Explosion der Halterner Immobilienpreise
Fehlentwicklungen am Halterner Grundstücksmarkt – ein hoffnungsloser Fall?
"Die Gier ist die verheerendste Menschheitsseuche“ (Seneca)
Foto: MAZ
HALTERN AM SEE. Bei der morgendlichen Lektüre der Halterner Lokalzeitung vom 28. Juli fiel manchen Lesern wohl die Kaffeetasse aus der Hand: Nicht die erschreckende Tatsache im Leitartikel überraschte, dass in der Seestadt (als Tummelplatz von Spekulanten) ein Baugrundstück inzwischen das Zwei- bis Dreifache des bundesweiten Durchschnitts kostet und sich alle zehn Jahre verdoppelt. Sondern der unbedarfte Kommentar der Zeitungsredakteurin dazu ist ein Aufreger: Es sei zwar „schade für junge Familien“, aber es gelte nun einmal „Freie Marktwirtschaft gleich freier Wettbewerb gleich freie Preisbildung.“ Tenor: Da könne man halt nichts machen, denn bei den Kaufverhandlungen sei sich jeder selbst der Nächste. Kann das unwidersprochen so stehen bleiben? Wohl kaum.
Nicht einmal die ärgsten Verfechter neoliberaler Ideologien verteidigen verfassungswidrig eine „freie Marktwirtschaft“, sondern gebrauchen die korrekte Terminologie der „sozialen Marktwirtschaft“. Denn das Grundgesetz enthält gemäß Artikel 20 (1) und 28 (1) die verpflichtende Sozialstaatsklausel. Diese ermöglicht dem Staat bis hinunter zu den Kommunen Eingriffe, Regulierungen und Korrekturen in Marktprozesse und Wettbewerb zur sozialen Ausgewogenheit. Unterlegene sollen gegen Ausbeutung oder Mietwucher geschützt werden, das gilt insbesondere auf dem Grundstücks- und Wohnungsmarkt, denn bezahlbares Wohnen ist ein Grundrecht und Menschenrecht und erfordert zuvorderst ein entsprechendes Bodenrecht. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Grund und Boden könnten im Rahmen der Ordnungs- und Gestaltungsaufgaben nach Art. 14 sogar vergesellschaftet werden, um den momentanen Auswüchsen auf den Immobilienmärkten zu begegnen.
„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“. (Mahatma Gandhi)
Nicht der Markt, die handelnden Menschen verursachen die Bodenpreise
In Haltern und anderswo ist es nicht der anonyme Markt, der „bedauerlicherweise“ die ausufernde Preisentwicklung erzeugt, sondern es sind die handelnden Menschen vor Ort als Individuen, die dem Sozialstaatsprinzip zuwider handeln. Hier hat die Lokalredakteurin in ihrem Kommentar sogar richtig erkannt: „Grundstückspreise werden in Haltern wie anderswo individuell ausgehandelt, schon lange gehen die Preise erbarmungslos steil nach oben. (…) Zum Verhandeln gehören auch immer zwei. Käufer und Verkäufer. Da ist sich jeder selbst der Nächste.“
Aber auch die weit überdurchschnittlichen Wohnflächenansprüche in Haltern treiben die Immobilienpreise nach oben, während man sich in Nachbarstädten und landesweit mit weit weniger Wohnfläche begnügt und von der Bauweise enger zusammenrückt. Auch ist es nicht allein die besondere Attraktivität der Erholungsstadt Haltern im Grünen, die hier die Immobilienpreise deutlich höher als anderswo klettern lässt, sondern es ist vor allem die einseitige Ausrichtung der städtischen Wohnungsbaupolitik fast ausschließlich auf freistehende Einfamilienhäuser der gehobenen Preissegmente und allenfalls noch einige Eigentumswohnungs- und Mietwohnungsbauprojekte der gehobenen Komfortklasse durch private Investoren.
