Faire Arbeit contra Ausbeutung Fachtagung in Haltern am See kritisiert Missstände – auch in Deutschland
Haltern. Selbstbestimmt, verantwortungsvoll und auskömmlich, so sollte faire Arbeit sein. Darin haben sich die gut 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung „Faire Arbeit_Würde_Helfen“ am Wochenende in Haltern am See einig gezeigt. Doch ebenso unbestritten war auch: Realität ist dies noch lange nicht überall, nicht in Lateinamerika und auch nicht in Deutschland. Doch was kann getan werden, was können Verbraucher erreichen, wo ist Politik gefordert?
Diese Fragen diskutierten auf dem Podium im Könzgen-Haus sehr engagiert Vertreter der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), des Weltnotwerks der KAB, des Hilfswerks Adveniat und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Und auch ein Unternehmer stellte seine Sicht dar. In Workshops analysierten die Teilnehmer zunächst die Herausforderungen in der globalisierten Arbeitswelt. Der Kampf gegen Sklavenarbeit in Brasilien war ebenso ein Thema wie menschenunwürdige Arbeit in Venezuela. Doch der Blick richtete sich auch nach Deutschland, insbesondere auf die Internet-Handelsplattform Amazon und auf die Fleischindustrie. Szabolcs Sepsi berät beim DGB-Projekt „Faire Mobilität“ Arbeiter aus Osteuropa, die in der Fleischverarbeitung tätig sind. Vor etwa fünf Jahren begann er damit. „Ich bin auf Zustände gestoßen, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass so etwas in Deutschland möglich ist“, berichtete er in der Podiumsdiskussion, die Adveniat-Pressesprecherin Carolin Kronenburg moderierte.
Von „tausenden Beschäftigten ohne Krankenversicherung“ sprach Sepsi, unwürdig untergebracht, bar bezahlt und ohne Kündigungsschutz. Besser geworden sei es mit der Einführung des Mindestlohns, doch die Arbeitsbedingungen seien weiter prekär und unsicher: „Wer nicht genug leisten kann, wird einfach ersetzt.“ Einen anderen Weg geht Paul Brand, Inhaber von Brand Qualitätsfleisch in Lohne. Auf die oft kritisierten Werkverträge verzichtet er. „Das überlebt ihr keine zwei Jahre“, haben ihm die Wettbewerber prophezeit. Ein Fehlschluss: „Wir sind immer noch da.“ Er setzt auf Respekt gegenüber den Mitarbeitern, wünscht sich aber auch Wertschätzung für das Produkt. Nirgendwo in Europa sei Fleisch so billig wie in Deutschland, kritisierte Brand.
Der Verbraucher ist also gefragt. Dass öffentlicher Druck etwas ausrichten könne, bestätigte KAB-Diözesanpräses Erwin Helmer aus Augsburg. Mit deutlichen Worten prangerte er „krasse Missstände“ bei Amazon an und folgerte: „Wir sollten uns überlegen, wo wir einkaufen.“ Beim amerikanischen Online-Versandhändler habe das Wirkung gezeigt. Es gab aber auch Zweifel unter den Zuhörern. Ob es nicht naiv sei zu glauben, dass Verbraucher mit der „Strategie des richtigen Einkaufens“ die Macht der Konzerne einschränken könnten, lautete eine Frage.
Stephan Jentgens sah es ähnlich, dass es nicht allein reiche, an der Mündigkeit der Bürger zu arbeiten. „Wir müssen uns auch im politischen System organisieren“, meinte der Adveniat-Geschäftsführer und sah in vielen Fällen übereinstimmende Interessen von Kirche und Gewerkschaften. „Ich verstehe nicht, warum wir nicht öfter zusammenstehen, wo Normen gesetzt und kontrolliert werden“, unterstrich er. Doch den Verbraucher entließ er nicht aus der Pflicht, vor allem mit Blick auf Ausbeutung in Lateinamerika. „Der Zorn darüber bleibt, wie wir mit unseren Geschwistern dort umgehen“, erklärte Jentgens. Er appellierte, darauf zu achten, „was wir kaufen und zu welchem Preis“ und fügte hinzu: „Geiz ist gottlos“.
Als Modell für Lateinamerika hätten sich Genossenschaften bewährt, in denen Menschen gemeinsam Unternehmen verantworteten, berichtete Jentgens. Auch Norbert Klein, Vorstandsmitglied im Weltnotwerk der KAB, rückte die Solidarität in den Vordergrund. „Wenn sich Organisationen der Arbeitnehmer aus Deutschland mit denen in Asien und Afrika auf Augenhöhe begegnen, ist das eine Kraftquelle auch für uns“, erklärte er.
Diskutiert wurde zudem, ob die Kirche genug gegen schlechte Arbeitsbedingungen unternehme. „Wir können froh sein über Papst Franziskus“, meinte dazu Erwin Helmer und erinnerte an dessen Satz: „Mit Arbeitsplätzen spielt man nicht“. „Das gibt uns das Rückenwind“, erklärte Helmer. (pbm)
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