wurden als eine „neue Wohnform“ für Menschen vermarktet, „die für die stationäre Pflege noch zu fit sind, aber in ihrem bisherigen Zuhause alleine nicht zurechtkommen“.
Lavesumer „Leuchtturmprojekt“ für altersgerechtes Wohnen?
Das Millionenprojekt wurde in der Presse als „groß, aber einzigartig“ dargestellt. Und der Anbieter selber wirbt mit dem Konzept des „begleiteten Wohnens“, bei dem die „richtige Form, Ausstattung, Einrichtung und Struktur in besonderem Maße an die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst sind“. Sogar die Lokalpresse schwärmte werbeträchtig: "In der Region einzigartig - Ein Leuchtturmprojekt für altersgerechtes Wohnen". Die Investorin des 4,3 Mio.€-Projektes, Immobilienmaklerin Ursula Eskens behauptete gar: „Diese Übergangs-Wohnform ist im weiten Umkreis einzigartig, das gibt es bislang nur in Bayern“.
Hohe Lebensqualität für Senioren im Dorfkern?
Es gibt jedoch im gesamten Gebäudekomplex des Kastanienhofes keinen Gemeinschafts- oder Aufenthaltsraum für die Senioren – als Begegnungsort dienen allein die breiten leeren Flure – und keine Aufenthaltsmöglichkeit im Freien, da das Gebäude in zwei Meter Entfernung direkt an einer lauten Landstraße (Motorradstrecke) liegt, mit Autoabstellplätzen rings um das Gebäude und Garagen an der vierten Seite. (Einige Anwohner setzen sich deshalb auf Stühlen direkt an den Straßenrand und beobachten die vorbeiflutenden Fahrzeuge).
Ein Kiosk als „Lädchen“ im Gebäude ist mittlerweile geschlossen und es gibt ringsum keine Infrastruktur: Das benachbarte Café/Restaurant, mit dem die Mieter und Käufer angelockt wurden, ist längst abgerissen (stattdessen „Essen auf Rädern“); eine benachbarte Gaststätte und die Sparkassenfiliale geschlossen und der Bus verkehrt nur im Stundentakt bzw. mittags im Zweistundentakt. Nur eine vielbefahrene Tankstelle liegt gegenüber.
Eine von Anwohnern vorgeschlagene Grünanlage („Rollatorpark“) für die Senioren mit Aufenthaltsqualität auf einem benachbarten Feld wurde von der Stadt abgelehnt. Bei der Vermarktung der Seniorenappartements hieß es noch vielversprechend: „Service-Wohnen im Dorfkern von Lavesum. Er bietet durch seine dörfliche Struktur eine hohe Lebensqualität.“ Das war ein leeres Versprechen, weshalb längst nicht mehr alle Wohnungen ausgebucht zu sein scheinen. Dass sich mit Seniorenwohnungen und Pflegeimmobilien für die betreibenden Immobiliengesellschaften viel Geld verdienen lässt, ist mittlerweile bekannt.
Seniorenwohnanlagen als Geschäftsmodell für Immobiliengesellschaften
Näheres über das fragwürdige Geschäftsmodell der privaten profitorientierten Seniorenwohnanlagen wie in Lavesum und Sythen ist nachzulesen im Lokalkompass unter:
https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/halterner-senioren-als-opfer-von-rendite-jaegern_a1584722
Zukunft für Lavesum: Dorfgemeinschaft ist jetzt mit Initiative gefordert
Mit dem Aufzeigen all dieser Probleme und Entwicklungen samt Fehlentwicklungen wäre nun die Dorfgemeinschaft gefordert, sich selber für die Zukunft ihres Dorfes aktiv einzusetzen, denn hier gibt es noch viel zu tun und nachzuholen, um die Lebensqualität zu erhalten und zu erhöhen. Doch wer macht den Anfang und was wäre das erste gemeinsame Projekt?
Wilhelm Neurohr, 24. September 2022
Die Vorschläge von Februar 2020 zum Dorfentwicklungskonzept Lavesum können hier gerne abgerufen werden per Email an:
Wilhelm.Neurohr@web.de
Siehe auch frühere Beiträge des Autors zum Thema der Dorfentwicklung in Lavesum im Lokalkompass:
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Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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