5.000 Halterner gegen rechts
Haltern steht auf für Demokratie, Respekt und Vielfalt und gegen Rechts – Die AfD hat hier keine Chance mehr
Foto: Evelyn Stehl / Thomas Rath
HALTERN AM SEE. Mit rund 5.000 Teilnehmenden – zehnmal so viel als angemeldet - war die Großdemo in Haltern am Holocaust-Gedenktag gegen politische Rechtstendenzen nicht nur die größte jemals in unserer 38.000-Einwohner-Stadt stattgefundene Demonstration. Sondern die Teilnehmerzahl übertraf erfreulicherweise sogar diejenige in viel größeren Nachbarstädten: Die 87.000-Einwohner-Stadt Marl brachte 4.000 Menschen auf die Beine, in Dülmen mit 47.000 Einwohnern waren es 4.500, in Datteln (35.000. EW) kamen 2000 Menschen zur Demo, in der Stadt Gladbeck mit 76.000 Einwohnern waren es 1.000 Menschen, in der Großstadt Bottrop (117.000 EW) kamen 2.400 Menschen zusammen. Bundesweit protestierten bisher weit über 1 Mio. besorgte und demokratisch engagierte Menschen gegen Rechts.
In Haltern ist das Eintreten der Bürgerschaft für Demokratie, Respekt und Vielfalt sowie für die rund 4.000 in der Stadt lebenden Menschen ausländischer Herkunft oder mit zwei Staatsbürgerschaften also sehr ausgeprägt. Doch es geht bei den Demonstrationen nicht um ein Ranking, sondern um die Zielrichtung: Hatten in Haltern bei der Bundestagswahl 2017 noch 2.082 Wahlberechtigte (=8,2%) die AfD gewählt, waren es bei der Bundestagswahl in 2021 „nur“ noch 1.400 Wählerstimmen (=5,5%) in Haltern für die AfD und bei der Landtagswahl 2022 lediglich noch 864 AfD-Wähler (4,2%) in Haltern. Bei der Kommunalwahl 2020 spielte die AfD in Haltern gar keine Rolle mehr – so soll es bleiben.
Die Initiatoren und alle Beteiligten in Haltern machten bei der Protestkundgebung deutlich, dass es um ein wertschätzendes Miteinander auch aller demokratischen Parteien geht sowie um einen demokratischen Grundkonsens auf der Grundlage unserer Verfassung. Deshalb galt die Beteiligung aller demokratischen Parteien in Haltern und des Bürgermeisters als selbstverständlich. Die Initiative zur Vorbereitung hatten die jungen Parteivorsitzenden von Grünen und SPD in Haltern ergriffen, unterstützt vom Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt, vom VITUS-Verein für Integration, Teilhabe und Solidarität, vom Asylkreis, von der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde, von den Gewerkschaften, von DLRG und Feuerwehr, Vereinen und Privatpersonen.
Wehrhafte Demokratie stärken und beleben - 75 Jahre Grundgesetz
Vorausgegangen war eine ebenfalls gut besuchte Veranstaltung auf dem jüdischen Friedhof in Haltern zum Gedenken an die Opfer des Holocaust. Die Kirchenvertreter ermahnten einen friedlichen Umgang der Religionen und Kulturen. In diesem Jahr wird bekanntlich auch das 75-jährige Bestehen unseres Grundgesetzes gewürdigt. Die bundesweiten Veranstaltungen sind vielfach auch Anlass, zu einem stärkeren Engagement in den demokratischen Parteien aufzurufen, um die wehrhafte Demokratie zu stärken und zu beleben. In seiner Rede auf dem Halterner Marktplatz wies der Halterner Bürgermeister auch auf die Bedeutung von Presse- und Meinungsfreiheit hin und appellierte an den fairen Umgang der Demokraten und Parteien untereinander.