Damit wird deutlich, dass die Halterner Immobilien- und Grundbesitzer selber und die sich überbietenden Käufer, aber auch die Baugesellschaften und Investoren sowie die involvierten Makler und Vermittler die „erbarmungslosen Preistreiber“ sind, die sich scheinheilig hinter dem „freien Markt“ verstecken und von der Sozialverpflichtung des Eigentums nichts wissen wollen. Selbst gebrauchte Häuser werden oft zu höheren Preisen verkauft als ein Neubau. Und auch bei den rapide steigenden Mieten in Haltern wird „erbarmungslos“ zugelangt, so dass die Mietpreise in dieser Kleinstadt an Heidelberg und Hamburg heranreichen. „Marktfreiheit“ heißt: „Man nimmt, was man kriegen kann“, die rege Nachfrage macht es möglich?
„Wenns ums Geld geht, gibt´s nur ein Schlagwort: „Mehr!“ (André Kostolany)
Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik oder charakterlose Spekulation?
War es Zufall oder Ironie, dass direkt neben dem Leitartikel über die ungebremst steigenden Bodenpreise in Haltern ein Artikel platziert war mit der Überschrift. „Haltern – eine Stadt mit Charakter“? Dieses Lob kam ausgerechnet von der Landesbauministerin Ina Scharrenbach (CDU) bei ihrem Besuch in Haltern, die dem maßlosen Treiben auf den Immobilienmärkten des Landes tatenlos zuschaut, während die oppositionelle SPD im Landtag zur Verhinderung von Bodenspekulationen eine „Grundsteuer C“ zur Abschöpfung der Spekulationsgewinne vorschlägt, um Bodenpolitik wieder gemeinwohlorientiert auszurichten. Darüber hinaus ist eine Offensive für bezahlbaren Wohnungsbau überfällig, um deutlich mehr mietpreisgebundenen Wohnraum zu schaffen.
Dem verweigert sich die Stadt Haltern seit Jahrzehnten beharrlich, anders als etwa die Nachbarstädte Dülmen oder Lüdinghausen, die mehrere Tausend Sozialwohnungen in der Stadt anbieten, während diese in Haltern gegen Null tendieren. Kritiker behaupten: Da der eine oder andere politische Entscheidungsträger selber als Immobilienbesitzer zu den Profiteuren der lukrativen Bodenpreisentwicklung in Haltern gehöre, sei eine Trendwende in dieser Stadt ein aussichtsloser Fall. Vielleicht hatte der erfolglose Bürgermeisterkandidat der (eigentlich neoliberalen) FDP nicht ganz Unrecht, als er vor der Kommunalwahl in Haltern in einer öffentlichen Podiumsdiskussion vor genau einem Jahr behauptete: „Die Investoren und Bauunternehmen haben die Stadt Haltern im Griff. (…) Die Stadt ist tatsächlich etwas getrieben von den Bauunternehmen“. Dies wurde mit Empörung zurückgewiesen, ebenso die gelegentlichen Fragen zur Befangenheit von Ratsmitgliedern bei Abstimmungen.
„So wie der Acker verdorben wird durch Unkraut, wird der Mensch verdorben durch seine Gier.“ (Buddha)
Wenn eine Stadt sich selber als Preistreiber betätigt
Gebetsmühlenartig wird von Kommunalpolitikern und Lokalredakteuren der angebliche „Mangel an Baugrundstücken und Immobilien“ in Haltern als Preistreiber angeführt, obwohl die Stadt Haltern mit ihrer Bautätigkeit weit über dem Landesdurchschnitt liegt und ein Baugebiet nach dem anderen in der freien Landschaft erschließt. Auf diese Weise hat die Stadt über Jahrzehnte insgesamt 7.500 zahlungskräftige Einwohner von auswärts auf den teuren Halterner Grundstücksmarkt gelockt und die weniger einkommensstarke Stadtbevölkerung in die preiswerteren Nachbarstädte abgedrängt. Längst ist erwiesen, dass eine Vemehrung von Bauland entgegen den „Marktgesetzen“ nicht zur Preisdämpfung beiträgt, sondern zum genauen Gegenteil (siehe Flächenstudie für Haltern). Fast jedem Rendite-orientierten Investorenprojekt an wunschgemäßen Standorten wurde bislang die städtische Genehmigung erteilt, zum Verdruss vieler Bürgerinnen und Bürger. Fast jedes große Investorenprojekt in der Stadt wird übrigens von der Lokalpresse zumeist werbewirksam begrüßt und durch eine Immobilienbeilage gefördert - verbunden mit dem Ruf nach „mehr Bauland“ .
