Klima-Debatte
Kommentar: "Welchen Stellenwert hat Klimaschutz in der Halterner Bürgerschaft?"
Karikatur: talk your walk
HALTERN AM SEE. In der Naherholungsstadt Haltern, in der sich die Zahl der Einkommensmillionäre innerhalb von 7 Jahren verdreifacht hat, bevorzugen die gut situierten Bürgerinnen und Bürger in diesem Urlaubsjahr statt Inlandsurlaub überwiegend teure klimaschädigende Fernreisen ins Ausland per Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff, am liebsten in die USA oder in den indischen Ozean. Die Kompensation des damit verbundenen hohen CO²-Ausstoßes wird kaum wahrgenommen, so erfährt man aus einem Interview der Halterner Zeitung mit einem Halterner Reisebüro. (Laut Oxfam-Studie belasten Reiche mit ihrem CO²-Ausstoß das Klima doppelt so stark wie Ärmere). Obwohl der Klimanotfall längst eingetreten ist, sagt das sehr viel aus über das mangelnde Klimabewusstein in der Halterner Bürgerschaft. Das zeigt sich an zahlreiche weiteren Beispielen und Verhaltensweisen in der Seestadt.
Einen „Shitstorm“ aus der Halterner Bürgerschaft musste bereits eine junge Studentin im vorigen Jahr erfahren, die vergeblich in Haltern eine Ortsgruppe von „Fridays for Future“ gesucht hatte und deshalb eine solche gründen wollte. Sie zeigte sich erschrocken, dass „das Umweltbewusstsein in Haltern noch nicht so ausgeprägt sei wie mancherorts.“ In Recklinghausen dagegen brachte die dortige Gruppe sogleich einen Menschenauflauf mit mehreren Hundert Teilnehmenden auf die Beine. In Haltern hat immerhin die Generation von Eltern und Großeltern aus Sythen in 2021 eine „Parents-for-Future-Gruppe“ ins Leben gerufen und Aktionen gestartet. Eine breite Unterstützung in der Bevölkerung ist jedoch nicht wahrzunehmen. Hier überwiegt das „Weiter so“.
Das ist kaum überraschend, denn schon der überdurchschnittlich hohe und stark ansteigende Bestand an PKW (bevorzugt SUV) in der „autogerechten“ Seestadt, wie auch die Defizite beim ÖPNV und der schleppende Ausbau des lückenhaften Radwegenetzes in Haltern sowie der verschwenderische Flächenverbrauch für freistehende Einfamilienhäuser zeugen von mangelndem Klima-und Umweltbewusstsein in der Halterner Bürgerschaft und bei deren gewählter Interessenvertretung.
Klimaschutz ohne Flächenschutz erfolglos
Auch die Stadtwerke Haltern, die eine konsequente Energiewende anstreben und die Solar- und Windenergie forcieren, scheiterten mit ihrem Zukunftskonzept der „kalten Nahwärme“ am Widerstand der Häuslebauer. Und erfolglos sammelten Naturschutz- und Heimatvereine in Haltern vor 2 Jahren über 1.000 Unterschriften gegen den „Flächenfraß“, denn die bauliche Versiegelung wertvoller Landschaft allein für ökologisch fragwürdige Einfamilienhäuser für „gut Betuchte“ zu Lasten des Flächen- und Artenschutzes geht ungebremst weiter.
Doch Klimaschutz erfordert Flächenschutz, das haben andere Städte längst erkannt mit dem klimagerechten Umsteuern ihrer Siedlungs- und Wohnungsbaupolitik. Davon ist Haltern noch weit entfernt. Selbst umstrittene Bauprojekte in Landschaftsschutzgebieten, wie unter anderem das aktuell geplante Wochenendhausgebiet für gehobene Ansprüche am Nordufer des Halterner Stausees, werden mit Nachdruck betrieben, ohne dass sich großer Widerstand in der Bürgerschaft regt. Doch das könnte sich bald ändern.
Neues Konfliktfeld: Windkraftausbau im Ruhrgebiet vor allem in Haltern
Denn der neue Regionalplan für das Ruhrgebiet hat den Kreis Recklinghausen (mit 100 bereits vorhandenen Windrädern) und hier vor allem die Stadt Haltern mit ihren fast 30 vorhandenen Windkraftanlagen als Standort der weiteren Windkraftflächen für das gesamte Ruhrgebiet mit seinen 53 Städten und Gemeinden auserkoren. (Das wären kreisweit zusätzlich 1.000 bis 5.000 ha oder 7.000 Fußballfeder). Alleine die 3 Städte Haltern, Dorsten und Marl im Kreis Recklinghausen sollen zusammen 64% und mehr des Flächenstandortbedarfs für die Windenergiebereiche des gesamten Ruhrgebietes zeitnah abdecken, wogegen die rechtspopulistische AfD im Kreis bereits Bürgerproteste angekündigt hat. Die Hauptlast würde Haltern tragen.