Der Rechtspopulismus reicht teilweise bis in die Mitte
Auch die Parteien der Mitte müssen sich jedoch selbstkritisch eigenen Fehlentwicklungen an ihren Rändern zuwenden. Am Geheimtreffen in Potsdam zum Thema „Remigration“ hatten bekanntlich nicht nur AfD-Funktionäre teilgenommen, sondern auch Mitglieder der lange Zeit in der CDU wertgeschätzten „Werteunion“ und einzelne Mitglieder der CDU, wie. z. B. der ehemalige CDU-Finanzsenator und OB-Kandidat in Köln, Peter Kurth. Es ist noch nicht allzu lange her, dass der heutige CDU-Generalsekretär und damalige Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, den Werteunions-Vorsitzenden Hans-Georg Maaßen gegen den Verdacht rechten Gedankengutes in Schutz nahm. Auf der Demo gegen Rechts in Recklinghausen hatte der Halterner Ex-Bürgermeister und amtierende Landrat Bodo Klimpel (CDU) vor 12.000 Teilnehmern solche Parteifreunde als "Vollidioten" verurteilt.
Seitdem alle Parteien in unserem Einwanderungsland die Migration zum Hauptproblem in Deutschland erkoren haben, sind sie bereits der AfD auf den Leim gegangen, die in 2013 während der Regierungsära Merkel von Unzufriedenen gegründet wurde. Bei der letzten Landtagswahl in Bayern hat sich daraufhin gezeigt, dass die Union am meisten Stimmen an die AfD und an die populistische Wählergemeinschaft verloren hatte. Erst vor wenigen Tagen hat die Union in Bayern zwei AfD-Mitglieder zu ehrenamtlichen Richtern beim Landesverfassungsgericht berufen.
Den Kampf gegen rechts auch in eigenen Reihen führen
Deshalb gilt: Den Kampf gegen rechts gewinnt man nicht nur am rechten Rand, man muss ihn auch in der Mitte und in eigenen Reihen führen. Wenn aus den Parteien der Mitte von Spitzenpolitikern populistische Forderungen erhoben werden, wie z.B. vor wenigen Monaten von CDU-Fraktionsvize Jens Spahn, Flüchtlinge mit physischer Gewalt zu stoppen, dann ist der Rechtsruck in der Mitte einer Volkspartei angekommen. Auch von der Forderung des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor zur „Ausbürgerung“ bis hin zur „Remigration" ist es am Ende nicht weit, wie eine Tageszeitung kommentierte.
Und wenn CDU-Landesverbände in Brandenburg und in ostdeutschen Kommunen vielfach mit der AfD kooperieren und CDU-Chef Merz eine Kooperation auf kommunaler Ebene erklärtermaßen nicht ausschließen möchte sowie einen AfD-Politiker als Vizepräsidenten des Bundestags für zustimmungsfähig erklärte, wird es grenzüberschreitend. Unerträglich wird es sogar, wenn vorige Tage der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende von Brandenburg in einem Whats-App-Post den Eindruck erweckte, er wünsche Regierungsmitgliedern der Ampelparteien den Tod.
Parteiübergreifende Problemlösungen statt Schuldzuweisungen gefragt
Die Ampelregierung und die daran beteiligten Parteien zum alleinigen Hauptschuldigen für den Höhenflug der AfD zu erklären, wäre insofern ein geschicktes Ablenkungsmanöver der oppositionellen CDU von ihrem eigenen Anteil am drohenden Rechtsruck. Es geht jetzt um parteiübergreifende Problemlösungen statt um Schuldzuweisungen. Deshalb gab es in Haltern berechtigte politische Verstimmungen darüber, dass der junge Halterner CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hendrik Griesbach im Vorfeld der Demonstrationen in der Lokalpresse (auf Befragen der Redaktion an die örtlichen Parteivertreter) versuchte, genau diese parteipolitisch motivierte Argumentation zu verbreiten und mit dem Finger auf die Ampelregierung zu zeigen – während drei Finger auf die CDU zurück zeigen. Nach dem Versuch, die Bauernproteste parteipolitisch zu instrumentalisieren, ist dies nun der zweite Versuch der örtlichen CDU, mit parteipolitischen Schuldzuweisungen politisches Kapital zu erhoffen. Auch das ist billiger Populismus.
Sieht so der wertschätzende Umgang der konkurrierenden Parteien miteinander aus? Gemeinsamer Kampf gegen Rechtspopulismus sieht anders aus – wie die Großdemonstration am 27. Januar in der Halterner Innenstadt gezeigt hat! Weiter so - denn der Kampf gegen rechts ist damit noch lange nicht beendet und braucht einen langen Atem, auch in Haltern. Der vielversprechende Anfang ist gemacht.
Wilhelm Neurohr, 29. Januar 2024
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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