Während andere Städte sich mit vielfältigen Maßnahmen, Initiativen und veränderten Planungskonzepten um Preisdämpfung am Grundstücks- und Immobilienmarkt bemühen, beteiligt sich die Stadt Haltern selber an der Preistreiberei, z.B. mit der Erschließung exklusiver Neubaugebiete der obersten Preiskategorie am Stadtrand über ihre städtische Flächenentwicklungsgesellschaft der eigenen Stadtwerke. Der bürgerschaftlichen Genossenschaft für ein Mehrgenerationenwohnhaus verweigerte man den Verkauf eines städtischen Grundstückes, weil die Stadt mit der Aufteilung in kleine Grundstücke für einkommensstarke Häuslebauer viel mehr Einnahmen aus Grundstücksverkäufen generieren kann.
Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen, der Boden aber niemandem gehört.“ (Jean Jacques Rousseau)
Kleinstgrundstücke zu Höchstpreisen, große Grundstücke zum Schleuderpreis?
Bescheidenen Interessenten an kleinen städtischen Grundstücken für Tiny-Häuser bot die Stadt je zwei Grundstücke in Lippramsdorf mit 220 qm Fläche gegen Höchstgebot oberhalb des Bodenrichtwertes von 180 €/qm an, also für mindestens 40.000 bis 50.000 € statt als Pachtgrundstück . Bei einem Kaufpreis von max. 65.000 € für ein kleines Tiny-Haus ein preisliches Missverhältnis. Kurz zuvor hatte die Stadt nämlich einem Grundstückskäufer in Lavesum für ein zehnmal so großes Grundstück am Ortsrand, das inzwischen von ihm bebaut wurde, nur wenige Hundert Euro (!) abverlangt – dank guter persönlicher Beziehungen zum damaligen Bürgermeister und zum örtlichen Ratsherrn?
Jedenfalls hatte der Stadtrat nach diesem Skandal einmütig dem Bürgermeister daraufhin die Kompetenz entzogen, allein über Grundstücksverkäufe bis 100.000 € ohne Ratsbeteiligung zu entscheiden – denn hier stand der berechtigte, aber nicht weiter verfolgte Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder (Haushaltsuntreue) und der Vorteilsgewährung durch Amtswillkür im Raum. Es sei denn, die Stadt will künftig allen potenziellen Bauherren solche Sonderkonditionen auf dem teuren Halterner Grundstücksmarkt gewähren. Doch das Bestreben geht in die entgegengesetzte Richtung, nämlich auch als Stadt Bauland zu Höchstpreisen zu vermarkten, anstatt etwa städtische Grundstücke als Pachtland anzubieten oder eigene bezahlbare Wohnungsbauprojekte über eine städtische Wohnungsgesellschaft zu initiieren. Gemeinwohlorientierung statt die Förderung von privatem Profit und Rendite sollte zum Credo der Kommunalpolitik gehören.
