Wohnungsnot immer dramatischer
In der Stadt Haltern fehlen über 2000 Sozialwohnungen

HALTERN AM SEE. "Die Wohnungsnot in Deutschland verschlimmert sich dramatisch – sozialer Wohnungsbau bricht ein“, so die aktuellen Schlagzeilen. Umso fassungsloser liest man den Bericht über die letzte Ratssitzung mit Haushaltsberatungen im Halterner Stadtrat: Die Forderungen von SPD und grüner Fraktion nach bezahlbaren Sozialwohnungen auch im teuren Haltern wurden von CDU und WGH abgelehnt. Der langjährige Ratsherr und Fraktionsvorsitzende der Wählergemeinschaft forderte stattdessen (als praktizierender Immobilienmakler) eine "Definition von bezahlbaren Wohnungen“ und fragte, wer denn die Kosten dafür übernehmen solle.

Die Antwort ist einfach: Es geht um öffentlich geförderte Sozialwohnungen für Normalverdiener und Geringverdiener, für Armutsrentner und Geflüchtete – für über 3.000 Menschen in der Stadt. Dafür stehen Fördergelder des Landes bereit, werden aber in Haltern nicht abgerufen. Haltern ist Schlusslicht im Land beim sozialen Wohnungsbau, aber Spitzenreiter bei den überteuerten Immobilien- und Mietpreisen. Es fehlen akut mindestens 2.000 Sozialwohnungen in der Stadt  für die 1.800 Anwärter für einen Wohnberechtigungsschein mit ihren 3.000 Familienangehörigen und darüber hinaus für weitere Wohnungsuchende. Deren Zahl wird in Haltern steigen wegen  tausender Bürgerinnen und  Bürger am Existenzminiumum oder in der Grundsicherung, mit überschuldeten Haushalten und wegen weiter steigender Flüchtlingszahlen. 

Mit nur noch 200 Sozialwohnungen ist Haltern Schlusslicht im Lande

Tatsächlich gibt es aber nicht einmal 300 Sozialwohnungen in Haltern, bis 2025 sogar nur noch 200 wegen Fortfall der Sozialbindung. Es müssten gemäß Landesdurchschnitt  mindestens 10% von den insg. 18.000 Wohnungen im Stadtgebiet öffentlich gefördert werden, es sind aber nur  unzureichende 1,5 %. Über 400 Personen leben dauerhaft auf Halterner Campingplätzen, weil sie sich eine richtige Wohnung nicht mehr leisten können, andere verlassen ihre Heimatstadt in preiswertere Nachbarstädte.

Halterner Bauunternehmen haben "kein interesse an Sozialwohnungen"

Trotzdem wird in den Neubaugebieten wie Nesberg oder Katharinenhöfe keine Sozialwohnung eingeplant. Warum nicht bei 100 Komfortwohnungen 90 frei finanziert und 10 Sozialwohnungen, die auch 4% Rendite erbringen? Reicht das den Bauunternehmen nicht aus, die der Stadt auf Nachfrage „kein Interesse an Sozialwohnungen“ erklärt haben, obwohl laut Grundgesetz "Eigentum verpflichtet" zum Wohle der Allgemeinheit. Längst erbringen wegen der angespannten Lage auf dem Immobilienmarkt Sozialwohnungen mehr Rendite, da der inzwischen unerschwingliche frei finanzierte Wohnungsbau zurückgeht.

Stadt bleibt inaktiv und ohne Vorgabe einer Mindestquote 

Anders als andere Städte macht die Stadt Haltern jedoch den Bauträgern keine Auflage für eine Mindestquote an Sozialwohnungen. Auch hat sie selber keine bedarfsgerechten Konzepte, geschweige eine Wohnungsbaugesellschaft wie andere Städte. Sie macht auch nicht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch, aber denkt jetzt wenigstens über Erbpachtmodelle nach. Diese können  den inzwischen unbezahlbaren Grunderwerb für Eigenheimbau von jungen Familien kostenmäßig verringern, die dann eine Mietwohnung für andere freimachen, aber dadurch entstehen noch keine neuen Sozialwohnungen, die dringend gebraucht werden.

Sozialstaatsverpflichtung - "Netzwerk für bezahlbares Wohnen"

Wegen der bislang  passiven bis gleichgültigen Haltung  der Stadt  gegenüber den Wohnungsuchenden in ihrem Stadtgebiet - und wegen der alleinigen Präferenz für hochpreisige Einfamilienhaussiedlungen oder teure Komfortwohnungen bei ihrer städtischen Wohnungsbaupolitik -  fühlen sich nun stattdessen andere sozial gesinnte Akteure in der Stadt zum Handeln für die Bedürftigen aufgerufen. So hat sich aktuell die katholische Kirchengemeinde in Haltern  des Problems angenommen mit ihrer Initiative „Netzwerk für bezahlbares Wohnen“. (Vorausgegangen war dazu am 2. Advent eine Predigtreihe zum Thema Wohnungsnot und Sozialwohnungen in Haltern *). Das entlässt die Stadt aber nicht aus ihrer Sozialstaatsverpflichtung,
die in Haltern verletzt wird.
(Ein Leserbrief zum gleichen Thema an die "Halterner Zeitung" wurde von der Lokalredaktion nicht veröffentlicht, ohne Angabe von Gründen).