Selbst die vehementesten Befürworter der Windkraft wehren sich daraufhin gegen den ungebremsten Ausbau der Windenergie bevorzugt im Halterner Naherholungsgebiet für 5 Mio. Ruhrgebietsbewohner und fürchten die sich verschärfenden Konflikte. Der Kreistag mahnt deshalb eine faire Lastenverteilung im Ruhrgebiet an, wegen der optischen Beeinträchtigung, dem Lärm und dem Artenschutz. Um den Zielkonflikt mit zu steuern und nicht fremdbestimmt zu werden, haben Grüne, CDU, SPD und die Linkspartei im Kreistag gemeinsam die Erarbeitung eines „Vestischen Energiekonzeptes“ beschlossen, das mit den kreisangehörigen Städten entwickelt werden soll. Heftige Diskussionen in der Bürgerschaft sind vor allem im betroffenen Haltern absehbar.
Persönliche Verhaltensänderung zugunsten des Klimaschutzes?
Verschiedene Umfragen zu persönlichen Verhaltensänderungen zugunsten des Klimaschutzes sind sehr widersprüchlich: Noch 2020 waren laut bundesweiter Umfragen des BUND zwischen 75% und 87% der Befragten bereit, ihren Lebensstil zu ändern, um Umwelt und Klima zu schützen (vor allem die jüngeren Altersgruppen und insbesondere beim Energiesparen im Haushalt). Nur 6% waren dazu nicht bereit. Fast die Hälfte der Befragten wären auch bereit, für klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen mehr Geld auszugeben.
Doch eine Jugendstudie von 2021 zeigte demgegenüber, dass zwar der Klimawandel den Jugendlichen mit 56% die größte Sorge bereitet, doch die meisten von ihnen nicht zu einem nachhaltigen Lebenswandel bereit sind. Ihre Bereitschaft, auf Flugreisen oder das Auto zu verzichten, ist gering. Demgegenüber würden laut einer INSA-Umfrage von 2021 etwa 43% aller Befragten künftig aus Klimschutzgründen auf Flugreisen verzichten. und 23% würden nicht mehr Auto fahren. (In Haltern bietet am Sonntag der Rotary-Club für Auto-Fans Spritztouren als Beifahrer in zwölf edlen Oldtimern an - natürlich für einen guten Zweck).
Inzwischen ist Klimamüdigkeit eingetreten
Doch inzwischen sind die Deutschen Klimamüde: Jetzt, wo es ernst wird, sind in 2023 laut aktuellster Umfragen nur noch 31% bereit, für das Klima ihren Lebensstil zu ändern. Eine Mehrheit von 57% sind nicht mehr dazu bereit. Das ist ernüchternd: "Stell dir vor, es ist Klimawandel - und keiner macht wirklich etwas dagegen". Laut ARD-DeutschlandTrend sind inzwischen 67% gegen das Verbot von Verbrennerautos. Als Ausrede gilt: "Wir haben in diesen multiplen Krisenzeiten auch ohne Klimawandel schon genug Sorgen, da möchten wir unsere Lebensfreude nicht einschränken lassen".
Auch die Jüngeren sind kaum noch zu bewegen, wie das Beispiel Haltern zeigt: Bei einer am 10. Mai 2023 angebotenen hochkarätigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Pionier der Umwelt- und Klimabewegung, dem Wissenschaftler und Bestsellerautor Dr. Ernst-Ulrich v. Weizsäcker, war der große Saal im Halterner Könzgenhaus zwar mit 120 Teilnehmenden voll besetzt, (davon die Hälfte nicht aus Haltern, sondern aus Nachbarstädten). Junge Leute suchte man unter den Anwesenden vergeblich. Welchen Stellenwert hat das Klima-Thema wirklich?
„Nur Fliegen ist schöner“?
Für 57% der deutschen Wählerschaft ist laut Umfrage von 2021 das Thema Klimaschutz wahlentscheidend. Nur für ein Drittel spielt dieses Thema keine Rolle. In einer Stadt wie Haltern, deren Bürgerschaft bei den Kommunalwahlen, aber auch bei den Landtags- und Bundestagswahlen stets mehrheitlich für die CDU votiert, deren Bundesvorsitzender zwei Privatjets für seine Kurzstreckenflüge nutzt, sollte die Frage erlaubt sein: Ist hier bekannt, dass durch Privatjets Millionen Tonnen klimaschädliche Treibhausgase (nebst CO² zuzüglich Stickoxide, Russ und Wasserdampf) ausgestoßen werden und diese die Umwelt überdurchschnittlich belasten?
Die Zahl der Privatjets hat sich weltweit in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt und einen neuen Höchststand erreicht. Die "High Flyers" der Superreichen wie dem Einkommensmillionär und Blackrock- Lobbyisten Friedrich Merz sind damit für die Hälfte aller durch Flugreisen verursachten CO-2-Emissionen verantwortlich.
In der Klimapolitik wird der private Flugverkehr jedoch so gut wie nicht berücksichtigt. Pro Person wird mit dem Privatjet 25.000 kg CO² emittiert, bei einem Jumbo-Jet nur 300 bis 1.000 kg pro Person. So gesehen bewegen sich Halterner Urlauber mit ihren Fernflügen umweltfreundlicher als die Spitzenpolitiker mit ihrem Privatjets, es sei denn, sie fliegen „First Class“, dann entfallen auf die Urlaubsflieger im Jumbo-Jet 2.835 kg CO² pro Person (immer noch deutlich weniger als beim Privatjet)…
Wilhelm Neurohr, 01. Juni 2023
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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