„Die Liebe zum Profit beherrscht die ganze Welt“ (Aristophanes)
Nur mit gerechter Bodenordnung wird Wohnen wieder bezahlbar
Der langjährige Münchener Oberbürgermeister und zeitweilige Städtebauminister Dr. Hans-Jochen Vogel hat als sein Vermächtnis 2019 ein Taschenbuch veröffentlicht, das allen Lokalpolitikern und Lokalredakteuren zur Lektüre empfohlen sei: „Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird Wohnen wieder bezahlbar“. In der Rezension heißt es: „Dieses Buch ist ein Armutszeugnis, nichts anderes. Ein Mann im 94. Lebensjahr im Seniorenheim muss den verantwortlichen Politikern erklären, was sie tun müssten, um eines der drängendsten sozialen und strukturellen Probleme des Landes anzugehen. Damit die Menschen in Deutschland einen angemessenen Platz zum Wohnen finden.“
Auszug aus dem Buch: "Die Mieten steigen. (...) Die Eigentumsbildung wird zum Spekulationsobjekt. (...) Ungeschminkt ausgedrückt: eine verschwindend kleine Minderheit wurde durch diese Entwicklung maßlos reich. Wir Normalbürger finanzieren diese Millionengewinne durch Steuern und durch Verzicht auf dringende Einrichtungen der Daseinsvorsorge." Boden werde "gehandelt wie Ware in einem Krämerladen". Es sei "höchste Zeit, das Eigentum an Grund und Boden im Sinne des Grundgesetzes einer echten Sozialbindung näherzuführen. Um Wucher und Bodenspekulation zu bekämpfen, muss dem Boden seine privilegierte Funktion als Anlagegut mit risikoloser Gewinnchance endlich genommen werden."
Andernfalls werden wir auch im nächsten Jahr nach Vorlage des neuen Grundstücksmarktberichtes des Gutachterausschusses wiederum in der Lokalzeitung lesen können: Halterner Grundstückspreise schießen noch weiter nach oben und erreichen bald das Münchener Preisniveau?
Mentalitätswandel bei Verkaufsverhandlungen - oder "wie gewonnen, so zerronnen"
Verhindern ließe sich das durch einen Mentalitätswandel: Die Halterner Grundstücks- und Immobilienverkäufer müssten sich ja bei den Verkaufsverhandlungen nicht gleich vom Egoisten zum Altruisten verwandeln. Aber sie könnten bei ihren Preisvorstellungen vielleicht den Verlockungen widerstehen und mit wenigen Einbußen einfach um 10 bis 20 Prozent hinter den erzielbaren Höchstpreisen zurückbleiben anstatt weiter mit Vorteilsdenken zu feilschen (z.B. sich anstelle der vielleicht erzielbaren 300.000 € für sein Grundstück oder Haus sich mit nur 270.000 € begnügen als immer noch satten Gewinn).
Damit würden sie trotz Verzicht immer noch einen deutlich höheren Verkaufsgewinn erzielen als etwa in angrenzenden Nachbarstädten, aber zu einer allmählichen Senkung des überhitzten Preisniveaus im sündhaft teuren Haltern solidarisch beitragen, ohne große Wohlstandseinbußen. Es sei denn, diejenigen ärgern sich noch jahrelang darüber, dass sie beim Verkauf vielleicht noch 20.000 € mehr hätten "herausholen" können... Doch daran hätten sie nicht lange Freude: In Erwartung einer nahenden Immobilienblase in Deutschland - davon gehen Finanzexperten angesichts des überhitzten Immobilienmarktes aus - würde es alsbald heißen: "Wie gewonnen, so zerronnen".
Kein Streben nach "immer mehr": Schlechte Vorbilder bei Immobiliendeals
Als fromme Kirchgänger sollte sich diejenigen vermögenden Grundbesitzer an den Bibelspruch erinnern: " Wer sein Gut mehrt mit Wucher und Zins, der sammelt es für den, der sich der Armen erbarmt." Es sei denn, man orientiert sich an dem momentanen Skandal des Immobiliendeals um Luxusimmobilien durch höchste Vatikan-Kardinäle der katholischen Kirche als schlechtes Vorbild... Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang vielmehr das Buch von Anselm Grün mit dem Titel: „Gier - Auswege aus dem Streben nach immer mehr“.
„Mit Haben, Gewinnen, Besitzen, Genießen schließt der Ideenkreis eine Kette um den Menschen, die ihn an Staub und Erde fesselt.“ (Georg Forster)
Wilhelm Neurohr
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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