Wilhelm Neurohr , 08.12.2022

>>> siehe auch früheren Beitrag des Autors zu dem Thema im Sozialkompass unter:
https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/soziale-kaelte-statt-sozialer-wohnungsbau-in-haltern_a1690984

* Siehe Predigtext vom 3. und 4. Dezember:

Einführende Thesen zum Wohnen in Haltern:

• Unsere Stadt Haltern mit ihren 38.000 Bewohnern ist eine begehrte und beliebte Wohnstadt im Grünen. Sie beherbergt überdurchschnittlich einkommensstarke und vermögende Menschen. Diese wohnen in der großen Mehrzahl in eigenen Häusern oder in Wohneigentum mit zumeist großen Wohnflächen. Und sehr viele zahlungskräftige neue Bewohner werden auch von außerhalb angelockt, um ebenfalls in Haltern zu bauen und zu leben. Das befördert die Grundstücksspekulation.

• Haltern ist aber deshalb auch eine sündhaft teure Wohnstadt mit den höchsten Mieten und Grundstückspreisen weit und breit. Das erweist sich als ein großes Problem für alle diejenigen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt, die auf bezahlbare Mietwohnungen angewiesen sind, aber solche in Haltern kaum noch finden. Bei den öffentlich geförderten Wohnungen ist unsere Stadt dagegen Schlusslicht im Lande.

• Nur noch wenigen Hundert Sozialwohnungen stehen tausende Bedürftige gegenüber. Viele müssen deshalb ihre Heimatstadt notgedrungen verlassen und in preiswertere Nachbarstädte abwandern. Sie werden regelrecht verdrängt aus ihrem gewohnten Lebensumfelds und Freundeskreis. So findet ein regelrechter Bevölkerungsaustausch statt. Die zunehmende Wohnungsnot ist gesellschaftlicher Sprengstoff und wird zur sozialen Frage unserer Zeit.

• Wir dürfen nicht übersehen, dass in unserer wohlhabenden Stadt Haltern insgesamt mehrere Tausend Menschen auf bezahlbare Wohnungen angewiesen sind: Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, überschuldete Haushalte, Normalverdiener und prekär Beschäftigte, Senioren mit kleinen Renten, Alleinerziehende, junge Familien, Singles, Flüchtlinge mit ihren Familien in immer größerer Zahl. Hunderte Menschen wohnen in Haltern sogar dauerhaft auf Campingplätzen, weil sie sich eine richtige Wohnung nicht mehr leisten können.

• Der soziale Zusammenhalt ist gefährdet, wenn die Bevölkerungsstruktur nicht mehr sozial ausgewogen ist und nicht alle Einkommensschichten solidarisch einbezogen werden. Das kann uns nicht gleichgültig sein in der Halterner Stadtgesellschaft.

• Die Caritas hat schon vor Jahren in einer Studie festgestellt, dass wir in Haltern eine vierstellige Zahl an geförderten Wohnungen benötigten, aber nur noch 200 bis 300 Sozialwohnungen vorhanden sind. Und sogar das Landesbauministerium hat jüngst in einer Studie bestätigt, dass Haltern einen überdurchschnittlichen Bedarf an bezahlbarem Mietwohnraum mit öffentlicher Förderung hat.

• Denn bezahlbares Wohnen in Würde, ein Dach über dem Kopf, ist ein existenzielles menschliches Grundbedürfnis, zugleich ein anerkanntes Grundrecht und Menschenrecht. Deshalb betrachten auch alle Ratsparteien „bezahlbares Wohnen“ für unsere Stadt für notwendig. Den Worten müssen aber nun allenthalben Taten folgen, die bislang nicht sichtbar sind. Wohnen darf kein unbezahlbarer Luxus sein, denn jeder Mensch braucht ein „Zu Hause.“

• Papst Franziskus rief angesichts aktueller Fehlentwicklungen um Immobilienspekulationen zu besonderer Wachsamkeit gegenüber Ärmeren und Schwächeren auf. Er fordert Regeln, die verhindern „dass Wohnen zu einem exklusiven Recht für Privilegierte verkommt“.

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

Webseite von Wilhelm Neurohr
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